Süddeutsche Zeitung

Unternehmen:Warum es gerade kaum Insolvenzen gibt

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Trotz Pandemie gehen derzeit nur wenige Firmen pleite. Das liegt auch an einem Spezialgesetz, doch Experten warnen, dass es oft falsch angewandt wird - mit gefährlichen Folgen.

Von Jan Lutz, München

Nicht enden wollende Schachtelsätze, unsägliche Substantivierungen und lateinische Fachausdrücke, die sich zwar gut anhören, inhaltlich aber keinen Mehrwert bringen: Juristen werden oft dafür kritisiert, dass sie eine Sprache sprechen, die Laien nicht verstehen. Dass aber selbst Anwälte Schwierigkeiten haben, ihre fachliche Muttersprache zu durchdringen, ist ungewöhnlich. Die Rede ist vom Covid-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAg). "Das Werk gilt als besonders schwer verständlich", sagt Christoph Niering, Vorstand des Verbands der Insolvenzverwalter Deutschlands (VID). Und das kann gefährliche Folgen haben.

In dem Gesetz, das in seiner neuesten Version bis zum 30. April gilt, wird geregelt, wann ein Geschäftsführer in Zeiten der Pandemie einen Insolvenzantrag stellen muss. Grundsätzlich ist das der Fall, wenn ein Unternehmen seine fälligen Rechnungen nicht mehr zahlen kann (Zahlungsunfähigkeit) oder wenn das Vermögen des Unternehmens die Schulden nicht mehr deckt (Überschuldung). Durch das COVInsAg wird die Pflicht, einen Antrag zu stellen, nun für den folgenden Fall aufgehoben: Die Geschäfte einer Firma leiden unter den Corona-Regeln in einem Maß, dass sie eigentlich nahe der Pleite ist; nur dank staatlicher Hilfsgelder kann das Unternehmen überleben.

Doch hier lauert die Gefahr: Anders als es der Begriff Insolvenzaussetzungsgesetz suggeriert, wird die Pflicht, einen Insolvenzantrag zu stellen, durch das Gesetz nicht prinzipiell ausgesetzt. Jeder Unternehmer (oder sein Berater) muss nach wie vor prüfen, ob das Hilfsgeld überhaupt kommt und ob es in der Höhe ausreicht, um alle Forderungen zu begleichen. Eher unwahrscheinlich, dass die meisten notleidenden Unternehmen diese Kriterien erfüllen.

Den Zahlen nach scheint es jedoch so zu sein. Trotz der schweren wirtschaftlichen Krise werden derzeit kaum Insolvenzanträge gestellt - was darauf hindeutet, dass das Gesetz nicht verstanden wird. Im Vergleich zu 2019 sind die Unternehmensinsolvenzen 2020 laut dem Statistischen Bundesamt um 13 Prozent gesunken. Auch für die ersten Monate des Jahres 2021 berichten Gerichte von einem Rückgang der Insolvenzanträge.

Fachleute lässt das aufhorchen. Gerade in Branchen, die stark von den Einschränkungen betroffen sind, wie etwa Gastronomie, Einzelhandel oder Tourismus, würden viele "von der Hand in den Mund leben", sagt Niering. "Nur wenige haben ein ausreichendes finanzielles Polster." Der Insolvenzverwalter berichtet, dass viele Betroffene momentan davon ausgehen, dass sie grundsätzlich keinen Antrag stellen müssten.

Hinzu kommt: Selbst Steuerberatern und Anwälten fällt es schwer zu prognostizieren, ob und wie viel Corona-Hilfsgeld wann zu erwarten ist. Das verkompliziert wiederum die Frage, ob ein Insolvenzantrag gestellt werden muss. Die Förderpakete seien in jedem Sektor und in jedem Bundesland unterschiedlich, und teilweise "werden die Förderhilfen zwar aufgelegt, aber nicht in Gesetztestexte gegossen", sagt Niering.

Geschäftsführer gehen unter Umständen ein hohes Risiko ein

Trotz der großen Unsicherheiten machen sich Unternehmer aber nach wie vor strafbar, wenn sie keinen Insolvenzantrag stellen, obwohl eine Pflicht dazu besteht. Martin Gogger, Richter für Insolvenzrecht am Landgericht Würzburg, weist darauf hin, dass Geschäftsführer in solchen Fällen unter Umständen mit ihrem Privatvermögen haften. Die Rechtsform spielt dabei keine Rolle. Schon vor Corona-Zeiten war das in 30 Prozent der Insolvenzverfahren der Fall, Tendenz steigend. Und das Risiko, bei einer Insolvenzverschleppung entdeckt zu werden, ist groß: Insolvenzverwalter und auch die Staatsanwaltschaft prüfen stets, ob die Anträge rechtzeitig eingegangen sind. "Die schauen genau hin", sagt Jurist Niering.

Er ist mit seiner Warnung nicht allein: Jörn Weitzmann, der Vorsitzende im Insolvenzrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins, sieht die Sache ähnlich und spricht von einer "vielschichtigen Gefahr", die nicht nur die Unternehmer betreffe, sondern auch deren Zulieferer. Weitzmann zufolge hoffen viele Unternehmer noch auf finanzielle Hilfe, obwohl sie keine mehr bekommen. Die falsche Hoffnung führe in der Folge nicht nur dazu, dass kein Insolvenzantrag gestellt werde; laut Weitzmann würden dadurch häufig auch Vertragspartner geschädigt, die davon ausgehen, dass das Unternehmen seine Schulden zukünftig begleichen kann.

Ende Januar wurden im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages 45 Experten zur Aussetzung der Antragspflicht angehört. Laut Niering habe man dort gemeinsam darauf hingewiesen, dass die Politik durch die aktuelle Darstellung "die Leute in eine zivilrechtliche Haftung treibt". Doch auch wenn die Politik es schafft, das Bewusstsein für das Thema zu stärken: Die Vorhersage, ob ein Unternehmen Aussicht auf staatliche Unterstützung hat und ob dieses Geld dann auch ausreicht, um eine Insolvenz abzuwenden, gleicht oft einem Blick in die Glaskugel. Jörn Weitzmann wünscht sich deshalb "klare, nachvollziehbare Gesetze, die verstanden werden". Die Bundesregierung müsse die Frage der Ausschüttung der Hilfsgelder transparenter machen, damit jeder Unternehmer weiß, ob er eine Zahlung erwarten kann. Nur so könnten Geschäftsführer sicher planen - und im Zweifelsfall einen Insolvenzantrag stellen.

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