SZ: Fahren Sie selbst häufig Bahn?
Holger Krawinkel: Ja, mit über 20.000 Kilometern im Jahr habe ich den Vielfahrer-Status erreicht.
SZ: Können Sie das allgemeine Klagen über die Bahn demnach verstehen?
Krawinkel: Offen gesagt, nicht ganz. Natürlich kommt bei mir auch mal ein Zug zu spät, aber das ist doch die Ausnahme. Persönlich habe ich jedenfalls keinen Grund zu jammern. Als ich vor einigen Wochen ausnahmsweise mal statt der Bahn das Flugzeug genommen habe, da standen wir nach der Landung fast eine Stunde auf dem Rollfeld, weil die Gangway festgefroren war. Man sieht also: Auch da gehen Dinge schief.
SZ: Wenn Sie die Bahn von heute mit der von vor einigen Jahren vergleichen - hat sich da was verändert?
Krawinkel: Meines Erachtens sogar ziemlich deutlich. Und dafür muss man gar nicht mal mehrere Jahre zurückgehen. Noch vor einem Jahr sah es alles andere als gut aus bei der Bahn. Viele Züge waren unpünktlich oder überfüllt, an den Bahnsteigen herrschte oft Chaos. Im Moment dagegen läuft es weitgehend ruhig ab und die Züge sind pünktlicher. Dabei glaube ich nicht, dass das allein am milden Winter liegt. Vielmehr habe ich den Eindruck, dass man in den vergangenen Monaten einiges investiert und das Krisenmanagement deutlich verbessert hat. Auch die Fahrgäste werden besser informiert.
SZ: Was müsste geschehen, damit noch mehr Menschen ihr Auto stehen lassen und in den Zug umsteigen?
Krawinkel: Vor allem müsste das Streckennetz ausgebaut werden, und zwar gezielt da, wo sich die Engpässe befinden, also beispielsweise zwischen Karlsruhe und Basel oder zwischen Frankfurt und Mannheim. Doch stattdessen fließt das Geld in Prestigeprojekte, wie etwa in den Neu- und Ausbau der Strecke Nürnberg - Erfurt, den die Politik im Zuge der Wiedervereinigung versprochen hatte. Dabei besteht da gar kein Engpass. Es ist schon heute abzusehen, dass nicht allzu viele Menschen diese Verbindung nutzen werden. Doch durch eben solche Baumaßnahmen fehlt dann das Geld für Projekte, die viel sinnvoller wären. Und dazu zähle ich nicht nur den Ausbau völlig veralteter Strecken, sondern beispielsweise auch die Verbindungen in Richtung Polen oder nach Wien über Prag. Die Verbindungen sind heute zum Teil unzumutbar, da setzt sich kaum jemand freiwillig in den Zug.
SZ: Müsste der Bund mehr tun?
Krawinkel: In jedem Fall. Der Bund muss für bezahlbare Mobilität sorgen. Das heißt, er müsste sehr viel mehr Geld bereitstellen, um die Infrastruktur zu finanzieren. Nehmen wir nur mal den Vergleich zur Schweiz, wo der Bahnverkehr ja vorbildlich funktioniert. Dort fließen pro Einwohner 308 Euro in das Schienennetz, in Deutschland sind es gerade mal 53 Euro.
SZ: Aber woher soll das Geld denn kommen?
Krawinkel: Sicher, die Finanzen sind knapp. Aber der Bund könnte ja beispielsweise die Mehreinnahmen, die er durch den gestiegenen Benzinpreis und die darauf anfallende Mehrwertsteuer erzielt, in die Schiene stecken. Das wäre endlich mal ein deutliches Signal, dass es dem Bund ernst ist mit dem Ziel, mehr Verkehr auf die Schiene zu verlagern.
Holger Krawinkel leitet seit 2004 den Fachbereich Bauen, Energie, Umwelt des Verbraucherzentrale Bundesverbandes e. V.