Insolvenzen:Bekannt, traditionsreich, pleite

Die Zahl der Insolvenzen ist in diesem Jahr rasant angestiegen. Neben jungen Firmen erwischt es jetzt häufiger auch Unternehmen mit langer Historie.

Stefan Weber

Es wird die letzte gute Nachricht für lange Zeit gewesen sein, die der Pensionssicherungsverein (PSV) im November an seine knapp 70.000 Mitglieder verschickte: Der Versicherer, der im Fall einer Firmeninsolvenz die Auszahlung der zugesagten Betriebsrenten für insgesamt mehr als zehn Millionen Versorgungsberechtigte übernimmt, kündigte eine deutliche Reduzierung der Prämie an. Statt eines Betrages in Höhe von 3,1 Promille der Rückstellungen, die die Firmen für Altersvorsorge reserviert haben, sollten sie nur noch 1,8 Promille zahlen.

Insolvenzen in 2009 Bekannt, traditionsreich, pleite

Modelleisenbahn-Hersteller Märklin ist pleite. Bereits vor drei Jahren stand das Traditionsunternehmen schon einmal kurz vor dem Aus.

(Foto: Foto: dpa)

So wenig hat die deutsche Wirtschaft seit 1998 nicht mehr für die Pensionssicherung insolventer Unternehmen aufbringen müssen. Zur Begründung verwies der PSV auf die bis zum Herbst erheblich gesunkenen Insolvenzschäden. Deren Summe werde 2008 mit 730 Millionen Euro voraussichtlich um 200 Millionen Euro niedriger sein als im Jahr zuvor, prognostizierte der Versicherer.

Insolvenzschutz wird teurer

In diesem Jahr sieht alles anders aus. Märklin, Rosenthal, Edscha, Schiesser - allein die prominenten Insolvenzen der vergangenen Wochen lassen befürchten, dass sich die durch Pleiten entstandenen Schäden in diesem Jahr auf lange Zeit nicht gekannte Höhen türmen werden. Entsprechend wird der Insolvenzschutz für alle Unternehmen deutlich teurer werden. Möglicherweise übertrifft der Beitragssatz sogar den 2005 aufgrund zahlreicher Großschäden erreichten Spitzenwert von 4,9 Promille. In keinem anderen Jahr seit Gründung des PSV im Jahr 1975 hatten die Unternehmen höhere Prämien zahlen müssen.

Dabei steht der deutschen Wirtschaft trotz der zuletzt im Wochentakt bekannt gewordenen spektakulären Pleiten das Schlimmste aller Voraussicht nach erst noch bevor: "Insolvenzen folgen der Krise im Abstand von neun bis zwölf Monaten. Ab März oder April erwarten wir eine ansteigende Welle von Unternehmensinsolvenzen", sagt Helmut Rödl, Vorstand der Neusser Wirtschaftsauskunftei Creditreform. Bis zum Sommer 2008 war die Zahl der Firmenzusammenbrüche fünf Jahre lang kontinuierlich gesunken. Dann folgte die Trendumkehr.

Mit den Modefilialisten Wehmeyer und Sinn-Leffers sowie dem Warenhausunternehmen Hertie strauchelten im Spätsommer innerhalb von wenigen Wochen gleich drei prominente Handelsketten. Danach ging es Schlag auf Schlag. Im Zuge der schleppenden Auto-Nachfrage gerieten auch größere Zulieferer in Schieflage. Viele andere sperrten ihre Türen still und leise für immer zu: Handwerker, Händler, Dienstleister.

Bis zu 35.000 Insolvenzen erwartet

Nach Schätzung von Rödl werden 2009 zwischen 33.000 und 35.000 Firmen in Zahlungsnöte geraten. Das wären bis zu 5000 Pleiten mehr als im vergangenen Jahr. Eine ähnliche Entwicklung sagen auch die Experten von Euler Hermes voraus. Der weltweit größte Kreditversicherer prognostiziert für dieses Jahr knapp 34.000 Insolvenzen. Gemessen an den Verhältnissen vor fünf, sechs Jahren ist das keine Katastrophe.

Damals konnten jeweils knapp 40.000 Firmen ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen und traten den Weg zum Amtsgericht an. Aber besorgniserregend ist dieses Mal, dass es neben vielen jungen, kleinen Firmen auch mehr und mehr Traditionsbetriebe erwischt. "Unternehmen mit einer starken Marke und mehr als hundertjähriger Geschichte - da hätte man früher gewettet, dass nichts passiert. Und jetzt geraten auch solche Firmen reihenweise in Schwierigkeiten", sagt Rödl.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, welche Unternehmen besonders gefährdet sind.

