Interview mit Berthold Huber:IG-Metall-Chef geht auf Distanz zur SPD

Berthold Huber, Chef der IG Metall, über Wahlempfehlungen, die Fehler der SPD - und die Abfindung für Wendelin Wiedeking.

D. Esslinger und S. Höll

Berthold Huber ist seit knapp zwei Jahren Chef der IG Metall. Der Reformer hält ein enges Bündnis seiner Gewerkschaft mit der SPD nicht für zeitgemäß und tritt kurz vor der Bundestagswahl mit dem Musiker Bob Geldof im Frankfurter Fußballstadion auf.

Berthold Huber, dpa

Berthold Huber, Chef der Gewerkschaft IG Metall sagt: "Die Zeiten, in denen die Gewerkschaften empfehlen können, wählt diesen und jenen, sind vorbei."

(Foto: Foto: dpa)

SZ: Herr Huber, Sie sind SPD-Mitglied. Können Sie Ihrer Partei helfen?

Berthold Huber: Ich kann meiner Partei nur sagen, befasst euch mit den wirklichen Problemen der Leute. Seid ehrlich, gebt zu, dass es in der Vergangenheit Fehler gegeben hat, die zu den jetzt schlechten Prognosen geführt haben.

SZ: Welche Fehler?

Huber: Die Rente mit 67. Wer am Band arbeitet oder in Schicht, der weiß gar nicht, wie er das bis 67 schaffen soll. Und dass man nach zwölf Monaten Arbeitslosigkeit nun bereits Hartz IV bekommt, praktisch Sozialhilfe, wird von den Menschen als Bedrohung empfunden.

SZ: Die SPD korrigiert, auch auf Anraten der Gewerkschaften, ihren Kurs. Sie will die Altersteilzeit verlängern und das Schonvermögen von Arbeitslosen erhöhen. Versöhnt Sie das?

Huber: Es geht nicht um Versöhnung, sondern um die Menschen. Es kann nicht sein, schon gar nicht in Zeiten der Krise, dass die Älteren länger arbeiten und Jüngere keinen Ausbildungsplatz bekommen. Da muss noch mehr geschehen.

SZ: Das Verhältnis der Gewerkschaften zur SPD war nach der Agenda 2010 sehr schlecht, inzwischen hat es sich gebessert. Wäre es jetzt nicht an der Zeit, die Partei zu unterstützen?

Huber: Ich weiß, dass das Verhältnis von SPD und Gewerkschaften historisch geprägt ist. Aber wir leben im 21. Jahrhundert. Die Zeiten, in denen die Gewerkschaften empfehlen können, wählt diesen und jenen, sind vorbei. Die Menschen haben ihren eigenen Kopf. Sie sagen, lasst das bittschön unsere Sache sein. Deshalb gibt es keine Empfehlungen und auch keine Wahlprüfsteine mehr. Wir können uns in Themen einmischen. Und das tun wir.

SZ: In den Wahlprüfsteinen hatten Gewerkschaften noch 2005 Parteien bewertet. Ist das eine Idee von vorgestern?

Huber: Ja, und wirkungslos. Die Klientel, die Gewerkschaften und SPD einst gemeinsam hatten, hat sich gewandelt. In Baden-Württemberg und Bayern haben wir relativ viele Mitglieder, die sich am Tag der Wahl regelmäßig für die Union entscheiden. Oder: Sechs Prozent der Gewerkschaftsmitglieder wählen dort die FDP. Und mehr als 40 Prozent die SPD. Für uns muss es darum gehen, unabhängig von persönlichen Präferenzen die Stärke der Einheitsgewerkschaft zu bewahren und auszubauen.

SZ: Die Aussicht auf eine schwarz-gelbe Koalition kann einen Gewerkschaftschef trotzdem kaum entzücken.

Huber: Nein. Ich habe aber weniger Probleme mit der Union als mit der FDP. Es ist ein Treppenwitz, dass diejenigen, die die Krise ideologisch mit herbeigeführt haben, nun die Wahlgewinner sein könnten. Ich kann der Union nur raten, sich nicht wieder von den Arbeitnehmern abzuwenden. Die Option für die FDP weist leider in diese Richtung.

SZ: Wie sollen sich Gewerkschaften heute in die Politik einmischen?

Huber: Wir haben eine große Umfrage unter den Beschäftigten der Metallbranche gemacht. Wir haben von 452.000 Menschen Antworten bekommen, welche Themen sie bewegen. Und ein sicherer Arbeitsplatz steht an erster Stelle.

SZ: Keine Überraschung.

Huber: Das mag nicht besonders aufregend sein, aber es ist die größte Sorge der Leute. Wir können den Politikern nur sagen: Nehmt euch dieser Sorge an. Macht Politik für die Mehrheit der Menschen.

SZ: Der Satz bedient das Klischee, Politiker nähmen die Wähler nicht ernst.

Huber: Glauben Sie, es sei im Interesse der Menschen, dass die Spitzensteuern zu stark gesenkt, die Bildung vernachlässigt und die Rente mit 67 eingeführt wurden? Wenn das Politik für die Mehrheit ist, kann ich der Politik nur mit Brecht sagen: Wählt euch ein anderes Volk.

