Süddeutsche Zeitung

Insolvenz:Air Berlin - eine absehbare Bruchlandung

Während Passagiere von Air Berlin am Flughafen Tegel entspannt reagieren, ist die Stimmung unter den Mitarbeitern schlecht. Arbeitsplätze könnte vor allem der Einstieg eines Rivalen retten.

Von Jens Flottau, Frankfurt, und Jakob Schulz, Berlin

Stefan Naumann ist heute beruflich unterwegs, er fliegt nachher von Berlin-Tegel nach Budapest. "Hoffentlich!", sagt er und lacht. Dafür, dass er ein Ticket bei Air Berlin gebucht hat, die erst am Mittag Insolvenz angemeldet hat, wirkt der Ingenieur ziemlich entspannt. Wie Naumann geht es vielen Menschen, die heute noch mit einer Maschine von Air Berlin abheben wollen. Der erste Gedanke ist meist: Hoffentlich klappt mein Flug. Doch besonders besorgt wirkt kaum einer. Das gilt auch für die Reisenden, die mit Strohhüten und zerknitterten Bordkarten in den Urlaub abheben wollen.

Der zweite Gedanke der Passagiere gilt den Mitarbeitern der havarierten Fluggesellschaft. Das sagt auch Regina Müller aus Ulm. Eine Überraschung ist das Schicksal von Air Berlin aber für kaum jemanden. "Mich wundert da nichts mehr", sagt Stefan Naumann. Der Niedergang habe sich doch angedeutet. So sehen das auch viele Mitarbeiter - und ebenso die Konkurrenz. Lufthansa hat nach Informationen aus Branchenkreisen seit Monaten einen detaillierten Plan vorbereitet, den sie nun in Kraft setzen kann. Der Plan sieht Folgendes vor: Lufthansa nimmt Verhandlungen mit den Leasinggebern von Air-Berlin-Flugzeugen auf, die sie übernehmen will, entweder gemietet oder per Kauf.

Die Maschinen - die genaue Zahl ist noch unklar - werden dann bei der Lufthansa-Billigtochter Eurowings eingesetzt, die auf diese Art und Weise viel schneller wachsen kann als aus eigener Kraft. Zugleich wird Lufthansa den Air-Berlin-Besatzungen, die die Maschinen fliegen sollen, Angebote für neue Arbeitsverträge machen. Bezahlung und Arbeitsbedingungen sollen identisch sein mit denen bei Eurowings.

Ein anderer Teil von Air Berlin könnte nach Informationen aus Branchenkreisen beim britischen Billigflieger Easyjet landen.

Die Lufthansa will den Billigkonkurrenten das Geschäft erschweren

Mit der Übernahme, die schon in den nächsten Wochen über die Bühne gehen müsste, wären für viele Mitarbeiter erhebliche Gehaltseinbußen verbunden, denn bei Eurowings sind meist geringere Gehälter üblich als bei Air Berlin, das unter anderem wegen der hohen Personalkosten in Probleme geriet.

Andererseits haben die Übernommenen weiter einen Arbeitsplatz, im Gegensatz zu einigen anderen. Wie viele der etwa 9000 Arbeitsplätze verloren gehen, hängt davon ab, wie viele der rund 100 übrigen Flugzeuge Lufthansa übernehmen will und wie viele Easyjet. Vor allem der Standort Düsseldorf, an dem sich Lufthansa immer schwer getan hat, könnte ihr durch die Pleite ihres lokalen Hauptkonkurrenten offenstehen. Dort hat Air Berlin auch eine große Anzahl von Langstreckenflügen angeboten, die künftig unter der Marke Eurowings weitergeführt werden könnten.

