Süddeutsche Zeitung

Internetfirmen:Deutschland braucht nicht nur Tüftler, sondern auch Mut

Ob Twitter oder Snapchat - die Summen, die Investoren derzeit in amerikanische Technologieunternehmen pumpen, sind schwindelerregend. In Deutschland hingegen: kein einziger Börsengang. Hier herrscht Schockstarre. Mit fatalen Folgen.

Kommentar von Varinia Bernau

Twitter meldet einen Verlust - und die Aktie schießt trotzdem um 20 Prozent empor. Der Wert von Snapchat, ein Unternehmen, das eine App zum Verschicken sich selbst zerstörender Fotos entwickelt hat und bis vor Kurzem noch von einem Bungalow am Strand aus geführt wurde, wird auf zehn Milliarden Dollar geschätzt. Die schwindelerregenden Summen, die Investoren derzeit in Technologieunternehmen pumpen, wecken böse Erinnerungen - und einen gefährlichen Reflex: Da entsteht wohl wieder eine Blase. Also, Finger weg!

Vor zehn Jahren galten diejenigen, die irgendwas mit Internet machten, schon einmal als die neuen Propheten. Mit vollmundigen Versprechen schwangen sich damals Garagenfirmen zu Börsenstars auf. Die wenigsten Unternehmer konnten die in die Höhe getriebenen Erwartungen erfüllen.

Milliarden Risikokapital flossen seit dem Jahr 2000 ins Silicon Valley

Dem Rausch folgte Ernüchterung. Milliarden wurden damals vernichtet. Lange Zeit machten Investoren einen großen Bogen um alles, was mit dem Internet zu tun hatte. Und Deutschland, wo ohnehin vorsichtiger gewirtschaftet wird, hat dieses Misstrauen sehr viel stärker zu spüren bekommen als die Vereinigten Staaten. Im Silicon Valley hatten einige mit der New Economy durchaus ein richtig gutes Geschäft gemacht, hierzulande aber gab es keinerlei Erfolge.

Deshalb sitzt das Geld jenseits des Ozeans auch heute noch deutlich lockerer. Deshalb haben es Nerds dort einfacher, jemanden zu finden, der an ihre Idee glaubt und diese auch finanziell anschiebt. Mehr als 81 Milliarden Euro Risikokapital sind seit der Jahrtausendwende ins Silicon Valley geflossen. Nach London gingen in dieser Zeit nur etwas mehr als sechs Milliarden, nach Berlin nicht einmal eineinhalb Milliarden Euro.

Das liegt übrigens auch daran, dass die Konzerne im Silicon Valley einen größeren Teil ihrer Gewinne in Start-ups investieren, als dies europäische Firmen tun. Es fehlt nicht nur an Anschubfinanzierungen. Auch in der nächsten Runde wird das Ungleichgewicht deutlich: In den USA haben sich in den vergangenen Jahren wieder viele Internetfirmen an die Börse gewagt. Manche, wie das Schnäppchenportal Groupon, erwiesen sich als Flop. Andere aber, wie das soziale Netzwerk Facebook, haben die hohen Erwartungen durchaus erfüllt.

Es gibt genug kluge Köpfe

In Deutschland hingegen: kein einziger Börsengang. Hier herrscht auch mehr als zehn Jahre nach dem Platzen der Blase noch Schockstarre. Mit fatalen Folgen: Deutschland droht den Anschluss zu verlieren.

Dabei gibt es genug kluge Köpfe. Sie trauen sich nur nicht, ihre Sicherheit aufs Spiel zu setzen. Schließlich wird ihnen stets gesagt, dass sie es weiter bringen, wenn sie sich auf die monatliche Überweisung eines Gehalts verlassen - statt mit einer eigenen Idee um Investoren zu buhlen. Groß werden und Großes schaffen können Gründer erst dann, wenn sie auch das Geld dazu haben. Geld, um gute Leute einzustellen. Geld, um zu expandieren. Geld, um ins Marketing zu investieren.

Nun, da es also wieder Anzeichen für eine Blase gibt, sollten die Deutschen nicht wieder die gleichen Fehler machen. Sie dürfen nicht länger zaudern und zögern. Statt die Augen vor neuen Entwicklungen zu verschließen, sollten sie die amerikanischen Erfolge analysieren.

Die Deutschen sind Tüftler

Google beispielsweise ist ein Unternehmen, dem es in einer Zeit, als die Blase platzte, dennoch gelungen ist, Investoren für sich zu gewinnen. Und es ist ein Unternehmen, vor dem sich die deutschen Traditionskonzerne heute so sehr fürchten. Die Gründer von Google hatten nicht nur eine grundlegend neue Technologie. Sie brachten auch Mut und einen gewissen Größenwahn mit. Und sie konnten auf Investoren bauen, die - obwohl sie gerade Milliarden verloren hatten - diesen Mut und Größenwahn mit ihnen teilten.

Die Deutschen sind Tüftler. Sie haben die Geduld, Dinge bis ins kleinste Detail zu verfeinern. Die Amerikaner sind Macher. Sie haben den Mut, die Dinge völlig neu zu denken. Während die Deutschen sich also damit begnügen, das Bestehende noch ein Stückchen besser zu machen, wagen sich die Amerikaner an etwas radikal Neues. Jenseits des Ozeans wird an der Zukunft getüftelt, diesseits wird die Vergangenheit verwaltet.

Gewiss, nicht alle Internetfirmen, die heute mit Milliarden bewertet werden, haben das Zeug, zum Google von morgen zu werden. Deshalb ist der kritische Blick auf die neuen Börsenstars wichtig. Es darf nur kein feindlicher, kein ignoranter Blick sein. Denn wer nichts wagt, wird nie den großen Gewinn machen. Und er wird damit auch nie das Geld haben, Neues auszuprobieren und dabei vielleicht etwas Weltbewegendes zu erfinden.

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SZ vom 02.08.2014/anri
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