Süddeutsche Zeitung

Insolvenz:Gescheitert an Brüssel 

Die EU-Kommission meldete früh Bedenken an. Dennoch hielt die Lufthansa am Kauf der Air-Berlin-Tochter Niki fest. Nun ist die Übernahme gescheitert - und Niki offenbar pleite.

Von Jens Flottau und Ulrich Schäfer, Frankfurt

Margrethe Vestager hatte ihre Zweifel immer wieder geäußert. Die Wettbewerbskommissarin der EU prüfte in den vergangenen zwei Monaten, ob die Lufthansa wirklich all jene Teile von Air Berlin übernehmen darf, welche die Airline sich gerne einverleiben wollte. Ende Oktober warnte sie in einem Interview mit der FAZ: "Auf einigen Strecken gibt es jetzt einen sehr hohen Marktanteil oder sogar ein Monopol. Das zu verhindern ist unsere Aufgabe." Ende voriger Woche meinte sie dann: "Wenn ein sehr wichtiger Wettbewerber in Insolvenz geht und der Marktführer ihn übernimmt, hat das für Verbraucher Konsequenzen." Die Lufthansa war also gewarnt. Selten hat sich die EU-Kommission in einem Wettbewerbsverfahren so schnell so eindeutig geäußert wie in diesem. Und alle Gegenargumente, welche die deutsche Airline in Brüssel vorgebracht hat, vermochten daran nichts zu ändern. Deshalb zog die Lufthansa am Mittwoch die Konsequenzen: Nachdem die Europäische Kommission deutlich gemacht habe, die Übernahme von Niki, einer wichtigen Tochtergesellschaft von Air Berlin, nicht bis zum 21. Dezember genehmigen zu wollen, trat sie vom Kauf zurück. Vergeblich hatte Lufthansa-Chef Carsten Spohr sich dazu bereit erklärt, Niki "quasi ohne Slots" in Deutschlands zu übernehmen, also ohne die begehrten Start- und Landerechte. Vestager befürchtete offenbar, die Lufthansa könne sich die Slots später wieder zurückholen. Wenige Stunden nach dem Rückzieher der deutschen Nummer eins kam es prompt zu den befürchteten Konsequenzen: Die österreichische Air-Berlin-Tochter stellte beim Amtsgericht Berlin-Charlottenburg einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens. Niki ist damit zahlungsunfähig. Das Unternehmen teilte lapidar mit: "Die Flüge der Niki werden mit sofortiger Wirkung ausgesetzt. Weitere Flüge der Niki sind nicht mehr buchbar. Der Flugplan der Niki verliert seine Gültigkeit." Tausende Passagiere werden somit ihre bereits gebuchten Flüge kurz vor Weihnachten nicht mehr antreten können. Viele Tickets von Niki könnten wertlos werden. Die Airline betrieb bislang etwa 20 Maschinen des Typs Airbus A321 auf Strecken von Deutschland zu europäischen Ferienzielen.

Der ehemalige Formel-1-Rennfahrer Niki Lauda hatte die Airline 2003 aus der Insolvenz der Aero Lloyd Austria heraus gegründet. 2004 hatte sich Air Berlin beteiligt und Niki später vollständig übernommen. Lauda hatte in der ersten Runde gemeinsam mit Thomas Cook geboten.

Nach der Insolvenz von Air Berlin hatten zunächst mehrere Interessenten verbindliche Kaufangebote für die österreichische Tochtergesellschaft abgegeben, darunter waren Thomas Cook, die British-Airways-Muttergesellschaft International Airlines Group und Lufthansa. Weil die Lufthansa das höchste Angebot abgab, entschieden sich der Air-Berlin-Generalbevollmächtigte Frank Kebekus und die Gläubiger Anfang Oktober für sie - trotz der Bedenken der Europäischen Kommission, die es damals schon gab. Geplant war, dass Eurowings, der Billigableger der Lufthansa, Niki übernimmt. So verfolgte Lufthansa die Übernahme von Niki und der deutschen Regionalgesellschaft LGW weiter. Doch das Konzept, durch Zugeständnisse die Kommission zu überzeugen, ging nicht auf. Fraglich ist nun, ob nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens für Niki die seit dem August insolvente Air Berlin den Überbrückungskredit der Bundesregierung über 150 Millionen Euro zurückzahlen kann. Mit diesem konnte Air Berlin den Flugbetrieb bis Ende Oktober aufrechterhalten. Der Betrag sollte aus dem Verkaufserlös von Niki und LGW bezahlt werden, dafür soll aber nur das Lufthansa-Angebot hoch genug gewesen sein. Möglicherweise könne der Kredit "nur zum Teil zurückgezahlt werden", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Auch in der Insolvenz kann der Insolvenzverwalter noch versuchen, einen anderen Käufer für Niki zu finden, allerdings droht der Verlust der Fluglizenz und Slots. Einziger verbliebener Kandidat war bislang Thomas Cook, Mutterkonzern der Ferienfluggesellschaft Condor. Anders als im Falle Lufthansa gilt eine wettbewerbsrechtliche Genehmigung als sicher. Auch Niki Lauda ist weiter an Niki interessiert. Lauda sagte aber: "Der Preis, den man für eine insolvente Airline zahlen muss, ist niedriger als der für eine, die noch fliegt." Scheitert die Rettung von Niki, könnten tausend Mitarbeiter ihren Job verlieren. "In Sachen Niki braucht es eine Lösung, die möglichst viele heimische Arbeitsplätze sichert und gerade jetzt, in der Reisezeit um Weihnachten, Chaos für Kunden vermeidet", sagte ein Sprecher des Verkehrsministeriums in Wien. Auch die Gewerkschaft Vida forderte rasche Lösungen, um die Flugzeuge in der Luft zu halten. Niki rief die Fluggäste dazu auf, sich an ihren Reiseveranstalter zu wenden. Bei Pauschalreisen muss dieser für Ersatzflüge sorgen. Für Passagiere mit direkt bei Niki gebuchten Flügen organisieren mehrere Fluggesellschaften eine Rückholaktion aus dem Ausland nach Deutschland, Österreich und die Schweiz - "gegen ein geringes Entgelt", wie es bei Niki hieß.

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Quelle:
SZ vom 14.12.2017
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