Insolvente Drogeriekette:Zahlreiche Schlecker-Mitarbeiterinnen ohne Job

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Fast 23.000 Schlecker-Mitarbeiterinnen haben ihren Job verloren, nur ein Viertel hat neue Arbeit gefunden. Der Plan von Arbeitsministerin von der Leyen, die Verkäuferinnen zu Erzieherinnen umzuschulen, erwies sich in der Praxis als nahezu unmöglich. Nur 81 ehemalige Beschäftigte absolvieren die mehrjährige Umschulung. Aber es gibt auch Lichtblicke.

Uwe Ritzer, Nürnberg

Was die Ratschläge einer Ministerin wert sind, da hat Yvonne Bruder ihre ganz eigenen Erfahrungen. Bis Ende März 2012 arbeitete die 37-jährige Frau aus Schwabach bei Nürnberg bei Schlecker - fast 19 Jahre lang, die meiste Zeit davon als Filialleiterin. Nachdem es nach dem Abitur mit dem Wunsch-Studium nicht geklappt hatte, war sie bei der Drogeriemarktkette gelandet und hängen geblieben. "Ich habe sehr gern bei Schlecker gearbeitet", sagt Bruder. Doch dann kam die Insolvenz, und Arbeits- und Sozialministerin Ursula von der Leyen (CDU) riet, die Schlecker-Frauen mögen sich zu Erzieherinnen und Altenpflegerinnen umschulen lassen. Schließlich herrsche dort ein gravierender Personalmangel. Yvonne Bruder hielt das für eine gute Idee.

Nur sind Ideen, auch wenn sie von Bundesministern kommen, das eine und die Wirklichkeit etwas völlig anderes. Insgesamt 22.959 Menschen, 97 Prozent davon Frauen, verloren durch die Pleite von Schlecker und IhrPlatz ihre Arbeit. Ganze 81 von ihnen haben seither eine mehrjährige Umschulung begonnen, wie sie etwa zur Ausbildung als Erzieherin notwendig ist. Dies geht aus einer Statistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) hervor, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Es ist die erste detaillierte Erhebung darüber, was aus den Schlecker-Frauen wurde.

"Kasse geschlossen": ein Kassenband-Schild neben einer Schlecker-Verkäuferin, kurz bevor die letzten Läden dichtgemacht haben. (Foto: dpa)

Demnach ist knapp die Hälfte derer, die verteilt auf zwei Entlassungswellen im März/April, sowie zum 1. Juni ihre Jobs verloren, nach wie vor als arbeitslos registriert. BA-Vorstand Raimund Becker rät zur differenzierten Betrachtung der Statistik. "Knapp 60 Prozent aus der ersten Welle sind bereits nicht mehr arbeitslos gemeldet", sagt er, "bei der zweiten Welle sind es knapp 30 Prozent." Viele Bewerber hätten "auch wegen der Sommerferien, in denen Betriebe nur sehr zurückhaltend Personal einstellen, nicht sofort eine Anschlussbeschäftigung finden" können, so Becker.

Der BA-Vorstand rät zur Geduld: Man müsse gerade den etwa 14.000, denen bei der zweiten Welle im Juni gekündigt wurde, noch etwas Zeit geben. Drei, vier Monate dauere es erfahrungsgemäß "sich zu orientieren, das eigene Bewerberprofil zu analysieren und sich aktuelle Bewerbungsstrategien anzueignen", sagt Becker.

Etwa 5900 Betroffene haben dies inzwischen nicht mehr nötig, weil sie eine neue Arbeit gefunden haben. Man könnte auch sagen: Nur gut ein Viertel der Schlecker-Frauen hat einen neuen Job. 3950 haben die Suche inzwischen ganz aufgegeben. Sie haben sich bei den Arbeitsagenturen abgemeldet, weil sie kurz vor der Rente stehen, unter Mutterschutz stehen oder schlichtweg nicht leistungsberechtigt sind, beispielsweise weil der Ehepartner zu viel verdient. Manch einer mag sich auch frustriert zurückgezogen haben.

BA-Vorstand Becker verweist hingegen darauf, "dass wir durchschnittlich jedem Betroffenen sieben Vermittlungsvorschläge gemacht haben." 10.000 Betroffene haben zwischenzeitlich Weiterbildungsmaßnahmen, Bewerbungstraining oder andere Lehrgänge absolviert. Aktuell stecken knapp 2000 Betroffene noch in solchen Trainingsmaßnahmen.

Sie dauern in der Regel wenige Wochen, vielleicht ein paar Monate. In dieser Zeit lässt sich jedoch keine Erzieherin ausbilden, wie Ministerin von der Leyen sich das wünscht. Die entsprechende Ausbildung dauert drei Jahre. Das erweist sich als der größte Hemmschuh für die Schlecker-Frauen, wie auch Yvonne Bruder lange Zeit schmerzlich erfahren musste.

Kurz nachdem sie die Aussagen der Ministerin gelesen hatte, schrieb Yvonne Bruder Ursula von der Leyen eine E-Mail. Denn die für sie zuständige Arbeitsagentur hatte Bruder erklärt, dass eine Umschulung zur Erzieherin "nicht förderfähig" sei. Die Antwort aus dem Berliner Arbeitsministerium: Frau Bruder möge sich bitte an das Bundesland Bayern wenden.

Von dessen Sozialministerium habe sie sich "nicht ernst genommen gefühlt", sagt die verheiratete Mutter einer sechsjährigen Tochter. Kam doch nicht viel mehr zurück als der Verweis auf die Zuständigkeit der Arbeitsagentur. Die blieb weiter bei ihrem Nein zur Erzieherinnen-Umschulung, was wohl einen handfesten politischen Hintergrund hat: Die Bundesagentur für Arbeit darf Umschulungen lediglich zwei Jahre lang bezahlen. Die Ausbildung zur Erzieherin dauert jedoch drei Jahre. Bund und Land streiten sich, wer die Kosten für das dritte Jahr übernehmen muss. "Wenn sie sich einigen würden, hätten wir weitaus mehr Spielraum, um Menschen in solche Berufe zu bringen", warnte BA-Vorstand Becker seit geraumer Zeit.

Die Vermittlung der Schlecker-Frauen läuft schleppend. Noch immer sind viele der früheren Verkäuferinnen ohne Job. (Foto: dpa)

Yvonne Bruder sah ihre Felle bereits davon schwimmen. Bis der Chef der für sie zuständigen Arbeitsagentur den Weg zur Umschulung doch noch frei machte - mit Rückendeckung der BA. Zumal Bruder eine wesentliche gesetzliche Forderung erfüllte: Erzieherin kann nur werden, wer vorher zwei Jahre zur Kinderpflegerin ausgebildet wurde. Oder alternativ mindestens vier Jahre ein eigenes Kind großgezogen und in dieser Zeit nicht anderweitig gearbeitet hat. Das traf auf Yvonne Bruder zu.

Nun besucht sie eine Fachakademie in Nürnberg; zwei Jahre Schule und Praktika in Vollzeit. Die BA zahlt ihr weiter Arbeitslosengeld und monatlich 200 Euro Schulgeld. Später möchte Yvonne Bruder als Erzieherin in einem Hort oder einer Ganztagesschule arbeiten.

© SZ vom 02.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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