Süddeutsche Zeitung

Finanzierungslage:Das Risiko für Insolvenzen steigt

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Bei manchen Firmen läuft es deutlich besser als erwartet, doch viele stehen kurz vor dem Aus. Nun verschärfen die Banken ihre Anforderungen.

Von Christiane Kaiser-Neubauer

Nach acht Monaten Lockdown ist die Lage dramatisch. Unter dem Titel "Gebt uns eine Chance!" forderten vergangene Woche 26 Unternehmen des Gastgewerbes und der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband per ganzseitiger Zeitungsanzeige Insolvenzschutz für die schwer angeschlagenen Branchen. Adressiert war der Brief an die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten.

Dabei hat der Staat in der Corona-Krise bislang weitaus mehr Mittel für die Stützung der Wirtschaft bereitgestellt als in der Finanzkrise oder für den Aufbau Ost. Satte zehn Milliarden Euro stehen im zweiten Jahr der Pandemie als Liquiditätshilfe bei der Förderbank KfW bereit. 2020 unterstützte die Regierung die Wirtschaft in Deutschland mit Förderkrediten der KfW in Höhe von 106,4 Milliarden Euro. Davon flossen 46 Milliarden Euro in direkte Corona-Hilfsprogramme. Doch diese Hilfen kommen offenbar nicht überall an.

Friederike Köhler-Geib, Chefvolkswirtin der KfW, rechnet mit einer erhöhten Insolvenzgefahr, insbesondere für die direkt vom Lockdown betroffen Branchen. "Dies umfasst vor allem das Gastgewerbe, Segmente des stationären Einzelhandels, aber auch zahlreiche Unternehmen und Selbstständige aus dem Bereich der persönlichen Dienstleistungen sowie der Kultur- und Veranstaltungsbranche", so Köhler-Geib.

Eine breite Überschuldung des Mittelstandes erwartet die Expertin nicht. Dazu ist die finanzielle Situation zwischen den einzelnen Branchen zu heterogen. Denn selbst innerhalb der Sektoren gibt es Krisengewinner und -verlierer wie die KfW-Corona-Sondererhebung belegt. "Rund ein Drittel mittelständischer Unternehmen sahen bisher im Lauf der Pandemie ihr Eigenkapitalpolster abschmelzen", sagt Köhler-Geib. Zeitgleich konnte jedoch die Hälfte der Unternehmen ihre Eigenkapitalquote stabil halten oder sogar steigern.

Trotz Niedrigzinsen sind Kredite wenig gefragt

Trotz teils akutem Liquiditätsbedarf agieren die Betriebe am Kreditmarkt derzeit zurückhaltend. "In der Breite des Mittelstandes besteht der Trend, dass die Unternehmen wenige Finanzierungen nachfragen. Das ist damit zu begründen, dass sie überwiegend extrem gut mit Maßnahmen wie Investitionsstopps, Kosteneinsparungen, Kurzarbeit oder der Optimierung des Umlaufvermögens auf die Krise reagiert haben", sagt Tino Franzen , Leiter des Firmenkundengeschäfts der HVB Südwestdeutschland. Bedarf an KfW-Corona-Krediten bestehe bei der Münchner Bank fast nur noch bei kleinen Betrieben aus den direkt betroffenen Branchen.

Firmen, die sich bereits im Frühjahr 2020 mit KfW-Mitteln absicherten und weiterhin mit Umsatzausfällen kämpfen, sollten nun reagieren, rät Claudia Schlebach, Leiterin Unternehmensförderung bei IHK München und Oberbayern: "Das eine tilgungsfreie Jahr der Corona-Hilfskredite ist nun vorbei. Hier war es daher wichtig, nachzubessern, was nun per Einzelantrag über die Hausbank möglich ist." Die praktikabelste Lösung sei, die gestundeten Tilgungsraten an das Ende der Kreditlaufzeit zu setzen.

Bei manchen Firmen stehen nun Investitionen in die Digitalisierung an

Aufgrund der wirtschaftlichen Erholung verhandeln Unternehmen mit den Banken bereits verstärkt über Refinanzierungen. Ab Herbst lief die Geschäftsentwicklung bei der Mehrheit der HVB-Firmenkunden deutlich besser als sie ursprünglich kalkuliert hatten. "Häufig wollen große Unternehmen kurzfristig gewährte Kredite anpassen oder zügig zurückführen", sagt Franzen.

