Intelligent, beweglich, widerstandsfähig:Der große Wert der Migranten für Europa

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Einwanderer? Man sollte oft lieber von mobilen Geschäftsleuten sprechen. Europa verharrt in Angststarre. Dabei sind viele Migranten besser qualifiziert als Einheimische. Und ihre Aktivitäten sind längst Motoren des globalisierten Wirtschaftskreislaufs.

Von Christiane Schlötzer, Istanbul, Roland Preuß und Sebastian Schoepp

Kemal Şahin hat einen festen Händedruck und geschliffene, fast altmodische Manieren, er nennt sich selbst einen "preußischen Türken". Seinen Aufstieg vom anatolischen Bauernsohn zum Chef eines türkisch-deutschen Unternehmens mit mehr als einer Milliarde Euro Umsatz im Jahr verdankt er einer Mischung aus deutschem Fleiß und türkischem Improvisationstalent, aber auch guten Kenntnissen der Finessen deutscher Bürokratie. Der Grund für seinen Erfolg sei, sagt Şahin, dass er sowohl die türkische als auch die deutsche Kultur kenne.

Ein Brückendasein. Şahin studierte als junger Mann in Aachen, wurde Ingenieur, bekam aber nach dem Abschluss 1982 keine Arbeitserlaubnis und stand vor der Ausweisung. In der Türkei hatten gerade die Generäle geputscht, Şahin wollte erst mal nicht zurück. Mit 5000 Mark, die er als Werkstudent im Bergbau verdient hatte, machte er sich mit einem Laden für Geschenkartikel selbständig.

Kompetenz in mehreren Kulturen

Heute ist seine Holding ein weltweit agierendes Textilunternehmen, das in der Türkei ebenso produziert wie in Indien, China, Ägypten und Jordanien. Der 59-Jährige beliefert europäische Modehäuser und ist Partner von Filmproduzenten wie Walt Disney und Warner Bros. Von 2004 bis 2006 war er Präsident der Türkisch-Deutschen Handelskammer mit Sitz in Istanbul.

"Ich habe mich nach oben durchgeboxt", sagt Şahin. Nun möchte er andere teilhaben lassen an seinen Erfahrungen. 2012 gründete er mit Unternehmern und deutschen Politikern die Stiftung Eğitim - Bildung. "Kompetenz zwischen den Kulturen" will die Stiftung fördern, mit Praktika und Seminaren für Schüler, Lehrer und Eltern. "35 Prozent der Kinder, die heute in Deutschland geboren werden, haben einen Migrationshintergrund", betont der Stifter. Die deutsche Wirtschaft sei auf dieses Potenzial in Zukunft angewiesen.

Aber auch die Türkei braucht Menschen mit Migrationsgeschichte wie Kemal Şahin. Sie haben das Land zu einem wirtschaftlichen Tigerstaat gemacht, der längst über den Status eines Schwellenlandes hinausgewachsen ist. Der Essener Kulturwissenschaftler und Politologe Claus Leggewie nennt die Türkei als Paradebeispiel für geglückte Migrationsentwicklung.

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Aus der Wanderung Hunderttausender in Richtung Mittel- und Nordeuropa seien "hochmobile Kohorten" entstanden, "die sich zwischen der Türkei und Europa (und auf dem Weltmarkt) bewegen, ohne damit ihre nationale Identität ganz aufzugeben". Solche Kosmopoliten bereicherten nicht nur den Kulturbetrieb, "sondern auch die transnationalen Unternehmen, die Nachbarschaften, die internationale Diplomatie".

Migration ist Menschenschicksal seit biblischen Zeiten, aber nie waren so viele unterwegs wie jetzt. Nach UN-Schätzungen leben eine Viertelmilliarde Menschen außerhalb der Grenzen ihres Geburtslandes, das entspricht in etwa der Bevölkerung Brasiliens. Das Ziel der meisten Wanderer sind die Industrieländer. Dort wird Migration häufig als Bedrohung des Lebensstandards und der Sozialkassen angesehen; bestenfalls noch können Migranten mit paternalistischem Mitleid rechen.

