Interview:"Gemischte Gefühle"

Interview: Vĕra Jourová warnt vor Versuchen, mit der DSGVO die Pressefreiheit einzuschränken.

Vĕra Jourová warnt vor Versuchen, mit der DSGVO die Pressefreiheit einzuschränken.

(Foto: EMMANUEL DUNAND, AFP)

Ein Jahr nach Inkrafttreten der Datenschutzgrundverordnung: EU-Justizkommissarin Vĕra Jourová zieht Bilanz. Sie ist nicht nur zufrieden.

Von Karoline Meta Beisel, Brüssel

Als im Mai 2018 die Datenschutzgrundverordnung wirksam wurde, herrschte helle Aufregung: Eigentlich sollte das Gesetz die Regeln in der EU vereinheitlichen. Kritiker warnten aber, das Gesetz werde vor allem für Rechtsunsicherheit sorgen. Věra Jourová ist als EU-Justizkommissarin für das Gesetz zuständig.

SZ: Frau Jourová, die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) ist seit einem Jahr in Kraft, aber viele Unternehmen halten sich nach wie vor nicht an die neuen Regeln. Ist die DSGVO trotzdem ein Erfolg?

Vĕra Jourová: Natürlich habe ich gemischte Gefühle. Ich bin ja nicht taub und höre die Beschwerden von kleineren Unternehmen: Da herrscht immer noch eine große Unsicherheit, auch aus Sorge vor Sanktionen. Gleichzeitig merken die Unternehmen aber, dass die DSGVO auch eine Chance ist: Spätestens nach dem Cambridge Analytica-Skandal machen sich die Menschen mehr Gedanken darüber, was mit ihren Daten passiert. Datenschutz kann also auch ein Wettbewerbsvorteil sein.

Nach dem Inkrafttreten gab es auch in Deutschland Stimmen, man dürfe seinen Namen nicht mehr aufs Klingelschild schreiben und so weiter ..

. Es gab die absurdesten Gerüchte! Zum Glück ist das vorbei, die Leute haben gemerkt, dass ihre Befürchtungen grundlos waren. Behörden gehen eben nicht zum Bäcker und fragen: "Wo ist der Datenschutzbeauftragte dieser Bäckerei?". Mich hat erschreckt, dass ein Teil der Europäer offenbar tatsächlich glaubt, dass die Leute in Brüssel auf solche Ideen kommen könnten.

In den vergangenen Wochen häuften sich Berichte über Datenpannen bei Google oder Facebook. Es gab aber erst ein großes Bußgeld gegen Google, 50 Millionen Euro in Frankreich. Warum hat es noch nicht mehr Sanktionen gegeben?

Die Verfahren brauchen Zeit. Insgesamt laufen im Moment fast 450 grenzüberschreitende Verfahren; aber je größer das Unternehmen und je größer die Masse an Daten, umso aufwendiger sind die Untersuchungen. Ich würde den Erfolg der DSGVO aber auch nicht an der Zahl der Verfahren oder der Höhe der Strafen messen wollen. Viel wichtiger ist die präventive Wirkung, dass Unternehmen sich jetzt viel gründlicher überlegen müssen, was sie mit den Daten ihrer Kunden machen dürfen und was nicht.

Die DSGVO hat auch den Rest der Welt aufmerksam gemacht. Sogar Facebook-Chef Mark Zuckerberg fordert ein Datenschutzgesetz nach europäischem Vorbild. Nehmen Sie seinen Vorschlag ernst?

In den USA wird ja bereits über Datenschutzgesetze diskutiert, Kalifornien hat sogar schon eins, Unterstützung aus der Wirtschaft schadet nicht - wenn die Hilfe in die richtige Richtung geht. Für mich steht aber eher die Frage im Mittelpunkt, ob Facebook sich bei uns an die Gesetze hält. Wir sehen jedenfalls inzwischen, dass die DSGVO auch global Standards setzt: mit Japan haben wir bereits ein Datenschutzabkommen, und viele andere Länder arbeiten an Gesetzen, die vom europäischen Standard inspiriert sind.

Gibt es Dinge an der DSGVO, mit denen sie noch nicht zufrieden sind?

Ja. Zum einen nutzen manche Mitgliedstaaten Spielräume, die die DSGVO ihnen lässt, um Regeln zu erlassen, die dem Ziel des Gesetzes entgegenlaufen - das könnte wieder zu genau der Fragmentierung des Datenschutzes führen, die wir mit der Verordnung beenden wollten. Und es gibt noch eine Sache, die mir wirklich Sorgen macht: Es gab ein paar Fälle, in denen Politiker versuchen, sich auf den Datenschutz zu berufen, um unliebsame Berichterstattung in der Presse anzugreifen. Das halte ich für eine sehr gefährliche Entwicklung.

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