Pat Gelsinger hat ein Faible für die Deutschen. Der Intel-Chef hatte sich Magdeburg als Standort für eine geplante riesige Chipfabriken ausgesucht, weil die Deutschen eben wüssten, wie man Dinge produziert. Seine Firma sollte rund zehn Milliarden Euro vom deutschen Staat als Subvention für das 30-Milliarden-Dollar-Projekt erhalten. Doch das zunächst um zwei Jahre verschobene Bauprojekt könnte nun noch unwahrscheinlicher werden als ohnehin schon. Denn Gelsinger ist, wie erst am Montagnachmittag bekannt wurde, seit Sonntag, 1. Dezember, nicht mehr bei Intel. Er trat überraschend von seinem Posten als Unternehmenschef wie auch als Chef des Verwaltungsrates zurück. Ob freiwillig oder auf Druck des Verwaltungsrates, ist zurzeit noch offen.
Es spricht allerdings einiges dafür, dass man ihn dazu gedrängt hat, die Posten aufzugeben. Denn Intel, das einst den Markt für Chips dominierte, geht es gar nicht gut. Im vergangenen Quartal häufte das Unternehmen einen Verlust von 16,6 Milliarden Dollar an. Intel versuchte zwar zu beschwichtigen, aber auch wenn sich die schlechten Zahlen erklären lassen - sie stehen erst einmal da.
Das Hauptproblem dürfte gewesen sein, dass eine der Hauptsäulen von Gelsingers Strategie nicht funktioniert hat, vielleicht auch: nicht schnell genug. Gelsinger tat etwas, das es bei Intel noch nicht gegeben hatte. Das Unternehmen sollte nicht mehr nur die eigenen Chips fertigen - als einer von wenigen in der Branche. Sondern Intel sollte auch für andere fertigen. Als er vor drei Jahren zu Intel zurückkehrte, tat Gelsinger das unter der Bedingung, dass man ihn diese Strategie verfolgen lasse und ihn volle Unterstützung dafür gewähre.
Doch bis dato hat der Konzern dabei nur gewaltige Verluste angehäuft. Dafür waren zum einen Schwierigkeiten beim Hochlauf und Probleme bei der Akquise von Kunden verantwortlich, aber natürlich auch die allgemeine Flaute in der Chipbranche. Nach Jahren, in denen den Herstellern die Chips nahezu aus den Händen gerissen wurden, ist die Nachfrage nun deutlich gesunken. Die Kunden hatten teils Vorräte angelegt, teils machen auch sie schlechtere Geschäfte, etwa die Autoindustrie.
Gelsinger ist ein Intel-Urgestein, war aber zwischenzeitlich bei anderen Unternehmen. Unter anderem leitete er das Software-Unternehmen VMWare. Er war wesentlich verantwortlich für den Erfolg der Intel-Prozessoren in den 1990er-Jahren. Ganz offenbar hatte sich das Intel-Management von seiner Rückkehr ähnliche Wunderdinge erwartet. Doch zuletzt musste auch Gelsinger zugeben, dass es nicht so lief wie geplant. Sein Memo an die Belegschaft, in dem er eine nie gekannte Entlassungswelle ankündigte, traf die Mitarbeiter ins Mark. 15 000 von ihnen sollen gehen, etwa 15 Prozent der gesamten Belegschaft. Intel habe einfach zu hohe Kosten, schrieb er, von diesen müsse man nun runterkommen.
Halbleiter:Wie Intel vom Marktführer zum Übernahmekandidaten wurde
Der US-Chiphersteller ist in Schwierigkeiten, die meisten davon sind hausgemacht. Dem Chef Pat Gelsinger läuft die Zeit davon.
Zudem gab es Gerüchte über harte Auseinandersetzungen im Verwaltungsrat, ein wichtiges Mitglied, der Industrieveteran Lip-Bu Tan, verließ das Gremium, weil er finde, dass die Belegschaft aufgebläht sei und im Unternehmen eine Kultur herrsche, die Risiken scheue. Und, schlimmer noch, Konkurrent Qualcomm soll sich wohl ziemlich intensiv mit dem Gedanken befasst haben, Intel zu übernehmen. Daraus wurde zwar nichts, aber wenn ein einstiger Branchenprimus zum Übernahmekandidaten wird, muss schon einiges passiert sein.
Er ist von kleiner, schmaler Statur, strahlt aber eine ungeheure Energie aus
Viel davon hat Intel selbst verschuldet. Der Chiphersteller verschlief die mobile Revolution, in Smartphones und Tablets, neuerdings auch in Laptops, stecken Chips von Qualcomm, Samsung oder auch Apple. Und bei der nächsten großen Welle - der künstlichen Intelligenz - rennt Intel auch wieder nur hinterher, Ausgang ungewisser denn je. Stattdessen sonnt sich Nvidia-Chef Jensen Huang im Glanze seines Erfolgs mit KI-Beschleunigerchips.
Pat Gelsinger gilt als gläubiger Christ. Der 63-Jährige ist von kleiner, schmaler Statur, strahlt aber eine ungeheure Energie aus. Einst hat er ein Buch darüber geschrieben, wie man auch als Top-Manager Beruf und Familie in Einklang bringen könne. Nun, im Ruhestand, wird er Zeit genug dafür haben.
Die Verantwortung übernehmen übergangsweise Finanzchef David Zinsner und die Managerin Michelle Johnston Holthaus. Eine Findungskommission soll einen Kandidaten für eine dauerhafte Nachfolge suchen. Leicht wird diese Aufgabe nicht. Wenn selbst einer vom Format Gelsingers scheitert, wer soll dann das ins Trudeln geratene Schiff wieder auf Kurs bringen? Für die europäischen Ambitionen, eine Chip-Produktion und das System aus Weiterverarbeitung und Zulieferern darum herum aufzubauen, verheißt Gelsingers Abgang jedenfalls nichts Gutes. Im Zweifel wird man auch bei Intel nach dem Motto Donald Trumps verfahren: America first.