Ihrem tatsächlichen Potenzial wird das nicht gerecht. In der Regel arbeiteten Migranten hart und seien innovativ, urteilte 2011 das britische Wirtschaftsmagazin Economist. Das Blatt zitierte eine Studie der US-amerikanischen Duke University, wonach Einwanderer ein Achtel der Bevölkerung der Vereinigten Staaten ausmachen, aber ein Viertel der Technologie- und Ingenieursbetriebe gegründet haben.

Lange schon plädieren globale Wirtschaftsinstitute dafür, Migration nicht mehr als Problem wahrzunehmen, sondern als Chance. Dilip Ratha, Leiter der Einwanderungsabteilung der Weltbank, sagte am Rande der Frühjahrstagung 2014 zum Ersten Deutschen Fernsehen: Migranten gehörten zu den "wichtigsten Investoren unserer Zeit, weil sie etwas aufbauen wollen".

Laut Weltbankstudien spart ein Einwanderer durchschnittlich 20 Prozent seines Einkommens, um es zu investieren. Pro Jahr generieren Migranten so weltweit mehr als zwei Billionen Dollar - ein riesiges Potenzial, das viele Länder nicht erkannt hätten.

Es sind dynamische Kosmopoliten dabei wie der Siemens-Mitarbeiter Ilker Yavuz, ein Deutsch-Türke, der sich flexibel zwischen den Welten bewegt. Er wurde in Bayern geboren, seine Familie zog später in die Türkei zurück, da war er elf Jahre alt. Doch als er studieren wollte, besann er sich seines Geburtslandes.

Mithilfe eines deutschen Stipendiums ging Yavuz nach Bamberg in Nordbayern, studierte Volkswirtschaft, arbeitete drei Jahre bei einer großen Versicherung, ehe er wieder in die Türkei ging und bei der Siemens-Niederlassung in Istanbul anheuerte. Eine Rückkehr nach Deutschland sei für ihn weiterhin eine Option, sagt er, aber er ist so international orientiert, dass er auch in ein anderes Land gehen würde, wie er sagt. Die Hauptsache ist für ihn: Es muss vorwärts gehen.

Vorteile für das Aufnahmeland

Wie viele andere Migranten hat Yavuz einen Platz an der Schnittstelle der Kulturen gefunden. Geprägt vom Leben in Deutschland und der Türkei, arbeitet er für einen deutschen Konzern in der Türkei. Das hat nicht nur ihn vorangebracht, es nützt beiden Ländern. Für Siemens sind Kulturwandler wie er die ideale Besetzung für eine Auslandsniederlassung. Er repräsentiert die nächste Generation nach Selfmade-Männern wie Kemal Şahin.

Ökonomen kommen mit Blick auf solche Karrieren zu einem eindeutigen Ergebnis: Migration lohnt sich, zumindest wenn sie freiwillig stattfindet. Eine Massenvertreibung oder Flüchtlingswellen wie in Syrien lassen sich schwer in ökonomische Modelle pressen, sie haben Folgewirkungen bis hin zur Destabilisierung von Nachbarstaaten.

Die freiwillige Migration aber, auch wenn von Not oder Armut getrieben, bringt dem Aufnahmeland Vorteile. Je besser die Zuwanderer ausgebildet sind, desto mehr. Deshalb bemühen sich Industriestaaten wie Australien und Kanada, über Punktesysteme oder andere Modelle, viele Qualifizierte ins Land zu holen.

Hinzu kommt der soziale Faktor. Laut einem Bericht der EU-Kommission wird die arbeitende Bevölkerung in den Mitgliedsländern wegen der Alterung der Gesellschaft bis 2020 um 3,5 Prozent abnehmen: Als Gegenmaßnahme wird empfohlen, Zuwanderern von außerhalb der EU einzugliedern. Das Durchschnittsalter eines Einwanderers in Deutschland beträgt derzeit 28 Jahre.

Ausländer beziehen weniger häufig Hartz IV

Die Immigranten werden gut 40 Jahre lang in die Sozialkassen einzahlen, und dereinst die Rente der geburtenstarken Jahrgänge finanzieren. Die meisten haben einen Bildungsabschluss, den ein anderes Land bezahlt hat. In Deutschland beziehen laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung ausländische Staatsbürger sehr viel weniger Hartz-IV-Sozialhilfe als Deutsche. Das ist in Großbritannien laut Economist nicht anders.

