Süddeutsche Zeitung

Internet-Vordenker Chris Anderson:Jeder ist ein Fabrikant

Einen 3-D-Drucker auf dem Schreibtisch hat er längst. In seinem neuen Buch beschwört er eine industrielle Revolution: Autor Chris Anderson über eingeschweißte Bananen, Karl Marx und Graswurzel-Kapitalismus.

Von Jannis Brühl

Chris Anderson wurde in London geboren, wenige verkörpern die Ideologie des Silicon Valley wie er: Der 51-Jährige ist von Beruf Digital-Optimist. Elf Jahre war er Chefredakteur des Technik-Magazins Wired, in seinen Büchern ruft er die Zukunft aus. Anderson machte den "long tail" zum geflügelten Wort - die unendliche Zahl von Nischen, mit denen sich im Netz Geld verdienen lässt.

Nun nimmt er sich die Welt der Atome vor: Das Buch "Makers - Das Internet der Dinge" beschwört die neue industrielle Revolution, in der Menschen unabhängig von Konzernen Waren produzieren - dank 3-D-Druckern, Laser-Schneidegeräten und freier Patente. Anderson hat nicht nur ein Interesse an Buchverkäufen: Seine Firma 3D Robotics stellt in Kalifornien zivile Drohnen zum Selberbauen her.

SZ: Herr Anderson, Sie sehen sich als Teil einer Bewegung, die Dinge lieber selber baut als kauft. Was haben Sie als Letztes hergestellt?

Chris Anderson: Vor zwanzig Minuten habe ich noch ein bisschen programmiert. Jeden Tag nutze ich einen 3-D-Drucker, mache digitales Design mit meinen Kindern, auch mit traditionellen Werkzeugen. Wir stellen jeden Tag Dinge her.

Was ist revolutionär daran, einen 3-D-Drucker auf den Schreibtisch zu stellen?

Die Möglichkeit, per Knopfdruck eine Idee zu einem Prototypen zu verwandeln, ist ziemlich faszinierend. Vor 40 Jahren mussten Sie dazu Experte für Spezialwerkzeuge sein. Jetzt drücken Sie einen Knopf, die Maschine macht die Arbeit.

Ist das nicht eine Nische für passionierte Heimwerker, die sich jetzt einfach nur teurere Spielzeuge leisten? Was soll die Masse daran reizen?

Haben Sie einen Drucker auf Ihrem Schreibtisch?

Einen Tintenstrahldrucker? Natürlich.

Genau. Die Idee, von Ihrem Schreibtisch aus ganze Veröffentlichungen herzustellen, kommt Ihnen schon heute nicht radikal vor. Warum sollte es mit einem 3-D-Drucker anders sein? Es ist die gleiche Maschine: selbe Größe, selber Preis. Nur dass sie statt Zweidimensionalem wirklich physische Objekte druckt. Wir werden, statt in ein Geschäft zu gehen, Dateien herunterladen und Produkte selbst herstellen. Vielleicht modifizieren wir Dinge: Anstelle von einem Design, das allen gefallen soll, verändern wir sie, wie es uns passt. Was wir nicht wissen - wie damals, als PC und Internet erfunden wurden - ist, was die Menschen mit der Technik tun werden.

Verglichen mit der Evolution des Computers, an welchem Punkt sind wir beim 3-D-Druck jetzt?

Wenn man die Analogie benutzen will: Der Apple 2 kam 1977 heraus, der Macintosh 1984. Ich würde sagen, bei der Entwicklung der 3-D-Drucker sind wir näher am Macintosh, vielleicht 1983. Das bedeutet: Die erste Generation war schwierig zu bedienen, die meisten Geräte waren Bausätze, vor allem für Geeks und Hacker gemacht. Heute sind die Maschinen für alle, für die Schule, für zu Hause. Man packt sie aus und schließt sie an.

Ein Kapitel Ihres Buches heißt "Wir sind alle Designer". Was ist mit den Faulen, die nur konsumieren wollen? Die Bananen kaufen, die geschält und dann in Plastik eingeschweißt wurden?

Ich glaube, das Bananen-Problem kann ich nicht lösen. Aber lassen Sie mich noch eine Analogie benutzen: Würden Sie sagen, dass wir heute alle Autoren sind?

Weil wir Texte im Netz verbreiten?

Genau, mehr und mehr von dem, was wir an Artikeln konsumieren, ist von Freunden, Kollegen und anderen ganz normalen Menschen geschrieben. Einst kontrollierten die Mainstream-Medien das meiste, was geschrieben wurde. Jetzt lesen wir vermehrt, was Menschen wie wir schreiben. Sind wir Autoren oder Leser? Beides! Das ist die Lektion, die das Netz uns erteilt hat: Jeder ist Verleger. Sogar faule Menschen aktualisieren ihr Facebook-Profil. Die Unterscheidung zwischen Produzent und Konsument verschwimmt, wenn Sie die Produktionsmittel an alle verteilen.

Wo wir von Macht und Produktionsmitteln sprechen: Sie zitieren im Buch mehrfach Karl Marx. Müssen Kapitalisten vor 3-D-Druckern zittern?

Marx hatte in vielen Punkten recht und in manchen unrecht. Er hatte recht, wenn es um den Zugang zu Produktionsmitteln ging und wohl unrecht in Bezug auf den Kapitalismus. Der Kapitalismus von unten, den wir nun zum Beispiel im Internet sehen, erweist sich als pulsierend und effektiv. Er lässt nicht nur großen Konzernen Raum. Jeder kann eine Webseite, App, Firma schaffen. Dieser Graswurzel-Kapitalismus wird durch die Demokratisierung der Produktionsmittel ermöglicht. Auch die neue industrielle Revolution der 3-D-Drucker kann so eine Form des Kapitalismus hervorbringen - nur eben im industriellen Sektor. Es wird große Firmen geben, was toll ist, aber eben auch viele kleine.

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Quelle:
SZ vom 26.01.2013/fran
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