Insolvenz von Arcandor:Gewollte Pleite

Karstadt Hamburg

Der Insolvenz 2009 fielen Tausende Jobs zum Opfer - unnötigerweise? Nun sind wieder zahlreiche Filialen gefährdet, so auch in Hamburg.

(Foto: Daniel Reinhardt/dpa)

Dem Einstieg des Investors Nicolas Berggruen bei Karstadt ging einst die Insolvenz von Arcandor voraus. Doch war die 2009 überhaupt nötig? Ein bisher unveröffentlichtes Gutachten für die Bundesregierung wirft erhebliche Zweifel auf.

Von Uwe Ritzer, Essen

Die Geschichte vom Untergang der Arcandor AG, die schließlich zum Einstieg von Nicolas Berggruen führte, liest sich für weite Teile der Öffentlichkeit so: Ständig wechselnde, unfähige und raffgierige Manager haben den vor allem aus der Warenhauskette Karstadt, dem Versandhaus Quelle und dem Reiseveranstalter Thomas Cook bestehenden Handelskonzern ruiniert.

Am Ende wollte auch der Staat nicht mehr helfen; Arcandor galt als hoffnungsloser Fall. Also kam es im Juni 2009, wenige Monate nach dem Abgang von Vorstandschef Thomas Middelhoff, zum Unvermeidbaren: der Insolvenz, die Zigtausende Arbeitsplätze kostete und das Versandhaus Quelle komplett wegfegte.

Unvermeidbar?

Bisher unveröffentlichte Passagen aus einem Gutachten, das Wirtschaftsprüfer unmittelbar vor der Insolvenz im Auftrag der Bundesregierung erstellt haben, lassen daran Zweifel aufkommen. Sie rütteln am Bild von Arcandor als einem Konzern, der unausweichlich vor dem Exitus stand.

Das Gutachten stammt von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PWC). Ihr Auftraggeber war der Bürgschaftsausschuss der Bundesregierung. Das mit Vertretern mehrerer Ministerien und Länder besetzte Gremium entschied über Anträge auf Staatshilfe. Hilfen der Regierung beantragte im Frühjahr 2009 auch Middelhoffs Nachfolger als Arcandor-Chef Karl-Gerhard Eick, heute 60. Er wollte eine Bürgschaft über 650 Millionen Euro. Die Regierung lehnte ab und das PWC-Gutachten lieferte dafür Argumente.

Bisher sickerten nur Auszüge daraus durch, und was man erfuhr, hinterließ ein verheerendes Bild von Arcandor in jenen Tagen: Staatshilfe komme nicht in Frage, so argumentierte die Bundesregierung damals, weil der Konzern kein Opfer der Finanzkrise sei, sondern von jahrelangem Missmanagement. Eine Staatsbürgschaft wäre obendrein zu riskant, denn Arcandor habe nahezu keine Substanz mehr. Sei also möglicherweise bald pleite - so muss man das wohl verstehen.

Doch in dem Gutachten steht noch mehr. So enthält das PWC-Papier nach Informationen der Süddeutschen Zeitung auch viele erstaunlich positive Bewertungen über den Zustand und die Chancen von Arcandor. Ganz wesentliche Indikatoren bewerteten die Wirtschaftsprüfer positiv. So verfüge der Konzern über "ein nach wie vor intaktes Eigenkapital, was auch planerisch bis 2013/2014 gelten soll", also für vier bis fünf Jahre.

Es lägen zudem "nach wie vor zufriedenstellende Sicherheitenpositionen" der Arcandor-Gläubigerbanken vor. Mehr noch: "Von dem kreditgebenden Konsortium wurde uns für Arcandor eine Ein-Jahres-Ausfallwahrscheinlichkeit von 20 Prozent mitgeteilt", notierten die PWC-Experten. Nur 20 Prozent - das deutet nicht gerade darauf hin, dass die Banken große Angst vor einer schnellen Pleite hatten. Die Verlängerung ihres Arcandor-Engagements sei daher für die Banken "auch weiterhin kreditmateriell vertretbar", so PWC.

Ausdrücklich verwiesen die Prüfer auch auf eine Expertise ihrer Kollegen von KPMG, die ebenfalls die Arcandor-Bücher durchleuchtet hatten. Es gebe ein tragfähiges Finanzierungskonzept, um den Konzern für weitere fünf Jahre fortzuführen. Bei der Umsatzrendite von Arcandor sei "ein klar positiver Trend" erkennbar.

All diese Feststellungen würden ein anderes Bild vom Zustand von Arcandor ergeben als bisher dargestellt, meinen die Wirtschaftsanwälte Franz Salditt und Ulrich Leimenstoll. Ihr Verdacht: Der Insolvenzantrag nur zwei Wochen später sei "nicht unmittelbar der realen Verfassung des Arcandor-Konzerns zuzurechnen". Der Antrag sei vielmehr die Folge "extremer Position" der Banken. Und der "taktischen Einschätzung" von Vorstandschef Eick, der darauf "mit dem Vorhaben einer Planinsolvenz zu reagieren versuchte". Einfacher formuliert: Arcandor wäre überlebensfähig gewesen. Wenn die Banken nur gewollt und Eick nicht zielgerichtet auf eine Insolvenz in Eigenregie hingesteuert hätte.

