EU-Kommission:Streit ums Netz

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Das EU-Digitalpaket soll auch die Nutzer in sozialen Netzwerken schützen. (Foto: oh)

Das neue EU-Digitalpaket soll den Wettbewerb im Internet erleichtern und Nutzer vor illegalen Produkten und personalisierter Werbung schützen - doch es zeichnen sich erste Konflikte ab.

Von Karoline Meta Beisel, Brüssel

Das Digitalpaket, das die EU-Kommission am Dienstagnachmittag vorgestellt hat, soll den Wettbewerb im Internet erleichtern und die Art und Weise verändern, wie Nutzer sich in sozialen Netzwerken bewegen können: Sie sollen weniger illegale Produkte angezeigt bekommen, und mehr Einfluss darauf haben, welche Inhalte ihnen angezeigt werden oder nicht. Außerdem sollen beherrschende Plattformen strenger kontrolliert werden.

Als nächste müssen sich Parlament und Mitgliedstaaten mit den Vorschlägen beschäftigen. Aber bei allem grundsätzlichen Lob lässt sich aus den ersten Reaktionen von Politik, Forschung und Verbänden auf die Gesetzesinitiative bereits jetzt erahnen, um welche Punkte dabei besonders gerungen werden wird.

So soll für die Durchsetzung der neuen Regeln in den Mitgliedstaaten vor allem eine noch zu bestimmende unabhängige Stelle zuständig sein, die etwa auch Bußgelder verhängen können soll, der sogenannte "Digital Services Coordinator". Beim Verband der Internetwirtschaft eco hält man die angedachte Ausgestaltung dieser neuen Stelle für "überdimensioniert": Eine Aufsichtsbehörde mit derart "grenzenlosem Befugnisspielraum" und Eingriffsmöglichkeiten könne der Entwicklung des digitalen Marktes in der EU "nachhaltig schaden", heißt es in einer Mitteilung. In der Forschung fürchtet man dagegen eher das Gegenteil: Da viele große Internetkonzerne in Dublin sitzen, dürfte in der Praxis oft Irland für die Durchsetzung zuständig sein, "was weder mit Blick auf Privatsphärenschutz noch auf Besteuerungsgerechtigkeit in der Vergangenheit gute Ergebnisse gezeigt hat", sagt Jurist Matthias Kettemann vom Hamburger Hans-Bredow-Institut.

Ein anderer Streitpunkt dürfte sein, wie stark die Möglichkeiten eingeschränkt werden, durch personalisierte Werbung Geld zu verdienen. Die grüne Europaabgeordnete Alexandra Geese kritisiert, dass die Kommission kein vollständiges Verbot von personalisierter Werbung und Tracking vorgeschlagen hat. Fehlanreize für Internetplattformen würden dadurch erhalten bleiben. Auch ihr SPD-Kollege Tiemo Wölken fürchtet: "Plattformen werden weiterhin aufmerksamkeitsheischende Inhalte bevorzugt anzeigen, wenn sich dadurch mehr Geld durch personalisierte Werbung verdienen lässt."

Medienverbände dagegen fürchten um die Verdienstmöglichkeiten ihrer Mitglieder. Mehr Transparenzregeln für Onlinewerbung und Algorithmen seien zwar "nachvollziehbar", heißt es etwa beim Verband privater Medien Vaunet. "Die neuen Vorschriften sollten allerdings auch mögliche Auswirkungen auf die Refinanzierung von journalistisch-redaktionellen Medienangeboten im Blick behalten." Die europäischen Verlegerverbände Emma und Enpa fordern sogar eine "Verpflichtung für marktbeherrschende Plattformen, mit allen legalen Publikationen in Verhandlungen einzutreten und ihnen eine faire Bezahlung für ihre Inhalte anzubieten."

Die Gesetzesvorschläge enthalten auch Regeln, wie Plattformen beim Löschen illegaler Inhalte vorgehen sollen. Und auch hier gehen die Meinungen auseinander: Während gerade Bürgerrechtsorganisationen vor Gefahren für die Meinungsfreiheit durch "Overblocking", also durch zu großzügiges Löschen warnen, fordert etwa die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft, illegale Inhalte unverzüglich abzustellen. "Dafür braucht es kein Anreizsystem für Online-Plattformen, sondern klare Kante", sagt Spio-Präsident Thomas Negele.

Eine häufig geäußerte Sorge betrifft außerdem den Zeitplan: wegen der komplexen Materie und der weit auseinanderliegenden Interessen werde es noch sehr lange dauern, bis die Gesetze verhandelt seien und in Kraft treten könnten - Jahre, in denen beherrschende Plattformen ihre Position weiter ausbauen könnten. Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager schätzte am Dienstag anderthalb Jahre. Einer zumindest hat aber bereits angekündigt, bei den Verhandlungen Tempo machen zu wollen: Er wolle das Gesetz während der französischen Ratspräsidentschaft fertigstellen, sagt Frankreichs Europaminister Clément Beaune - das wäre im ersten Halbjahr 2022.

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