Internet der Dinge:"Wir wissen jederzeit, wo Sie sind"

Das Internet der Dinge ist das neueste Versprechen aus dem Silicon Valley. Wenn die Konzerne Daten sammeln, ergeben sich viele Fragen.

Von Jürgen Schmieder

Es ist die beiläufige Selbstverständlichkeit, die einen stutzig werden lässt. Da stellt einem dieser junge Mann eine neue Applikation vor; er verwendet dabei sämtliche Floskeln aus dem Handbuch für Produktpräsentationen - und weil es sich um eine Idee aus dem Silicon Valley handelt, muss das alles natürlich "smart" sein: Es gibt Smart Phone, Smart Home, Smart Watch, der junge Mann stellt nun Smart City vor. "Wenn mehrere Autofahrer auf der gleichen Straße bei Twitter schreiben, dass sie im Stau stehen, dann weiß die Verkehrsbehörde, was da los ist", sagt er. Klingt sinnvoll, doch woher weiß die App, wo sich ein Twitter-Nutzer befindet, der lediglich "Schon wieder Stau auf dem Weg zur Arbeit" schreibt? Der junge Mann lächelt milde und sagt: "Natürlich wissen wir jederzeit, wo Sie sind!"

Es ist die firmeneigene Technologiekonferenz von Hewlett Packard Enterprise (HPE) in Las Vegas; es sind nur wenige Journalisten da und auch kaum Privatbesucher. Die Tech-Branche ist hier also weitgehend unter sich und darf ungestört über die schöne neue Welt reden. Über die Welt, so wie sie sie sehen. Es gibt eine Medizin-App, die ist ebenfalls superschlau. Der Patient kann Daten wie Blutdruck und Temperatur per Smartphone an den Arzt übermitteln und per Videotelefonie mit ihm sprechen. Die Medikamente bekommt er aus der Apotheke geliefert und nebenbei mitgeteilt, dass Menschen mit ähnlicher Fitness und ähnlichen Symptomen nach durchschnittlich drei Tagen wieder auf den Beinen sind.

Firmen sollen sich anpassen oder verschwinden

Klingt herrlich, doch woher kennt die App die Genesungsdauer so vieler verschiedener Patienten? Die Frau am Stand lächelt nur und bescheidet einen: "Wir speichern diese Daten natürlich!"

In der Zeitschrift dieser Veranstaltung, da ist auf der Doppelseite in der Mitte ein Himmel voller Wolken zu sehen. Auf der linken Seite wirkt er hell und freundlich, auf der rechten eher düster und bedrohlich - was eine ziemlich treffende Beschreibung des Internets der Dinge ist, dem aktuellen Versprechen aus dem Silicon Valley auf eine neue Welt. Die in fetten Buchstaben vermerkte Botschaft lautet: "Adapt or Die! - pass dich an oder stirb". Der dazugehörige Artikel ist eine gar nicht mal so besonders subtil formulierte Aufforderung an Unternehmen, sich entweder an der digitalen Revolution zu beteiligen oder doch bitte schön so freundlich zu sein und zu verschwinden. Wer sich ein paar Tage lang auf dieser Konferenz umhört, dem dämmert: Gemeint ist damit auch jeder einzelne Mensch.

"Es ist die spannendste Zeit in der Technologiebranche seit der Erfindung des ersten Computers", sagt Antonio Neri. Er ist bei HPE verantwortlich für den Internet of Things-Bereich: "Es ist eine neue Welt: Wir tun Dinge, die noch vor 20 Jahren undenkbar gewesen wären: Wer eine Frage hat, bekommt auf seinem Smartphone sofort eine Antwort. Wer eine Reise buchen möchte, kann das hier und jetzt tun. Die Menschen sind daran gewöhnt, dass sie immerzu mit der Welt verbunden sind und dass sie etwas verpassen könnten, wenn sie nicht mitmachen." Heißt übersetzt: Sie schwimmen mit, weil sie nicht ertrinken wollen.

