Süddeutsche Zeitung

Internetkonzern:Amazon attackiert Ikea, Obi und Zalando

Der US-Konzern will die größte Mode- und Einkaufs-Erlebniswelt schaffen - auch mit Showrooms in Deutschland.

Von Stefan Mayr

Der Angriff auf die Deutsche Post rollt bereits an mehreren Fronten, jetzt werden die Attacken auf Baumärkte, Möbelhäuser und Mode-Händler vorbereitet. Der US-Konzern Amazon nimmt auf seinem Marsch zum Alles-und immer-Lieferanten nun die nächsten Firmen ins Visier: Ikea, Obi und Zalando. "Alle Baumärkte, Möbelhäuser und Fashion-Firmen sollten sich warm anziehen", sagt Christian Kille, Professor für Handelslogistik an der Hochschule Würzburg, angesichts der neuesten Aktivitäten des aggressiv expandierenden Onlinekonzerns.

In einer Stellenanzeige macht Amazon klar, wo die Reise hingehen soll: "Komm in unser neues Europa-Fashion-Team und revolutioniere den E-Commerce in der Modewelt", wirbt das Unternehmen um "außerordentlich talentierte" Manager. Deren Aufgabe ist es, "die weltgrößte Mode-Einkaufs-Erlebniswelt aufzubauen". Wie sich die Strategen das vorstellen, haben sie dazu geschrieben: "Mit relevanten Produkten von relevanten Marken, einzigartiger Auswahl, innovativem Service und unwiderstehlicheren Angeboten als jeder andere Laden - online und off."

Kunden wollen die Ware vor dem Kauf ansehen. Noch ist das ein Vorteil für die Ladenbesitzer

Vor allem das letzte Wörtchen lässt aufhorchen: "off". Heißt das, das Mode-Imperium wird auch aus begehbaren Geschäften bestehen? "Ich gehe davon aus, dass Amazon in deutschen Großstädten demnächst Showrooms eröffnen wird", sagt Kille. Das könne "noch in diesem Jahr" geschehen.

Amazon selbst macht zu den Plänen keine Angaben. Aber immerhin bestätigt die Deutschlandzentrale in München allgemein eine massive Expansion: 2015 seien in Europa 10 000 Personen eingestellt worden, damit habe Amazon europaweit nun 40 000 Mitarbeiter. In Deutschland soll die Zahl der Beschäftigten in diesem Jahr von 13 000 auf mehr als 14 500 anwachsen. Allein für die Zentrale in München werden derzeit 300 Mitarbeiter gesucht. Wer so viele Leute einstellt, hat Größeres vor.

Wie Amazons Mode-Zukunft aussehen könnte, zeigt ein Blick in die USA. Dort hat der Konzern bereits sieben eigene Modemarken aufgebaut. Sie tragen klingende Namen wie Franklin & Freeman, Lark & Ro und Society New York. Diese haben etwa 1800 Artikel im Sortiment, vom Kinder-Shirt bis zur Handtasche. Flankiert wird das Angebot von allerlei Marketingaktionen: Eine prominente Fashion-Bloggerin wurde engagiert, auf Amazon Prime wird eine eigene Mode-TV-Serie ausgestrahlt. Und im Internet läuft die Live-Fashion-Show "Style Code", ein Mix aus Modenschau und Home-Shopping-Kanal, natürlich kann man sofort online bestellen.

Für Handelsexperte Kille ist es nur eine Frage der Zeit, bis all das nach Europa kommt. Noch ist Amazon beim Versand von Mode in Deutschland die Nummer zwei hinter Zalando. "Zalando sollte hier sehr wachsam sein", sagt Kille. Die Berliner hätten zwar "ein gutes Produkt-Portfolio", aber Amazon sei "in Sachen Logistik viel besser aufgestellt, effizienter und schneller." Amazon hat in Deutschland neun Logistik-Standorte, und viele weitere im benachbarten Ausland. Zalando baut gerade erst sein fünftes Verteilzentrum. Der US-Konkurrent ist also klar im Vorteil. Dennoch gibt sich eine Zalando-Sprecherin entspannt: "Der Modemarkt ist groß, da haben mehrere Player Platz." Fashion gilt tatsächlich als wichtigste Kategorie im E-Commerce - und als Wachstumsmarkt mit großem Potenzial. Nach Angaben des Bundesverbands des Deutschen Textileinzelhandels wird beim Kauf von Kleidung jeder siebte Euro im Internet ausgegeben.

Zalando steuert ebenfalls auf Expansionskurs: Am Freitag kündigte Vorstandsmitglied Rubin Ritter ein 180 Millionen Euro schweres Investitions-Programm an. Das Ziel der Berliner: Sie wollen sich von einem Verkaufskanal zu einem Komplettanbieter für Hersteller, Spediteure, Werbeagenturen und Endkunden der Modebranche weiterentwickeln. Modemarken sollen auf der Zalando-Plattform ihren eigenen Internetauftritt gestalten können. Produzenten und Versandfirmen, Stylisten und Kunden sollen in Kontakt treten können. Zalando beschäftigt aktuell etwa 10 000 Mitarbeiter. Bis Ende 2016 sollen mehr als 1000 dazukommen. Zalando hat sogar 16 Eigenmarken am Start - von Anna Field bis Zign. Zumindest in der Menge der Marken führt Zalando also mit 16:7. "Wir haben in den vergangenen Jahren eine sehr starke Fashion- und Tech-Expertise aufbauen können", sagt die Sprecherin. "Das hilft es uns, ein emotionales Produkt wie Mode zu verkaufen."

Der Vorteil ist dahin, wenn Amazon Showrooms eröffnet

Neben der Mode-Offensive will der US-Konzern auch sein Programm "Amazon Exclusives" europaweit ausbauen: In diesem bieten Drittanbieter ihre Waren ausschließlich auf den Internetseiten von Amazon an. Vor allem in den Branchen Möbel und Garten strebt der US-Konzern eine größtmögliche Expansion an. Kann das überhaupt klappen ohne stationäre Verkaufsstätte? "Noch haben Möbelhäuser und Baumärkte den Vorteil, dass die Kunden bei ihnen vor dem Kauf die Produkte anschauen und anfassen können", sagt Kille. Aber der Vorteil ist dahin, wenn Amazon wie von Kille prophezeit Showrooms eröffnet. Dann könnten die alteingesessenen Geschäfte schnell ins Hintertreffen geraten. "Amazon kann das Sortiment perfekt auf die Kunden abstimmen", sagt Kille, "die kennen die Kaufgewohnheiten ja aus dem Warenkorb und wissen genau, welche Artikel zusammenpassen."

Amazon selbst macht weder zur Mode- noch zur Drittanbieter-Offensive Angaben: "Dazu gibt es keine Ankündigung." Diese Floskel kennt man noch vom Februar, als die Pläne für ein Packstationen-Netz durchsickerten. Mit "Amazon Lockers" wollen die US-Amerikaner der Post-Tochter DHL Konkurrenz machen. In den Schließfächern können die Kunden Pakete abholen und Retouren abgeben. Inzwischen wird dieses System an diversen Amazon-Standorten getestet. Die Mitarbeiter können sich ihre Käufe in die knallorangenen Schließfächer liefern lassen.

Auch bei der Bezahlung testet Amazon neue Wege: Der Konzern hat in den USA ein Patent auf ein Verfahren beantragt, bei dem man mit einem Selfie-Foto bezahlen kann. Damit will Amazon das umständliche Eingeben von Passwörtern ersetzen.

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Quelle:
SZ vom 21.03.2016
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