Salditt und Leimenstoll vertreten den ehemaligen Sal. Oppenheim-Banker und letzten Arcandor-Aufsichtsratschef Friedrich Janssen. Er ist zusammen mit anderen Ex-Managern des Geldhauses und deren Geschäftspartner Josef Esch vor dem Landgericht Köln wegen schwerer Untreue angeklagt. Dabei geht es auch um Arcandor. Janssens Verteidiger haben nun beantragt, das PWC-Gutachten als Beweismittel in den Prozess einzuführen.

Die Bundesregierung verweigert Staatshilfe

Die Fragen, die sich damit ergeben, sind brisant: Wie kamen die PWC-Experten zu solch positiven Einschätzungen, nur wenige Tage vor dem Arcandor-Zusammenbruch? Wie kann es sein, dass sie - und später auch die Regierung - Arcandor trotzdem zum hoffnungslosen Fall erklärten?

Ein PWC-Sprecher wollte dazu keine Angaben machen, das Gutachten sei vertraulich. In Kürze allerdings soll dessen Verfasser als Zeuge vor dem Landgericht Köln aussagen. Ein anderer wichtiger Beteiligter ist indes gesprächiger: Karl-Gerhard Eick, letzter Arcandor-Chef. Er bestätigt die Angaben der Anwälte Salditt und Leimenstoll. "Sie haben recht. Was sie da behaupten, kann ich nur dick unterstreichen", sagte Eick der SZ. "Aus dem PWC-Gutachten geht eindeutig und klar hervor, dass Arcandor sanierungsfähig gewesen wäre." Es enthalte "viele Passagen, die eine Fortführung als sinnvoll erachten ließen."

So aber nahm die Sache einen verhängnisvollen Verlauf: Nach dem Gutachten verweigerte die Bundesregierung Staatshilfe. Arcandor hätte die 650-Millionen-Bürgschaft aber benötigt, um Kredite bei seinen drei größten Gläubigerbanken zu refinanzieren: der Royal Bank of Scotland, der BayernLB und der Dresdner Bank. Dies hätte bis zum 12. Juni 2009 geschehen müssen. Stattdessen ging Eick nach der Abfuhr in Berlin am 9. Juni zum Insolvenzgericht.

Eicks fataler Fehler

Eicks Rolle beim Untergang der Arcandor AG ist umstritten. Sein Vorgänger Thomas Middelhoff macht Eick für den Untergang verantwortlich. "Als ich Arcandor verlassen habe, gab es keinen Grund für einen Insolvenzantrag", sagt Middelhoff. Das Unternehmen sei auf Kurs gewesen, und es habe konkrete Verhandlungen über den Verkauf und damit die Fortführung von Karstadt oder Primondo gegeben. Eick jedoch habe von Anfang an auf Staatshilfe und eine Insolvenz in Eigenregie gesetzt - ein fataler Fehler, glaubt Middelhoff.

Middelhoffs Gegner halten ihn wiederum für den eigentlichen Totengräber. Er habe die wirkliche Lage des Unternehmens lange geschönt und obendrein einen verheerenden Fehler gemacht, indem er mit den Banken zu kurze Laufzeiten für die Kredite vereinbart habe. Deshalb sei den Banken der Ausstieg leicht gefallen.

Nach Middelhoffs Abgang trat Eick am 1. März 2009 seinen Job in der Essener Arcandor-Zentrale an. Bis dahin war er jahrelang Finanzchef und zweiter Mann im Management der Telekom. Über Eicks Pläne zur Rettung von Arcandor gibt es widersprüchliche Angaben.

Ein von der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbemerkter Auftritt des Managers wenige Monate nach der Arcandor-Pleite deutet darauf hin, dass er von Anfang an eine Insolvenz angestrebt habe. Am 26. November 2009 sprach Eick bei einer Fachtagung in Frankfurt vor 200 Bilanzierungsexperten.

Die Planinsolvenz war nur Plan B

Ausweislich der Börsen-Zeitung sagte er dort, den Chefposten bei Arcandor habe er nur übernommen, weil es ihn "gereizt" habe, "ein Unternehmen dieser Größenordnung mit 40 000 Mitarbeitern" durch die Insolvenz in Eigenverantwortung zu führen. Er habe den Beweis erbringen wollen, dass "aus der Insolvenz etwas Neues entstehen kann".

Der Krisen-Konzern Arcandor als Spielwiese für die Selbstverwirklichung eines ehrgeizigen Managers?

Mitnichten, sagt Eick. Die Aussagen in Frankfurt bestreitet er auf Nachfrage nicht, er behauptet aber, die Planinsolvenz sei nur sein Plan B gewesen: Aus reiner Vorsorgepflicht habe er sich - parallel zur Sanierung - auf eine Insolvenz in Eigenregie vorbereitet. "Mein Plan A war ganz klar eine normale Sanierung auf betriebswirtschaftlichem Weg", sagt Eick. Bis zur negativen PWC-Expertise mit ihren rätselhaften Widersprüchen sei man da auch "auf einem guten Weg gewesen."

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