Es ist eine gewaltige Datenmenge, die bereits jetzt um uns herumschwirrt und viel über uns verrät: Das Fitnessarmband überwacht Herzschlag und Aktivitäten, das schlaue Haus den Strom- und Wasserverbrauch, das in Las Vegas ebenfalls vorgestellte vollvernetzte Auto sämtliche Details unserer Fahrten. Es soll noch viel mehr werden, das Internet der Dinge soll, das ist die Vision aus dem Valley, unser Leben komplett verändern. Alles soll mit allem verbunden sein, zu jeder Zeit und an jedem Ort. "In Zukunft wird jedes Unternehmen eine Technologiefirma sein", ist so ein Satz, der andauernd zu hören ist - was letztlich auch bedeutet: Jeder Mensch soll künftig ein Technologiemensch sein. Auch Neri sagt diesen Satz, er betont aber auch: "Es ist eine spannende Zeit, sie ist aber auch spannend für Betrüger."

"Ein Fitnessarmband zählt nicht nur Schritte und misst den Herzschlag."

Diese Debatte wurde auch auf der Unterhaltungselektronik-Messe CES im Januar schon geführt. Durch das Internet der Dinge rücken technische Geräte so nahe wie nie zuvor an den Menschen heran. Die Anpasser preisen das als Evolution zu besserer Lebensqualität (die Gesundheits-App könnte etwa bei einem Schlaganfall automatisch den Notdienst rufen) und erhöhter Sicherheit (die Smart-City-App könnte über schlaue Bildererkennung anhand der Nummernschilder nach gestohlenen Autos Ausschau halten). Bedenkenträger wie Gary Kovacs von der Sicherheitsfirma AVG Technologies dagegen warnen vor dem Ende jeglicher Privatsphäre: "Sie müssen sich bewusst machen, dass so ein Fitnessarmband nicht nur Schritte zählt und den Herzschlag misst. Es sammelt Daten, wann Sie Sport treiben, wann Sie schlafen, wann Sie mit ihrem Partner intim sind. Ein vernetztes Auto weiß, wo sie sich rumtreiben - und das bequeme Reisebüro weiß, wann genau sie in welcher Stadt sein werden." Die Debatte erinnert ein wenig an die Diskussion zwischen einem Veganer und einem Metzger. Der eine bezeichnet den anderen wahlweise als rückständigen Hinterwäldler oder Helfer des Teufels. Es lohnt deshalb, sich mit einem der wenigen Mitglieder einer dritten Gruppe zu treffen, die schon einige Technik-Trends erlebt haben und deshalb nicht jedem Hype folgen - die aber auch nicht fordern, dass die Menschen zur Rettung der Gesellschaft wieder in Höhlen leben und per Rauchzeichen kommunizieren sollen.

Wer Neri ein wenig zuhört, der bemerkt recht schnell, dass er zu dieser dritten Gruppe gehört und weder von grenzenlosem Optimismus noch von kulturpessimistischer Jammerei allzu viel hält. Er sucht vielmehr nach pragmatischen Lösungen für eine Entwicklung, die sich, so glaubt er, nicht vermeiden lässt. "Es wird von der Politik nur Rahmenbedingungen geben, an die sich Unternehmen zu halten haben", sagt er: "Jeder Mensch muss sich selbst darüber informieren, was mit seinen Daten passiert. Ich sage meinen Kindern andauernd: Was du heute tust, das wird Thema beim ersten Vorstellungsgespräch sein. Das ist die Realität! Also sei vorsichtig, was du machst."

Sie wird also kommen, diese neue Welt mit dem Internet der Dinge, die Zukunft wartet nicht. Das kann man grandios finden oder schrecklich, man kann mitschwimmen oder untergehen oder sich irgendwie an Land retten. Sicher ist bei alledem nur eines: Wer sich künftig in diesem Ozean aufhält, der ist zwar zu keiner Sekunde allein und unbeobachtet, letztlich kann er sich dort aber doch nur auf sich selbst verlassen.

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