Insolvenz von Air Berlin:Der wilde Piloten-Streik ist ungerechte Selbstjustiz gegen Air Berlin

Lesezeit: 3 Min.

200 Piloten haben sich bei der insolventen Fluglinie krank gemeldet - dass hier eher der Wille als der Körper streikt, ist offensichtlich. Mit womöglich fatalen Folgen für 7800 unschuldige Mitarbeiter.

Kommentar von Detlef Esslinger

Die Piloten bei Air Berlin haben die Nerven verloren; zumindest jene 200 der insgesamt 1500, die sich am Dienstag krankgemeldet haben. Mag sein, dass ihnen die Lage ihrer Firma auf den Magen, aufs Gemüt oder sonst wohin geschlagen hat - an der Gewissheit, dass bei den Piloten nicht der Körper, sondern der Wille streikt, ändert dies nichts.

Man darf der Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit glauben, wenn sie versichert, dazu nicht aufgerufen zu haben und selber überrascht zu sein. Ihre Funktionäre haben sich in allen Konflikten mit Fluglinien stets als beinhart, brutal und professionell zugleich erwiesen. Sie sind nicht die Typen, die sich von Emotionen leiten lassen. Schon gar nicht raten sie ihren Mitgliedern, das Recht selbst in die Hand zu nehmen.

Air-Berlin-Mitarbeiter müssen sich womöglich neu um eine Stelle bewerben

Um nichts anderes handelt es sich bei der Aktion. In den Gesprächen um eine Zukunft der insolventen Fluglinie fühlen sich deren Mitarbeiter nicht wahrgenommen, nach ihrem Eindruck geht es darin nur um die Interessen von Investoren. Aber Empathie für 8000 Beschäftigte und deren Familien? Das Gegenteil davon scheint sichtbar zu sein. Denn alle Interessenten machen lediglich eins klar: dass ein Kauf der Fluglinie oder Teilen davon auf keinen Fall in Form eines "Betriebsübergangs" erfolgen soll. Ein solcher liegt laut geltendem Recht unter anderem vor, wenn ein Käufer einen Betrieb als Ganzes seiner eigenen Firma einverleibt - mit der Folge, dass alle Tarifverträge weitergelten, denen der übernommene Betrieb bislang unterworfen war.

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Bisherige Gespräche laufen darauf hinaus, dass sich zum Beispiel Flugbegleiter von Air Berlin bei den künftigen Eigentümern bewerben müssen, wenn sie ihren Dienst weiterversehen wollen. Im günstigsten Fall wird bei der Festlegung ihres künftigen Gehalts ihre Berufserfahrung berücksichtigt. Um die Kommunikationskultur in der Luftfahrtbranche steht es insgesamt und seit Längerem nicht zum Besten; das haben schon all die Auseinandersetzungen bei der Lufthansa offenbart.

Trotzdem ist die Aktion der 200 Piloten verheerend. Indem sie 100 Flüge unmöglich machen, maßen sie sich ein Mandat an, das ihnen ihre 7800 anderen Kollegen nicht gegeben haben. Indem sie Schadenersatzansprüche für Tausende Kunden schaffen, die Air Berlin gar nicht mehr bedienen kann, riskieren sie erstens, dass der Flugbetrieb nun innerhalb von Tagen eingestellt werden muss, dass zweitens der Fluglinie dadurch Start- und Landerechte verloren gehen, wodurch sie drittens für Investoren noch uninteressanter wird, was viertens die Perspektiven aller Beschäftigter noch düsterer macht.

Die "Kranken" sind entschlossen, ihrer Firma den Rest zu geben

Erst am Montag war bekannt geworden, dass eine irische Leasingfirma zehn Flugzeuge von Air Berlin sofort zurückverlangt. Am Dienstag schienen sich 200 Piloten entschlossen zu haben, ihrem Arbeitgeber und ihren Kollegen den Rest zu geben. Durchaus möglich, dass die Bundesregierung die nächsten Tranchen ihres 150-Millionen-Übergangskredits gar nicht mehr auszuzahlen braucht.

Es ist Realität geworden, was nach einer ähnlichen Aktion bei Tuifly im Oktober 2016 zu befürchten war. Damals hatte sich eines Morgens fast die Hälfte des fliegenden Personals krankgemeldet. Innerhalb von Stunden gab das Management Sparpläne auf. Tuifly war zweifellos das Vorbild für das, was am Dienstag geschah. Die de facto streikenden Piloten riskieren juristisch kaum etwas. Wer eine Krankheit lediglich vortäuscht, kann zwar fristlos gekündigt werden. Doch kein Hausarzt wird einem Piloten die Krankschreibung verweigern, wenn der angibt, sich nicht wohlzufühlen; und kein Arbeitsgericht wird an der Beweiskraft eines Attests rütteln. Also versuchen Air-Berlin-Piloten jetzt, den Erfolg der Kollegen von Tuifly zu kopieren.

Dass sie dabei keine Chance haben dürften, ist nur der eine Teil der Geschichte. Tuifly ist ein halbwegs intaktes Unternehmen, da war etwas zu holen - bei Air Berlin hingegen greifen die Piloten einem Management, das gar keinen Spielraum hat, sozusagen ersatzhalber ins Steuer: weil Kaufinteressenten für sie ja nicht zu packen sind.

Der andere Teil der Geschichte ist, dass diese Streikenden dabei sind, grundsätzlich die Sitten zu verderben, im schlimmsten Fall über die Luftfahrtbranche hinaus. Wilde Streiks (oder ähnliche Kampfformen wie Besetzungen und Blockaden) sind eigentlich typisch für Länder, denen eine Kultur des sozialen Dialogs fehlt. Es sind Formen der Selbstjustiz, welche hier bisher tabu sind. Braucht es demnächst allen Ernstes einen Grundkurs über den Wert von Regeln im Rechtsstaat? Ausgelöst nicht von Altenpflegern in prekären Verhältnissen, sondern von Flugzeugkapitänen?

© SZ vom 13.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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