Die Migration drückt in Industriestaaten wie Deutschland auch weder merklich die Löhne, noch erhöht sie nennenswert die Arbeitslosigkeit, wie der Migrationsforscher Herbert Brücker von der Universität Bamberg feststellt. Laut Hochrechnungen beträgt der Gesamtgewinn staatlicher Kassen in Deutschland durch Migranten langfristig mindestens 84 Milliarden Euro. Der Better Life Index der OECD zeigt, dass Einwanderungsländer wie Kanada oder Australien stets am besten abschneiden, wenn es um Gesundheit, Wohlbefinden und Wohnung geht.

Es gibt natürlich auch Verlierer. Zu ihnen zählen Bewohner von Stadtteilen, in denen durch Armutsmigration soziale Schieflagen entstehen, wie etwa in Duisburg oder Dortmund. Doch unter dem Strich sind die Aktivitäten von Migranten ein wirtschaftlicher Gewinn, vor allem, wenn sich die Einwanderer selbständig machen, wie eine Studie der Berliner Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) festhält.

Wagnis Migration

"Migrantenunternehmen bewegen sich nicht in einer Parallelwelt und auch nicht an der Peripherie", so René Leicht und Marc Langhauser vom Mannheimer Institut für Mittelstandsforschung. Die Firmen "haben in Deutschland mittlerweile mindestens 2,2 Millionen Beschäftigte und stellen damit 18 Prozent aller Arbeitsplätze in inhabergeführten mittelständischen Unternehmen". Sie tragen immer mehr zur Ausbildung junger Menschen bei. Da die Migrantenfirmen meist international tätig sind und einen Bezug zum Herkunftsland des Unternehmers haben, machen sie den Mittelstand weltoffener.

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René Leicht und Marc Langhauser schreiben Migranten eine "höhere Selbständigkeitsneigung" als Einheimischen zu. Das verwundert nicht: Wer sich zu dem Wagnis Migration entschließt, ist mutig, packt an und hat sicher mehr Initiative und Entrepreneurs-Geist als der sesshafte Nachbar. "Die Zahl an ausländischen Selbständigen ist seit Anfang der 1990er-Jahre kometenhaft gestiegen und hat sich mit einem Plus um 178 Prozent nahezu verdreifacht", stellt die FES-Studie fest.

Und die Aktivitäten beschränken sich längst nicht mehr auf den Gemüseladen an der Ecke. Gastgewerbe und Handel seien nicht mehr so dominant, heißt es in der FES-Studie. Jedes vierte Migrantenunternehmen biete mittlerweile "wissensintensive Dienstleistungen" an, dazu gehören die Pharmabranche, Medizintechnik, Fahrzeugbau oder EDV.

Türkeistämmige Vorzeigeunternehmer sind Öger-Tours-Gründer Vural Öger, Textilunternehmer Kemal Şahin, Messegestalter Ömer Özgüc, Betonfertiger Recep Keskin oder Lebensmittelgroßhändler Mustafa Baklan. Wahrscheinlich gäbe es noch mehr von ihnen, wenn die Bürokratie weniger Hindernisse aufbauen würde. Oft würden die Migranten nicht durch mangelnde Bildung in ihren Aktivitäten gebremst, sondern durch schwierige institutionelle Bedingungen, so die FES-Studie - etwa wenn Qualifikationen nicht anerkannt werden oder sie kein Kapital erhalten.

Auch die Zuwanderungspolitik mit ihren Restriktionen steht ihnen im Wege. Die Autoren empfehlen daher, "die unternehmerischen Aktivitäten von Zugewanderten und deren Nachfahren in einem gänzlich anderen Licht zu sehen als dies die öffentliche Debatte größtenteils nahelegt". Mit anderen Worten: Es ist Zeit, das Bild vom Tagelöhner oder vom armen Migranten, der die Hand aufhält, zu löschen und hinter dem Neuankömmling den potenziellen Unternehmer oder Investoren zu entdecken.