Bekannt, traditionsreich, pleite

Gefährdet sind nach Einschätzung von Fachleuten insbesondere Fahrzeughersteller, mittelständische Zulieferbetriebe sowie Autohändler. Auch Bauunternehmen, Einzelhändler - speziell im Modebereich - sowie viele Dienstleister, etwa Speditionen, Call Center, Personalvermittler und Reinigungsunternehmen gehören zu den Bereichen, in denen die Auslese voraussichtlich besonders kräftig ausfallen wird.

Firmen mit wenigen Kunden besonders gefährdet

Die Firmen kommen in der gegenwärtigen Krise gleich von mehreren Seiten unter Druck. Zum einen brechen die Aufträge weg. Unternehmen, die einen großen Teil ihres Geschäfts mit nur wenigen Kunden abwickeln, sind besonders gefährdet. Muss dann einer ihrer Auftraggeber Insolvenz anmelden, können sie leicht mitgerissen werden in den Abwärtsstrudel. "Dieser Dominoeffekt trifft besonders häufig kleine und mittelgroße Betriebe mit bis zu 100 Mitarbeitern", erklärt Rödl.

Um das Risiko klein zu halten, holen Firmen vor einem Vertragsabschluss häufiger Auskünfte über die Bonität eines Auftraggebers ein. Früher mussten sie sich darum nicht kümmern. Im Zweifel sicherten sie ihre Forderungen über Warenkreditversicherer ab. Aber inzwischen haben die Versicherer ihre Prämien aufgrund erhöhter Risiken deutlich angehoben und weigern sich mitunter gar, für bestimmte Kunden Kreditrisiken zu übernehmen.

In Bedrängnis geraten manche Firmen aber nicht nur, weil das Auftragsbuch leer ist. Es fehlt ihnen auch an Liquidität - etwa, weil ihre Kunden Rechnungen später als bislang bezahlen. In Deutschland warten Unternehmen nach Zahlen von Creditreform inzwischen 39 Tage bis zum Eingang des Geldes. Gemessen an den Usancen in anderen europäischen Ländern ist das zwar immer noch kurz. In Italien zum Beispiel vergehen im Durchschnitt 92 Tage, bis Kunden ihren finanziellen Verpflichtungen nachkommen. Entsprechend schwierig ist die Situation dann für deutsche Unternehmen, die Waren oder Dienstleistungen nach Italien verkaufen.

Mittelständler, die in den vergangenen Jahren verstärkt in ausländischen Märkten aktiv waren, sind auch deshalb von Zahlungsausfällen bedroht, weil bei Deutschlands wichtigsten Handelspartnern die Insolvenzen deutlich steigen. Die Experten von Euler Hermes prognostizieren für dieses Jahr ein Plus von 50 Prozent bei Pleiten in den USA sowie einen Anstieg von mehr als 30 Prozent in Großbritannien. Und in Frankreich wird die Zahl der Insolvenzen nach Schätzung des Kreditversicherers um immerhin zwölf Prozent höher sein als 2008.

Nicht genügend Kapital-Polster vorhanden

Nur wenige Betriebe verfügen über ausreichende Reserven, mit denen sich eine Krise durchstehen lässt. Nach Angaben von Creditreform ist jedes dritte kleine und mittelgroße Unternehmen unterkapitalisiert: Der Anteil des Eigenkapitals an der Bilanzsumme beträgt weniger als zehn Prozent.

Auf mittlere Sicht droht die Zahl der Pleiten noch aus einem anderen Grund zu steigen. Viele Menschen, die in der gegenwärtigen Krise ihren Arbeitsplatz verlieren, werden sich selbständig machen, weil sie keine Festanstellung bekommen. Fachleute rechnen insbesondere im Bereich konsumnaher Dienstleistungen, also etwa im Einzelhandel oder in der Gastronomie, in den nächsten Monaten mit einer Vielzahl von Firmengründungen.

Wer aber aus Mangel an Alternativen eine Firma gründet, ist oft weniger motiviert und schlechter vorbereitet als Jungunternehmer, die sich mit der Anmeldung eines Gewerbes einen Lebenstraum erfüllen. Das Risiko des Scheiterns ist immens. "Existenzgründer starten häufig mit viel Enthusiasmus, aber mit wenig Erfahrung in die Selbstständigkeit. Dort werden sie schnell durch Forderungsausfälle, Margenkämpfe und das Wegbrechen von Aufträgen von der Realität eingeholt", sagt Michael Karrenberg, Leiter Risikomanagement für Deutschland, Mittel- und Osteuropa beim Kreditversicherer Atradius.

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