Außerdem hat Lufthansa ein Interesse daran, große Zentren außerhalb der Drehkreuze München und Frankfurt abzudecken, um Easyjet und Ryanair das Wachstum in Deutschland zu erschweren. Andererseits kann ihr das Interesse Easyjets ganz recht sein: Dann tun sich die Kartellbehörden mit der Genehmigung der Übernahme leichter. Das Problem, möglichst große Teile von Air Berlin in welcher Form auch immer zu erhalten, ist zuletzt allerdings noch einmal erheblich größer geworden. Denn eigentlich sollte die auf das Touristikgeschäft spezialisierte Air-Berlin-Tochter Niki längst mit Tuifly zu einer neuen Ferienfluggesellschaft fusionieren - die Gespräche sind aber vorläufig gescheitert. Nun bleiben die fast 30 Maschinen des Wiener Ablegers ebenfalls bei Air Berlin und stehen zum Verkauf.

Alle wird Lufthansa, so viel scheint festzustehen, nicht nehmen. Zum Ende des ersten Quartals flogen noch 144 Flugzeuge für den Air-Berlin-Konzern, darunter die 38 im Eurowings-Einsatz. Lufthansa hat sich in den Mietverhandlungen für den Fall einer Air-Berlin-Insolvenz abgesichert, die 38 Maschinen werden (wie der Rest der Air-Berlin-Flotte) weiterfliegen. Unklar ist noch, wie genau die Übernahme von Unternehmensteilen vonstatten geht. Air Berlin ist seit Monaten dabei, einen eigenen Flugbetrieb für das Lufthansa-Geschäft zu gründen, ein Prozess, der in der Regel mehrere Monate in Anspruch nimmt. Insider rechnen nicht vor dem Herbst damit. Gelingt es nun, mit Hilfe des Übergangskredits der Bundesregierung die alte Air Berlin so lange in der Luft zu halten, bis die neue Airline gegründet ist, könnte Lufthansa die Air-Berlin-Tochtergesellschaft als Ganzes kaufen. Reicht die Zeit nicht, müsste Lufthansa jeden Mitarbeiter einzeln übernehmen.

Etihad hat Millionen in das angeschlagene Unternehmen investiert

Vermutlich tut sie beides. Die Pleite ist die Folge des Scheiterns der Expansionsstrategie ihres wichtigsten Anteilseigners Etihad. Unter ihrem ehrgeizigen Ex-Chef James Hogan hat sich Etihad jahrelang an angeschlagenen Unternehmen wie Air Berlin oder Alitalia beteiligt. Hogan wollte binnen weniger Jahre einen der weltweit größten Luftfahrtkonzerne bauen, auf der Basis von Milliarden-Hilfen der Regierung Abu Dhabis. Die vielen Milliarden versickerten aber weitgehend nutzlos in den Beteiligungen, denen Etihad immer wieder aus der finanziellen Klemme helfen musste.

Erst im Dezember und Januar überwies Etihad 300 Millionen Euro an Air Berlin für einen 49-Prozent-Anteil an Niki. Der Kauf wurde gar nicht umgesetzt, doch das Geld ist längst weg. Ende April organisierte Etihad einen weiteren Kredit in Höhe von 250 Millionen Euro und sagte zu, alle finanziellen Verpflichtungen Air Berlins in den kommenden 18 Monaten zu übernehmen. Doch dann feuerte Etihad Hogan und die Zusagen waren wertlos. Nun will sich die Airline Abu Dhabis auf das eigene Geschäft konzentrieren. Es soll kein zusätzliches Geld mehr abfließen.

Und wie reagieren die Mitarbeiter darauf, dass der langjährige Geldgeber nicht mehr will? Am Terminal C in Tegel stehen einige Mitarbeiter vom Bodenpersonal in kleinen Gruppen und rauchen. Was sie von der heutigen Mitteilung der Airline halten? Einer der Männer versiegelt sich mit dem Finger zwar die Lippen, muss dann aber doch etwas loswerden: "Die Stimmung hier am Flughafen war schon vor der Insolvenz-Nachricht mies", sagt er.

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SZ vom 16.08.2017/jly
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