Noch ist die Lage verhalten, aber viele Unternehmen bereiten sich schon für die Post-Corona-Zeit vor und holen wichtige Projekte wie Produktionserweiterungen, Investitionen in die Digitalisierung oder für mehr Energieeffizienz nach. "Unternehmen streben vor allem nach langfristigen Finanzierungslösungen, denn das Zinsniveau ist trotz Krise nach wie vor sehr niedrig und diese Finanzierungen sind bei Banken und Investoren auch verfügbar", sagt Franzen.

Die KfW prognostiziert für das erste Halbjahr dennoch deutliche Rückgänge des Kreditneugeschäfts. Denn die Kapitalgeber verschärfen schrittweise ihre Vergabepolitik für den Mittelstand. "Die Banken schauen genau hin, was die Zukunftsfähigkeit der Geschäftsmodelle angeht. In der Krise ist daher das Thema Finanzkommunikation mit Gläubigern und Banken überlebenswichtig. Vor allem auf jede Abweichung von der Planung sollte rasch reagiert werden", sagt Schlebach. Um sich stärker abzusichern, schärften die Finanzinstitute bei Reporting-Anforderungen, Kreditklauseln sowie den Risikoaufschlägen nach. Besonders betroffen von Absagen sind mittelständische Dienstleister und der Einzelhandel.

"Bei den Finanzierungskosten haben wir eigentlich keine größeren Ausschläge gesehen. Wir sind in der Breite heute fast wieder auf Vor-Krisenniveau, was Risiko-Aufschläge angeht", sagt HVB-Mann Franzen. Laut IHK-Vertreterin Schlebach gehe es derzeit weniger darum, wie viel der Kredit kostet, "sondern vielmehr darum, wie hoch der Finanzierungsspielraum ist, den die Banken einzelnen Unternehmen einräumen". Einen Zinsanstieg erwarten die Experten auch mittelfristig nicht. Die anhaltende Niedrigzinsphase spiegelt auch die nach wie vor fragile gesamtwirtschaftliche Lage wider.

Angesichts der unsicheren Konjunkturlage sind im Mittelstand besonders Instrumente der Innenfinanzierung gefragt, um die Finanzkennzahlen zu verbessern. Vorräte und Warenbestände werden gesenkt, nicht benötigte Betriebsmittel verkauft, Zahlungsziele verkürzt.

Die Zurückhaltung der Banken in Verbindung mit den Niedrigzinsen macht Mezzanine-Kapital für Unternehmen attraktiv. Diese Mischform zwischen Eigen- und Fremdmittel ermöglicht bankenunabhängige Finanzierungen durch privates Beteiligungskapital oder Fonds.

In den vergangenen Monaten stieg sowohl die Anbieterzahl als das Kapital am Mezzanine-Markt hierzulande deutlich. Allein die bayerische Beteiligungsgesellschaft BayBG zahlte 2020 Mezzanine für Startups und kleine Unternehmen in Höhe von 37 Millionen Euro aus. Für das laufende Jahr wurden die Beteiligungsvolumina aufgestockt. "Das Forderungsmanagement ist in der aktuellen Lage der zentrale Punkt und absolute Chefsache. Wenn möglich, sollten die Firmen ihre Zahlungsbedingungen anpassen, um Ausfälle zu vermeiden", sagt Schlebach, die Optionen wie Vorauskasse, Warenkreditversicherungen und den Forderungsverkauf empfiehlt.

Die Regierung hatte im Frühjahr 2020 mit Kreditversicherern einen Schutzschirm aufgespannt, um die Lieferantenkredite deutscher Unternehmen zu sichern und die Wirtschaft in schwierigen Zeiten zu stützen. Die staatliche Garantie für Lieferantenkredite läuft am 30. Juni jedoch aus. Abhilfe bei existenzgefährdenden Kapitalengpässen soll der neue Eigenkapitalzuschuss (Überbrückungshilfe III) bringen, der betroffenen Unternehmen, Selbständigen und Freiberuflern maximal 100 Prozent der Fixkosten ersetzt.

Laut IHK liegen dafür allein in Bayern bereits Anträge auf mehr als 1,3 Milliarden Euro an Zuschüssen vor. Doch es gibt einen Haken. "Generell sind Unternehmen in Insolvenz nicht antragsberechtigt. Das bedeutet, dass selbst Unternehmen mit guten Fortführungsprognosen keine Überbrückungshilfe III erhalten", sagt Schlebach, die hier Anpassungsbedarf fordert. Denn gerade Sanierungsverfahren in Eigenverwaltung und unter Schutzschirm zielen auf den Erhalt der Betriebe ab. Ob die durch Beherbergungsverbote mit bis zu 90-prozentigen Umsatzausfällen bedrohten Hotelbetriebe durch den Eigenkapitalzuschuss gerettet werden können, ist fraglich.

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