Süddeutsche Zeitung

Interview:"Computer vergessen nie"

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Der schwedische Autor Pär Ström glaubt, dass die allerorts stattfindende Datensammelei in den Überwachungsstaat führt.

Interview: Antonie Bauer

Pär Ström prangert in seinem Buch "Die Überwachungsmafia" die zunehmenden Geschäfte mit unseren Daten an. Heute sei alles zwar noch vergleichsweise harmlos, meint der schwedische Technologie-Experte, doch für die Zukunft malt er ein düsteres Bild: Die Entwicklung zum Überwachungsstaat sei schwer aufzuhalten.

SZ: Wie sind Sie auf das Thema gestoßen?

Ström: Ich bin kein Technikfeind, ich beschäftige mich seit 20 Jahren als Berater mit Informationstechnologie. Dabei ist mir immer stärker bewusst geworden, welche Gefahren die Datensammlung mit sich bringt. Seither fesselt mich das Thema. Jeder sammelt persönliche Daten: Regierungen, Unternehmen, Privatleute, sogar fremde Staaten.

SZ: Wer weiß denn alles etwas über mich?

Ström: Das fängt mit den Telefongesellschaften an. Ihr Mobilfunkanbieter weiß, dass Sie hier sind - oder zumindest, welchem Sendemasten Sie am nächsten sind. Er weiß es, wenn Sie nach Frankfurt reisen, er kennt Ihre Freunde und Geschäftskontakte. Ihr Internet-Provider weiß, welche Websites Sie besuchen und wer Ihnen E-Mails schickt. Und dann gibt es die Spyware: Software, die auf Ihrem Rechner installiert ist und Sie ausspioniert. Dadurch erhalten Sie beispielsweise Werbung, die genau auf Sie zugeschnitten ist. Wenn Sie häufig Auto-Websites besuchen, bekommen Sie dann auch Autowerbung auf den Bildschirm.

SZ: Ist das schlecht?

Ström: Nein, in einer perfekten Welt würden Verbraucher nur die Werbung bekommen, an der sie interessiert sind. Aber wenn die Daten erst einmal da sind, ist es schwer, Missbrauch zu verhindern.

SZ: Ist der Weiterverkauf von persönlichen Daten ein großes Geschäft?

Ström: Ja. Vor allem in den Vereinigten Staaten gibt es Firmen, die riesige Datenmengen sammeln, von medizinischen Informationen bis zum Vorstrafenregister. Das verkaufen sie an jeden, der bereit ist, dafür zu zahlen. Auch in Europa gibt es Bemühungen, das zu erlauben. Es ist schwer, diese Entwicklung aufzuhalten. Es geht um sehr viel Geld.

SZ: Wer kauft denn die Informationen?

Ström: Zum Beispiel Unternehmen, die Stellenbewerber oder Mitarbeiter unter die Lupe nehmen. Manche holen auch Informationen über Konkurrenten ein. Regierungen machen sich über ihre Bürger schlau. Kriminelle sind ebenfalls an sensiblen Daten interessiert. Und dazu gehören auch Informationen, die auf den ersten Blick nicht brisant erscheinen.

SZ: Wie groß ist die Gefahr, dass Daten in falsche Hände geraten?

Ström: Groß. Computer vergessen nie, und Information hat Flügel - sie kommt weit herum und landet dort, wo man es nicht erwartet. In Schweden haben sogar Polizisten Daten aus den Polizeicomputern verkauft.

SZ: Wenn Kaufhäuser und Supermärkte alle Einkäufe per Kundenkarte speichern, ist das sicher auch für viele interessant.

Ström: Ja, vor allem dank der Möglichkeit, mit Software Profile zu erstellen. Anhand der Kleidergrößen lässt sich herausfinden, ob jemand zunimmt; anhand der Lebensmittel, ob er ein Diabetiker sein könnte. In den Vereinigten Staaten kaufen medizinische Firmen solche Informationen und schicken dann gezielte Werbung für Medikamente.