Mobilität statt Migration

Die Sozialwissenschaftlerin Laurence Marfaing, die am Hamburger Giga-Institut Migration und sozioökonomische Entwicklung in der Globalisierung erforscht, empfiehlt, gar nicht mehr von Migration zu sprechen, sondern lieber von Mobilität. Sie hat Westafrika untersucht, woher viele Einwanderer stammen, die übers Mittelmeer in die EU kommen. Viele Ausgewanderte investieren ihr in der Fremde Erspartes gezielt in die Landwirtschaft, in Bildung, ins Gesundheitswesen ihrer Heimatländer, und natürlich auch in Produktion und Dienstleistungen, etwa wenn sie Nähmaschinen oder Autos kauften, um damit Textilbetriebe oder Taxiunternehmen zu gründen.

Dahinter stehe auch immer ganz klar die Absicht, anderen Familienmitgliedern und Freunden Gefahren und das Leid einer Migration zu ersparen.

An sich habe Wanderung in Westafrika eine lange Tradition, sagt die französische Wissenschaftlerin. Sie sei verankert in den Gesellschaften. Es gehöre zum Erwachsenwerden dazu, sich aufzumachen, das Dorf zu verlassen und in der Stadt sein Glück zu versuchen - oder zunehmend jenseits des Ozeans. Wanderung hat einen höheren gesellschaftlichen Stellenwert als im eher sesshaften Europa.

Die Chinesen haben die Vorteile der afrikanischen Mobilität erkannt. In China erhielten viele afrikanische Einreisende ein Geschäftsvisum, sagt Marfaing. Haben sie ein Business vorzuweisen, macht man ihnen weniger Scherereien mit Vorschriften und Beschränkungen als in Europa. Man sieht sie als mobile Geschäftsleute an, von denen auch China profitieren könnte.

Belebende Ideen der Rückkehrer

Vielleicht kann diese Praxis ein Vorbild sein für eine veränderte Migrationspolitik - oder besser: Mobilitätspolitik - in der EU. Ansätze gäbe es: Geschäftsvisa für mobile Menschen aus Afrika oder Asien; oder Modelle wie einst die deutsche Green Card für indische Computerfachleute; oder Kontingente, wie sie Spanien zu Zeiten seines Booms mit Ecuador oder Marokko vereinbarte.

Inzwischen kehren viele lateinamerikanische Migranten nach Hause zurück und beleben dort die Ökonomie mit ihrem gesparten Geld und ihren Ideen. Heutzutage seien Migranten Vermittler sozialen Fortschritts in den Herkunftsländern, etwa bei der Geschlechtergleichheit, und sie regten Demokratisierungsprozesse an, meint der Migrationsforscher Thomas Faist von der Universität Bielefeld.

Migranten schaffen informelle transnationale Handelsnetze, die sich rasch in die bestehenden einklinken, spätestens, wenn es darum geht, Geldtransfers im großen Stil abzuwickeln oder Container zu ordern. Von diesem Moment an begünstigen die Immigranten auch traditionelle Wirtschaftsunternehmen wie Banken oder Speditionen. "Migranten-Netzwerke sind ein seltener, heller Funke in der Weltwirtschaft", meint der Economist. "Reiche Länder sollten sie begrüßen."

Stattdessen schottet sich die EU gegen Menschenmassen ab, die sie auf mittlere Sicht sowieso nicht wird aufhalten können. Denn wo es Migrationsgründe gibt, werden Menschen migrieren, das zeigt die Geschichte - und gerade in Afrika und Asien gibt es ausreichend Gründe zur Auswanderung, von denen nicht wenige in der Handelspolitik der Industrieländer ihren Ursprung haben.

Heimatüberweisungen als ideale Entwicklungsfinanzierung

Die reichen Länder beschränken sich jedoch darauf, Milliarden in Form von Entwicklungshilfe nach Süden zu pumpen - die in dieser paternalistisch verabreichten Form immer weniger willkommen ist, wie Laurence Marfaing sagt: In den Ländern Westafrikas gebe es einen großen Ehrgeiz, eigene Modelle für den Fortschritt zu entwickeln, anstatt sich welche verordnen zu lassen. Die Investitionen von Migranten spielen für dieses neue Selbstbewusstsein eine zentrale Rolle.

