Interner Streit um Ausstiegspläne:Revolte gegen Atomkonzerne

Ein Machtkampf, der einer Revolution gleichkommt: Mitten in der Debatte über die Zukunft der Kernkraft entbrennt in Deutschlands Energiebranche heftiger Streit. Die Verteidiger der Atomenergie sind regelrecht isoliert. Das schwächt ihre Schlagkraft.

Markus Balser

Der Zirkel ist erlesen, die Themen sind brisant: In der Düsseldorfer Runde kommen regelmäßig führende Manager der Betreiber von Atomkraftwerken RWE, Eon, Vattenfall und EnBW zusammen. Mehrfach hat sich die Runde seit der Atomkatastrophe von Fukushima ausgetauscht. Es ging um die Frage, wie es weitergehen könne mit der deutschen Atombranche. Bei der letzten Sitzung aber sei die einst so mächtige Runde angespannter gewesen als sonst. Sie habe gespürt, dass ihr nun auch noch der wichtigste Rückhalt für die Zukunft der Kernenergie in Deutschland entgleite: die eigene Branche.

Proteste gegen Atomenergie

Bisher gab es Anti-Atom-Proteste gegen den RWE-Konzern nur auf der Straße, wie im Bild vor der Unternehmenszentrale in Essen. Doch jetzt sitzen die Gegner der Kernenergie auch im eigenen Branchenverband. Der traf einen Beschluss zum schnellen Ausstieg.

(Foto: dapd)

Mitten in der hitzigen öffentlichen Debatte über die Zukunft der Atomkraft ist in der deutschen Energiewirtschaft offener Streit über diese Frage ausgebrochen. Am Wochenende löste eine überraschende Kehrtwende des Bundesverbands der Deutschen Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) Entsetzen in der Atombranche aus. Der Branchenverband spricht sich jetzt offen für einen "schnellen und vollständigen Ausstieg aus der Kernenergienutzung" aus - gegen den Willen der Atomkonzerne im Verband. Möglichst schon 2020, spätestens aber entsprechend den Vorgaben des rot-grünen Ausstiegsbeschlusses in den Jahren 2022 bis 2023 soll nun auch nach dem Willen der Energiebranche der letzte der 17 deutschen Reaktoren vom Netz gehen. So beschloss es der BDEW auf einer außerordentlichen Sitzung.

Der Beschluss des seit Jahren von den Interessen der vier großen Atomkonzerne in Deutschland dominierten Verbandes kommt einer Revolution gleich. Denn zum ersten Mal setzen sich damit die Vertreter von Stadtwerken, Gaslieferanten sowie grüner und CO2-armer Stromerzeugungstechniken gegen die bislang übermächtige Kernkraftlobby durch. Während der Debatte um die Laufzeitverlängerung im Sommer 2010 hatte sich der Verband noch auf eine kernkraftfreundliche Position festgelegt.

"Die Reaktorkatastrophe in Fukushima hat die energiepolitische Debatte in Deutschland schlagartig verändert", sagt Verbandspräsident Ewald Woste zur Kehrtwende seines Verbandes. Fast alle gesellschaftlichen Gruppen und politischen Parteien hätten in kürzester Zeit eine Neubewertung der Kernenergie-Risiken vorgenommen. "Dies erfordert eine neue Positionierung der Energiepolitik und der Energiewirtschaft." BDEW-Hauptgeschäftsführerin Hildegard Müller sagte: "Wir haben das nach intensiver Debatte gemeinsam beschlossen. Natürlich werden einzelne Unternehmen diesen Beschluss für sich gesondert bewerten. Das ist legitim, stellt aber den Branchenkompromiss insgesamt nicht in Frage."

Die Schlagkraft ist geschwächt

Die Schlagkraft der Atomlobby ist damit entscheidend geschwächt. Durch den sonst um eine Stimme bemühten Verband geht ein tiefer Riss. Nach Informationen aus Verbandskreisen haben vor allem kleine und große Stadtwerke sowie Gasversorger für den schnelleren Ausstieg gestimmt. Sie wollten die Gunst der Stunde nutzen, um sich für die Laufzeitverlängerung im vergangenen Jahr zu rächen. Die Dominanz der großen vier in der deutschen Energiewirtschaft schade der Energiewende und müsse ein Ende haben, heißt es in Verbandskreisen.

Revolte der Kleinen

Die vier großen Energiekonzerne beherrschen fast 80 Prozent des Marktes. Der BDEW vertritt rund 1800 Versorger unterschiedlicher Größe, unter ihnen lokale und kommunale Energieunternehmen. Sie sahen die von Schwarz-Gelb beschlossenen Atom-Laufzeitverlängerungen schon in der Vergangenheit kritisch.

Die Energieriesen RWE und Eon reagierten nach Angaben aus Verbandskreisen bestürzt auf den Beschluss. Sie hätten ihn nicht mitgetragen. Deutschlands größter Energieversorger Eon erklärte, es halte die vom Branchenverband beschlossene Festlegung auf konkrete Jahreszahlen für eine Abschaltung der Kernkraftwerke in Deutschland für "grundsätzlich falsch". Erst müsse eine neue Energiestrategie für Deutschland erarbeitet werden, bevor neue Ausstiegsdaten terminiert werden könnten. Der Konzern drohe damit, aus dem Verband auszusteigen, verlautete aus dem BDEW. Auch ein RWE-Sprecher erklärte, der Konzern halte die Festlegung für einen Fehler. Der EnBW-Konzern als weiterer Betreiber von Atommeilern war nach eigenen Angaben "aus terminlichen Gründen" gar nicht vor Ort.

Den Kleinen hilft bei ihrer Revolte, dass sich auch die Großen nicht grün sind. Während RWE gegen das Atommoratorium klagen will, lehnt Eon die Eskalation im Streit mit der Bundesregierung ab. "Wenn wir uns dauernd aufplustern, erreichen wir gar nichts", heißt es bei Eon. Zudem geraten die Atombefürworter in den eigenen Unternehmen immer stärker in die Kritik. Nach Angaben aus Unternehmenskreisen werde RWE-Chef Jürgen Großmann nun auch intern für seinen "starren Atomkurs" kritisiert. Auf der Hauptversammlung Ende April werde sich Großmann auch von Investoren kritische Stimmen anhören müssen, hieß es weiter.

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