Ein absoluter Albtraum wäre es, wenn Versicherungen sich solche Daten besorgen könnten und wüssten, wer sich schlecht ernährt, also beispielsweise viel Cola und Chips kauft. Wir müssen aufpassen, dass so etwas nicht passiert. Heute überwachen ja sogar schon Handys den Herzrhythmus. Stellen Sie sich vor, wenn Versicherungen diese Daten kaufen und ihre Prämien entsprechend kalkulieren.

SZ: Aber das wäre doch kaum legal.

Ström: So etwas kann schleichend eingeführt werden. Da gibt es etwa günstigere Prämien für Versicherte, die ihre Daten zur Verfügung stellen - und irgendwann, wenn kaum mehr jemand den teureren Tarif wählt, wird der abgeschafft. Norwich Union in England bietet schon heute Kfz-Versicherungen an, die sich am Fahrverhalten orientieren. Eine Blackbox im Auto übermittelt, wo man wann wie schnell fährt; entsprechend wird das Risiko kalkuliert. Das ist aus Firmensicht ein großartiges Geschäftsmodell, aber wo führt das denn hin? Irgendwann wird die normale Versicherung abgeschafft, und irgendwann werden auch andere die Daten nutzen, die Polizei etwa oder das Finanzamt.

SZ: Kommt das heute auch schon vor?

Ström: Ja, in den USA beispielsweise gab es einen Fall, wo ein Haus brannte und ein Anzünder gefunden wurde. Die Polizei ließ sich von Safeway die Kundendaten des Besitzers geben und fand heraus, dass er genau solche Anzünder gekauft hatte. Der Mann saß daraufhin fünf Monate in Untersuchungshaft, bis ein anderer die Brandstiftung gestand.

SZ: Da hat sich die Polizei geirrt, aber im Prinzip wäre das vermutlich kein schlechtes Fahndungsinstrument.

Ström: Ja, ganz bestimmt. Aber es stellt sich die Frage, inwieweit Menschen ihre privaten Informationen zur Verfügung stellen müssen, um die Polizeiarbeit zu ermöglichen. Das Recht auf die Privatsphäre ist ein Teil der Menschenrechtskonvention. Eine Gesellschaft sollte irgendwo in der Mitte zwischen null Überwachung und vollständiger Überwachung sein. Die Gefahr ist, dass wir immer mehr in Richtung der vollständigen Überwachung gehen. Zwar aus guten Gründen: um Terrorismus zu bekämpfen, Steuerhinterziehung oder Verbrechen. Aber schließlich werden wir Zustände wie in George Orwells Roman 1984 haben. In zehn Jahren werden wir viel mehr Daten sowie viel leistungsfähigere Computer und Software haben. Dann wird es einfach sein, eine flächendeckende Überwachung aufzubauen. Wollen wir das?

SZ: Wie kann sich der Einzelne gegen Sammlung und Missbrauch seiner Daten schützen?

Ström: Er kann mit Bargeld zahlen und sich anonyme E-Mail-Konten zulegen. Er kann über eine Website surfen, die ihn anonymisiert, so dass niemand seine IP-Adresse erfährt. Er kann die Blackbox für das Auto ablehnen.

Aber die Versuchung ist natürlich groß, wenn Firmen mit Rabatten locken - den Preis, den wir dafür zahlen, sehen wir ja erst in 20 Jahren, wenn wir in der totalen Überwachungsgesellschaft leben.

SZ: Sollte die private Datensammlung also gebremst werden?

Ström: Ich glaube, dass es einfacher ist, die staatliche Überwachung aufzuhalten. Man sollte erwachsenen Menschen keine Verträge mit Firmen verbieten. Wenn man an die Marktwirtschaft glaubt, ist es sehr schwer, den Großen Bruder aufzuhalten.

PÄR STRÖM: Die Überwachungsmafia. Das gute Geschäft mit unseren Daten, Carl Hanser Verlag, München 2005, 352 Seiten, 19,90 Euro.

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Quelle:
SZ vom 28.6.2005
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