Süddeutsche Zeitung

Internetgeschwindigkeit:Smart City? Nur bis zur Stadtgrenze

Experten bemängeln defekte Leitungen und lahmes Internet - Australien liegt im internationalen Vergleich weit zurück.

Von Urs Wälterlin

Die Fliegenden Ärzte retten über das Internet buchstäblich Leben - wenn die Verbindung stimmt. In den Städten sind Netzverfügbarkeit und Geschwindigkeit kein Problem. Wer in Sydney oder Melbourne sein Handy einschaltet, ist in Sekundenschnelle im Netz. Wer auf dem Land lebt oder in der stadtnahen Provinz, hat mit ungenügenden oder fehlenden Verbindungen zu kämpfen, mit teuren Datenplänen und Download-Limits. Deutschland etwa geht mit 14,6 Mbps (Megabits per Sekunde) ins Netz, Spitzenreiter Südkorea mit 26,1 Mbps. In Australien: 10,1 Mbps - Platz 50 im internationalen Vergleich. Sogar Serbien und Puerto Rico sind schneller.

Australien leide unter einer "Versorgungskluft" zwischen Stadt und Land, sagt der IT-Experte Alex Ferrara aus Canberra. Der Grund: die Deregulierung der Telekommunikation in den Neunzigerjahren. Mit der Privatisierung sei die Verantwortung an eine kleine Zahl von Unternehmen übergegangen, allen voran die börsennotierte Telstra. "In großen Städten lohnte es sich für die Firmen, Internet-Dienste von Weltklasseformat auszurollen. Die Firmen pickten sich schlicht die Rosinen aus dem Kuchen", so Ferrara.

Dabei hätte Australien an der Spitze sein können. Die 2007 gewählte sozialdemokratische Regierung von Premierminister Kevin Rudd hatte erkannt, welche Bedeutung und welche Chancen das Internet auch für ländliche Regionen bietet. Unternehmen, Familienbetriebe, Landwirte - sie könnten trotz geografischer Isolation direkten Zugang zu den Weltmärkten haben, solange die Verbindung stimmt. Die Regierung rief das National Broadband Network (NBN) ins Leben. Für umgerechnet rund 40 Milliarden Euro sollte jeder Haushalt einen Hochgeschwindigkeits-Internetanschluss erhalten, finanziert über eine Partnerschaft zwischen Unternehmen und Staat. Dann übernahm der konservative Premierminister Tony Abbott die Macht in Canberra. Seine Regierung strich das Programm zusammen. Die Gründe waren in erster Linie ideologisch: Bis heute sind viele australische Konservative der Meinung, der Bau von Infrastruktur, auch Telekommunikation, sei nicht Aufgabe des Staates, sondern privater, gewinnorientierter Unternehmen. Ein mindestens so entscheidender Grund war Abbotts persönliche Abneigung gegenüber dem Internet. Der bekennende "Nicht-Technologe" meinte, er wolle nicht so viel Steuergeld in etwas investieren, das "essenziell ein Video-Unterhaltungssystem ist".

Der ursprüngliche Plan war, 93 Prozent aller Gebäude an eine Fiberoptik-Verbindung anzuschließen. Die hätte Geschwindigkeiten von bis zu 100Mbps erlaubt. Der Rest des Landes wäre über feste Drahtloskommunikation und Satellit versorgt worden. Um Kosten zu sparen entschied sich die Regierung jedoch für ein System, bei dem das Glasfaserkabel nur zum nächsten Telefon-Verteilerkasten geführt wurde. Die Feinverteilung geschieht über die alten Kupfer-Telefonkabel - und die sind oftmals wasser- und wettergeschädigt. Die Frustration der Verbraucher über das NBN ist allgegenwärtig. Die Kosten für den Fiskus eskalieren. Zwar haben inzwischen einige private Unternehmen entdeckt, dass auch auf dem Land ein Markt für Hochleistungsverbindungen besteht. Ihre Angebote sind aber nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Für Alex Ferrara und andere Experten ist klar, dass die Entscheider der Regierung die wirtschaftliche Entwicklung in den weniger besiedelten Regionen des Landes langfristig zurückhalten. Der Traum des Bauern, auch vom Ende der Schotterstraße sein Getreide ohne Zwischenhändler vermarkten zu könne, bleibt für viele genau das: ein Traum.

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Quelle:
SZ vom 17.10.2017
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