Internationaler Währungsfonds:IWF warnt vor schwerem Schaden durch Brexit

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Unwetter an der französischen Atlantikküste: Die immer extremeren Wetterbedingungen belasten laut IWF auch die Wirtschaftsentwicklung.

(Foto: LOIC VENANCE/AFP)
  • Der Internationale Währungsfonds senkt seine Konjunkturprognosen für die Jahre 2015 bis 2017 zum zweiten Mal binnen kurzer Zeit.
  • Grund sind politische und ökologische Gefahren, aber auch zahllose ökonomische Risiken wie etwa der Brexit.

Von Claus Hulverscheidt, New York, und Cerstin Gammelin, Berlin

Terrorangst, Klimawandel, innenpolitische Radikalisierung: Auf der Weltwirtschaft lasten nach Einschätzung des Internationalen Währungsfonds (IWF) nicht nur immer mehr ökonomische Risiken, sondern auch eine wachsende Zahl von politischen und ökologischen Gefahren. Der Gegenwind ist so immens, dass der Fonds seine Konjunkturprognosen für die Jahre 2015 bis 2017 nun zum zweiten Mal binnen Monaten auf breiter Front gesenkt hat: Weltweit betrachtet ist demnach in diesem Jahr nur noch mit 3,1, im kommenden Jahr mit 3,2 und 2017 mit 3,5 Prozent Wachstum zu rechnen. Im vergangenen Oktober hatten die Vorhersagen noch um bis zu 0,4 Punkte höher gelegen.

Dass die Konjunkturentwicklung durch Kriege, Konflikte und andere geopolitische Risiken bedroht wird, ist nicht grundsätzlich neu. Gegenwärtig aber ballen sich die Gefahren derart, dass der IWF auch einen weltwirtschaftlichen Absturz nicht mehr ausschließt. Sowohl die USA als auch viele Staaten Europas seien zunehmend mit sich selbst beschäftigt, schreibt der Fonds unter Anspielung auf den Aufstieg populistischer Politiker und Parteien in seinem neuen "World Economic Outlook". "Die Gründe dafür sind komplex, aber gewiss auch Ausdruck einer zunehmenden Einkommensungleichheit sowie struktureller Veränderungen, von denen aus Sicht vieler Menschen die ökonomischen Eliten profitieren, während andere das Nachsehen haben", schreiben die IWF-Ökonomen. "Das Ergebnis könnte vielerorts ein Kurswechsel hin zu einer nationalistischeren, teils auch protektionistischeren Politik sein."

Die Geldpolitik müsse noch lockerer werden, die Regierungen sollen mehr investieren

Zu dieser Entwicklung tragen laut Bericht auch die verbreitete Angst vor Terroranschlägen, das Flüchtlingsdrama in Europa, immer extremere Wetterbedingungen in Teilen der Welt sowie selbstangezettelte Debatten wie die um einen Brexit bei, also einen möglichen EU-Austritt Großbritanniens. Hinzu kommen die eigentlichen ökonomischen Risiken, darunter die Gefahr schwankender Börsenkurse, anhaltender Währungsturbulenzen und einer zunehmenden Kreditknappheit. In den Industrieländern bestehe zudem die Gefahr, dass sich die seit Jahren schleppende wirtschaftliche Entwicklung verselbständige und in eine "lang anhaltende Stagnation mündet".

Für Deutschland sagt der IWF Wachstumsraten von 1,5 Prozent in diesem und im kommenden sowie 1,6 Prozent im Jahr 2017 voraus. Für Frankreich und Italien liegen die Vorhersagen noch etwas niedriger, für Spanien und Großbritannien etwas höher. Auch die USA müssen sich auf - für ihre Verhältnisse - mäßige Wachstumsraten von zweimal 2,4 und einmal 2,5 Prozent einstellen. In Japan wird sich das Siechtum rund um den Nullpunkt wohl fortsetzen, Russland und Brasilien drohen dem Bericht zufolge lange Rezessionen. China hingegen dürfte die jüngste Wachstumsschwäche in den Griff bekommen und sich bei Raten zwischen 6,9 Prozent in diesem Jahr und 6,2 Prozent 2017 stabilisieren. Allerdings sei beim laufenden Umbau der Wirtschaft noch mit vielen "Schlaglöchern" zu rechnen. Indien traut der Fonds sogar jährliche Zuwächse von etwa 7,5 Prozent zu.

Angesichts der zahlreichen Risikofaktoren fordert der IWF die großen Notenbanken der Welt auf, ihre lockere Geldpolitik fortzusetzen und auf aus seiner Sicht verfrühte Leitzinserhöhungen zu verzichten. Die Verantwortung für die Stabilisierung der Weltwirtschaft dürfe aber nicht allein bei den Zentralbanken abgeladen werden. Vielmehr müssten Regierungen, die sich das finanziell leisten könnten, ebenfalls bereit sein, zur Konjunkturbelebung notfalls mehr Geld auszugeben.

Gemeint ist unter anderem die Bundesregierung, die als eine der wenigen auf der Welt ihren Haushalt ohne neue Schulden finanzieren kann. Sie wird sich deshalb bei der Frühjahrstagung von IWF und Weltbank in dieser Woche in Washington einmal mehr mangelnden Wachstumseifer vorhalten lassen müssen. Wie schon in früheren Jahren fühlt man sich in Berlin jedoch nicht angesprochen: Man müsse immer wieder daran erinnern, dass die Prognosen für die Weltkonjunktur trotz aller Abwärtsrevisionen weniger schlecht seien, "als uns einige immer glauben machen wollen", sagte ein ranghoher Regierungsbeamter. Natürlich werde man die Zahlen des Fonds genau analysieren. Sie seien aber "kein Grund, mit der Alarmglocke durch die Welt zu laufen".

Statt neue Ausgabenprogramme anzukündigen, will Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) nach den Worten des Beamten darauf dringen, dass die Weltgemeinschaft "Kurs hält" und erst einmal die bereits angekündigten Maßnahmen umsetzt. Zudem wird er für Strukturreformen werben, also etwa für Umbauten der Arbeitsmärkte und Sozialsysteme sowie verbesserte Investitionsbedingungen für private Unternehmen. Über diese Reformen werde immer wieder gesprochen, es sei mit ihnen jedoch wie mit dem berühmten Yeti, sagt der Beamte: "Viele haben ihn schon getroffen, aber ob es ihn gibt, weiß keiner."

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