Im zweiten Teil: Warum die IG-Metall ins Frankfurter Fußballstadion lädt - und warum Berthold Huber dem Abfindungsvertrag für Porsche-Chef Wendelin Wiedeking zustimmte.

Ich glaube nicht an das Heiligtum Auto.

SZ: Sie haben für den 5. September das Frankfurter Fußballstadion gemietet. Warum geht die IG Metall nun dorthin, statt wie früher auf die Straße?

Huber: Wir wollen das Stadion zu einer Arena der Politik machen. Und die Veranstaltung soll mehr sein als eine Kundgebung für acht Prozent mehr Lohn oder gegen irgendetwas. Es geht um Argumente bei der größten Wähler-Veranstaltung im Bundestags-Wahlkampf. Aber es soll auch ein Fest mit Künstlern wie Bob Geldof sein.

SZ: Die nächste Regierung muss die Milliardenkosten der Krise in den Griff bekommen. Es gibt zwei Optionen: im Sozialetat streichen oder Steuern erhöhen.

Huber: Ich befürchte, dass eine Koalition aus Union und FDP die Wohlhabenden verschonen und bei Sozialausgaben streichen würde. Dabei hat sich unser Sozialsystem in dieser Krise bewährt, zum Beispiel beim Kurzarbeitergeld.

SZ: Bundeskanzlerin Angela Merkel schätzt Sie als Gesprächspartner.

Huber: Wir können uns nicht beklagen über unsere Kontakte in die Politik. Das Kurzarbeitergeld, auch die Abwrackprämie wurden von der IG Metall vorgeschlagen, von der SPD aufgegriffen und dann auch von der Union mitgetragen.

SZ: War die Abwrackprämie tatsächlich eine gute Idee? Oder führt sie nicht dazu, dass dem Autoboom in diesem Jahr ein Einbruch im nächsten folgt?

Huber: Die Prämie hat den Fall der Autobranche ins Bodenlose verhindert.

SZ: Sie möchten die Prämie verlängern und dem Heiligtum Auto huldigen?

Huber: Ich glaube nicht an das Heiligtum Auto. In 20 Jahren brauchen wir andere, intelligente Mobilitätskonzepte, in denen der öffentliche Nahverkehr, kleinere Autos und andere Antriebstechniken eine viel größere Rolle spielen. Darauf muss sich auch die Automobilindustrie einstellen. Und nein, die Abwrackprämie muss nicht verlängert werden. Es braucht strukturelle Formen der Unterstützung für die Industrie insgesamt.

SZ: Welche?

Huber: Wir brauchen befristete, direkte Beteiligungen des Staates an Firmen, gerade an mittelständischen Firmen. Nicht nur die Banken und die Autoindustrie sind systemrelevant, sondern auch und gerade der industrielle Mittelstand. Wir haben einen Beteiligungs-Fonds von 100 Milliarden Euro und eine Zukunftsanleihe vorgeschlagen. Das Geld wäre nicht verloren. In besseren Zeiten werden die Anteile wieder verkauft.

SZ: Sie überschätzen den Staat. Man muss nur auf die Landesbanken schauen, und schon zweifelt man, ob Politiker die besseren Unternehmer sind.

Huber: Ich rede nicht von Verstaatlichungen. Ich rede von Brücken, um die industriellen Kerne weiter zu entwickeln. Soll man zusehen, wie alles kaputtgeht?

SZ: Diesen Vorschlag unterstützt niemand in der Politik.

Huber: Wer das ablehnt, soll sagen, wie es anders geht. Das Schlimmste wäre doch, wenn wir Ende 2010 wieder fünf Millionen Arbeitslose haben. Manche Ökonomen geben Entwarnung und prognostizieren im selben Atemzug die Arbeitslosenzahlen. Ich kann nur sagen: Die Krise ist nicht überwunden, das Schlimmste steht noch bevor. Wer Massenarbeitslosigkeit ignoriert, ist zynisch. Zudem wird Arbeitslosigkeit in dieser Dimension viel teurer als jeder Fonds. Von den Brüchen in der Gesellschaft und im Leben der Menschen ganz abgesehen.

SZ: Sie sind Porsche-Aufsichtsrat. Warum haben Sie den 50 Millionen Euro für Vorstandschef Wiedeking zugestimmt?

Huber: Ich konnte mir ursprünglich maximal fünf Millionen vorstellen. Das Problem war: Herr Wiedeking hatte nicht nur einen Management-, sondern einen Beteiligungsvertrag. Er war immer am Gewinn des Unternehmens beteiligt.

SZ: Mit 0,9 Prozent.

Huber: Die Abfindung war zu finden auf Basis der Bezüge, die er in den vergangenen Jahren erhielt. Bedenken Sie, in der Firma galt er beinahe als Gott.

SZ: Er hat Porsche fast ruiniert, nun wollten Arbeiter Autogramme auf den Blaumann. Können Sie das erklären?

Huber: Nein.

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