Internationaler Währungsfonds:Vernichtende Komplimente

Schäuble mag Lagarde, Lagarde mag Schäuble - und doch: In fast allen wichtigen Fragen liegen Deutschland und der IWF über Kreuz.

Von Cerstin Gammelin und Claus Hulverscheidt, Washington

Man hätte gern gewusst, was Wolfgang Schäuble durch den Kopf ging, als ihm der Moderator die vorletzte Frage stellte. "Herr Minister, Sie hören hier ständig: Deutschland braucht. . ., Deutschland muss. . . Deutschland sollte . . . Sind Sie wütend oder vielleicht sogar schon stinksauer, dass Sie sich von jedem anhören müssen, was Ihr Land zu tun hat?" Die Menschen, die sich im überfüllten Atrium des Hauptquartiers des Internationalen Währungsfonds (IWF) drängten, blickten den Finanzminister gespannt an. Schäuble legte die Stirn in Falten und zögerte einen Moment. "Nein", sagte er dann, "ich versuche, mich nicht zu ärgern. Ich nehme es als Kompliment."

So gesehen, hielt die diesjährige Herbsttagung von IWF und Weltbank in Washington jede Menge Komplimente für die deutsche Delegation bereit. Die Probleme der Deutschen Bank, die Handelsbilanzüberschüsse der Bundesrepublik, die Debatte um einen Schuldenschnitt in Griechenland: In fast allen Fragen von Belang liegen die Bundesregierung und der Währungsfonds derzeit über Kreuz. Daran konnten weder die Beschwichtigungsversuche der Beteiligten etwas ändern noch die betonte Herzlichkeit, die Schäuble und IWF-Chefin Christine Lagarde im Umgang miteinander an den Tag legten.

Stetigkeit und Verlässlichkeit? Aus Sicht internationaler Experten ist das nicht genug

Anders als in früheren Jahren, als Diskussionen zwischen der Bundesregierung und dem IWF oft wie ein wirtschaftstheoretischer Akademikerstreit wirkten, geht es Lagarde diesmal um ein handfestes Problem: Wie lässt sich die globale Wachstumsschwäche überwinden, unter der viele Länder seit der Finanzkrise von 2008 leiden? Und wichtiger noch: Wie zwingt man jenen Ungeist des Populismus in die Flasche zurück, der sich aus dem Frust vieler Menschen über Arbeitslosigkeit und Ungleichheit nährt und sich weltweit immer mehr breit macht?

Es ist ein Problem, das auch Schäuble umtreibt, wie er bei der Podiumsdiskussion in der IWF-Zentrale deutlich machte. Seine Lösungsansätze jedoch - Stetigkeit, Verlässlichkeit, Redlichkeit in der Haushaltspolitik, garniert mit Mini-Steuersenkungen - greifen aus Sicht vieler Experten zu kurz. Sie fordern stattdessen, dass Länder mit solider Haushaltspolitik die Phase ultra-niedriger Zinsen nutzen, um Investitionen, die Importnachfrage und damit letztlich die Weltkonjunktur anzuschieben. Im Blick hat der Fonds vor allem Deutschland, Kanada und Südkorea.

Die Bundesrepublik, so die Argumentation des IWF, würde mit einem solchen Investitionsprogramm nicht nur sich selbst einen Gefallen tun und Straßen, Kindergärten und Digitalnetze ausbauen. Vielmehr könnte sie zugleich den immensen Handelsüberschuss abbauen und damit der Welt einen Dienst erweisen. Als Größenordnung schwebt dem IWF ein Betrag von zwei Prozent der Wirtschaftsleistung über drei Jahre vor. Im Falle Deutschlands wären das rund 60 Milliarden Euro.

Doch nicht nur in der Frage der Handelsüberschüsse liegen Deutschland und der Fonds über Kreuz. Auch beim Thema Griechenland prallten die unterschiedlichen Positionen wieder aufeinander: Der IWF fordert eine weitere deutliche Verringerung der immensen Schuldenlast, die Athen drückt; Deutschland lehnt das ab.

Wo so viel Uneinigkeit herrscht, sind auch Missverständnisse nicht weit. So erregte sich Schäuble darüber, dass der IWF-Experte Peter Dattels am Mittwoch öffentlich Zweifel am Geschäftsmodell der siechen Deutschen Bank geäußert hatte. Als ihn der Moderator jener Podiumsdiskussion später fragte, ob die Bundesregierung das Geldhaus notfalls vor dem Kollaps retten würde, reagierte der Finanzminister entsprechend dünnhäutig: Er werde sich dazu nicht äußern, sagte er und fügte dann spitz an: "Kommentare zur Deutschen Bank überlasse ich dem IWF."

Immerhin: Schäuble schätzt seine einstige Pariser Kollegin Lagarde so sehr, dass er sich zum Abschluss der Debatte um eine Wiederannäherung bemühte. Gefragt, was sein Lieblingsgericht sei, antwortete er ohne jedes Zögern: "Französisch! Meine Lieblingsküche ist französisch."

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