Internet-Rechtsdienstleister:Modern und liberal

Sperrung am Münchner Flughafen, 2019

Im vergangenen Jahr stieg das Passagieraufkommen am Münchner Flughafen auf fast 48 Millionen an.

(Foto: Marco Einfeldt)

Der BGH beschäftigt sich damit, ob Rechtsberatung im Internet zulässig ist. Es geht um Portale wie "Mietright". Die Branche blickt mit Spannung nach Karlsruhe: Die Worte der Richterin lassen eine erste Tendenz erkennen.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Es kommt nicht so häufig vor, dass eine gesamte Branche förmlich an den Lippen einer Richterin hängt, um aus ihren Worten herauszuhören, ob man eigentlich eine Zukunft hat. An diesem Mittwoch in einem ungeheizten Sitzungssaal des Bundesgerichtshofs (BGH) war das so. Geklagt hatte "Mietright", eines jener wirbeligen Legal-Tech-Unternehmen, die den Verbrauchern eine effiziente und risikolose Durchsetzung ihrer Ansprüche versprechen. Geld zurück mit ein paar Klicks statt mit kostspieligen Anwälten - in diesem Fall mithilfe von wenigermiete.de.

Wenn es um Rechtsberatung geht, wäre ein Massengeschäft auf Provisionsbasis nicht zulässig

Und weil der BGH sich zum ersten Mal mit dem Thema befasst, blickten viele der Start-ups gespannt nach Karlsruhe, die sich um Flug- und Zugverspätungen kümmern, oder um Abofallen und Abgasskandal, Fahrrad- und Autounfälle, Kündigung und Hartz 4. Ein Urteil wird am 27. November verkündet, aber was Karin Milger, Vorsitzende des achten BGH-Zivilsenats, zu sagen hatte, gab Anlass zu vorsichtigem Optimismus. Der Schlüssel zur Lösung liege im Rechtsdienstleistungsgesetz, zuletzt reformiert im Jahr 2008. Nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers, so Milger, sollte damals ein "modernes, liberalisiertes, zukunftsfähiges" Gesetz entstehen.

Modern, liberal und zukunftsfähig, das war genau das, was die Branche hören wollte. Oft gehe es ja um geringe Beträge, für die man sonst nicht zum Anwalt gehe, sagte Mietright-Anwalt Matthias Siegmann. "Wenn man die Durchsetzung solcher Forderungen will, dann muss man sich neuen Angeboten öffnen."

Richterin Milger hatte freilich nur die allgemeine Tendenz ihres Senats angedeutet; was das für Mietright am Ende bedeutet, ist offen. Denn der Teufel steckt im Detail. Das Portal wenigermiete.de lockt seine Kundschaft mit einem Onlinerechner, der mögliche Ansprüche aus der Mietpreisbremse ausrechnet. Nur einen Button weiter kann man das Unternehmen beauftragen, indem man seine Ansprüche abtritt. Mietright fungiert dann als Inkasso-Unternehmen. Im Erfolgsfall kassiert es ein Drittel der jährlichen Ersparnis; geht die Sache schief, entstehen für den Mieter keine Kosten. Das klingt alles sehr innovativ und effizient, hat aber einen rechtlichen Haken: Ist Mietright wirklich ein Inkasso-Unternehmen, das lediglich Forderungen einzieht? Nur dann darf es mit einem Erfolgshonorar arbeiten, das die Basis des Geschäftsmodells ist. Oder geht es in Wahrheit um Rechtsberatung, die den Rechtsanwälten vorbehalten ist? Dann wäre so ein Massengeschäft auf Provisionsbasis nicht zulässig; Erfolgshonorare sind Anwälten nur sehr eingeschränkt erlaubt.