Anders als viele Bewohner der Industrieländer befürchten, kommen die wenigsten Migranten übrigens, um zu bleiben. Die UNFPA, der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen, stellt fest: "Migration ist häufig zeitbeschränkt und zirkulär; viele Migranten halten Verbindung zu ihren Heimatländern.

Sie leisten wichtige Beiträge zum Wohlstand ihrer Gastländer, aber die Rückströme von Geld, Technik, sozialem und humanem Kapital in Herkunftsländer haben ebenfalls großen Einfluss auf die Armutsreduzierung und wirtschaftliche Entwicklung." Kehren Migranten mit gewonnenen Erfahrungen in die alte Heimat zurück, kann sich für diese der ursprüngliche Brain-Drain in einen Brain-Gain verkehren, in einen Zuwachs an Erfahrung, Wissen - und Geld.

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Auf die Zuwanderung von Flüchtlingen nach Deutschland kann man grimmig reagieren und "das Boot ist voll" rufen. Oder die Chance erkennen, die sich für Migranten und Gastland auftut - und die ökonomische Studien belegen. Dazu muss der Staat freilich beitragen.

Kommentar von Marc Beise

Gemäß Daten des Pew-Forschungszentrums in den USA beliefen sich die Überweisungen von Auswanderern in ihre alte Heimat, die sogenannten remittances, 2013 auf 511 Milliarden Dollar weltweit. Die Zahl hat sich seit dem Jahr 2000 verdreifacht. Längst sind die remittances ein globaler Wirtschaftsfaktor: In manchen Entwicklungsländern wie Nicaragua sind sie die wichtigste Einnahmequelle, höher als Entwicklungshilfe oder Exporterlöse.

Die Weltbank und Länder wie Großbritannien sehen die remittances inzwischen als ideale Entwicklungsfinanzierung an, da die Betroffenen selbst über die Verwendung des Geldes entschieden, sagt Migrationsforscher Thomas Faist. Er empfiehlt der EU, selektiv Kurzzeit-Migration zu erlauben, weil das zu höherer Mobilität, aber auch zu häufigerer Rückkehr führen könne.

Klare, aber offene Regeln und Kontingente können Migranten auch ersparen, ihr Schicksal in die Hände von skrupellosen "Händlern des Todes" zu legen. So nennt die EU-Kommissarin Cecilia Malmström jene Schlepperbanden, die mit dem Menschenschmuggel laut dem Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung weltweit jährlich mehr als 30 Milliarden Euro einstreichen.

Beweglich, intelligent, widerstandsfähig

Der französische Mittelmeerhistoriker Fernand Braudel hat die Migration einst eine zivilisatorische "Unentbehrlichkeit" genannt. Wer migriert, erwirbt Flexibilität und Spontaneität, enorme Vorteile in der globalisierten Welt. International tätige Unternehmen haben die Chancen erkannt. Bei einer Umfrage der Hays AG, einem weltweit führenden Unternehmen für die Rekrutierung von Spezialisten, gab der überwiegende Teil der befragten Unternehmer als Grund, warum man Ausländer beschäftige, an: "Wir benötigen für unsere Geschäfte interkulturelle Kompetenz." Kosteneinsparung spielte nur eine Nebenrolle.

Migranten haben in vielen Betrieben den Ruf, beweglich, intelligent, offen, widerstandsfähig, risikobereit und sprachgewandt zu sein. Erst kürzlich hat eine Studie des Auswärtigen Amts belegt, dass die meisten Migranten aus Afrika und dem Nahen Osten der gebildeten Mittelschicht entstammen.

Und zunehmend sind viele Einwanderer sogar besser qualifiziert als Einheimische. In Deutschland sind 29 Prozent der Zuwanderer Akademiker, in der Gesamtbevölkerung sind es nur 19 Prozent. Als Bedrohung kann man Migranten also durchaus ansehen - weniger jedoch für Sozialsystem oder Lohnniveau der reichen Welt als für deren Selbstzufriedenheit und Trägheit.

© SZ vom 22.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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