Was also macht wenigermiete.de? Klar, letztlich will man das Geld einziehen, das dem Mieter zusteht. Das klingt nach Inkasso, auch wenn man früher darunter eher das Eintreiben unbezahlter Telefonrechnungen verstand. Der Vorsitzenden Richterin ist aber aufgefallen, dass der Mieter während des schwelenden Streits seine Miete nur noch unter Vorbehalt gezahlt hat. Das war klug, weil er sonst keine rückwirkenden Forderung stellen könnte - lässt aber vermuten, dass die Experten von Mietright ihm schon mit wertvollem juristischem Rat zur Seite standen. In der Ikeasprache würde man fragen: Kassierst du noch oder berätst du schon?

Die Lösung dürfte sich danach entscheiden, wo der Schwerpunkt des Angebots liegt - auf der Beratung oder auf der Einziehung. Eine Scheidung mit Zugewinnausgleich könne man sich schwerlich im Inkassoverfahren vorstellen, sagte Milger. Zugleich aber ist es den Inkassounternehmen durchaus erlaubt, rechts und links der Forderung ein wenig Rechtsrat zu erteilen, dafür hatte 2002 das Bundesverfassungsgericht gesorgt. Daher das neue Gesetz von 2008 - modern, liberal, zukunftsoffen.

Am Ende der Verhandlung war klar: Das BGH-Urteil wird nicht allen Legal-Tech-Unternehmen den roten Teppich in die Zukunft sein, dazu sind die Modelle zu unterschiedlich. 190 Unternehmen führt die Webseite "Legal Tech in Deutschland", ein kleiner Teil treibt Forderungen ein; andere erstellen Vertragsdokumente, legen Widerspruch gegen Blitzerknöllchen oder Hartz-4-Bescheide ein. Weshalb sich die Frage stellt, ob hier auch der Gesetzgeber ran muss.

Stoßen die sogenannten Legal-Tech-Firmen das Tor beim Zugang zum Recht weit auf?

Die FDP-Fraktion hat im April einen Gesetzentwurf vorgelegt, der letztlich auf eine Liberalisierung ganz im Sinne von Mietright hinausläuft. Aus Sicht des Fraktionsvize Stephan Thomae geht es darum, den Menschen den Zugang zum Recht zu erleichtern. "Denn oft lohnt es nicht, wegen kleiner Beträge zum Anwalt zu gehen, weder für den Verbraucher noch für den Anwalt, für den sich kleine Streitwerte oft nicht rechnen", sagte er der Süddeutschen Zeitun g. "Keiner will einen Stundensatz in dreistelliger Höhe zahlen, wenn es um 80 Euro Nebenkosten geht." Deshalb sollte der Markt für neue Modelle geöffnet werden, jedenfalls, wenn es um einfache Fallkonstellationen gehe. Stephan Breidenbach, Professor an der Viadrina-Universität in Frankfurt/Oder, würde hier sogar noch einen Schritt weiter gehen. "Legal Tech eignet sich für standardisierbare, sich wiederholende Konstellationen." Soll heißen: Sie müssen rechtlich nicht unbedingt besonders einfach sein. Entscheidend ist, dass bestimmte Situationen wiederkehren und Lösungen damit vorkonfiguriert werden können. Und da sieht er Potenzial für weitere innovative Modelle, etwa bei Versicherungen oder Krankenkassen - da hätten doch manchmal tausend Leute den gleichen Streit.

Stößt Legal Tech also das Tor beim Zugang zum Recht weit auf, in einer Zeit, in der die Menschen den Gang zum Gericht eher scheuen? Matthias Kilian, Professor an der Universität Köln, bremst die Euphorie. "Legal Tech löst Probleme in engen Bereichen, mit Anbietern, die das als wirtschaftlich lukrativ ansehen", sagte er der SZ. Die Fluggastrechte zum Beispiel: Da stelle sich schon die Frage, ob deren Durchsetzung wirklich existenziell für den Rechtsstaat sei - oder ob das doch eher in die Kategorie nice to have gehöre: Man nimmt das Geld halt mit, wenn die Durchsetzung keine Umstände macht. Dies müsse man bedenken, bevor man zur Liberalisierung schreite. "Denn wenn den Inkassounternehmen wirklich die Rechtsberatung erlaubt würde - dann haben wir den Rechtsanwalt light."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: