Belebung der Innenstadt:"Der Leerstand beschleunigt sich"

Stefan Müller-Schleipen

Stefan Müller-Schleipen sorgt sich um deutsche Innenstädte.

(Foto: Andreas Nadler, Die Stadtretter)

Unten Einzelhandel, oben Fitness-Center: Stefan Müller-Schleipen von der Initiative "Die Stadtretter" wirbt für kreative Lösungen, um ehemalige Warenhäuser neu zu nutzen.

Von Stefan Weber

Stefan Müller-Schleipen ist Geschäftsführer der Initiative "Die Stadtretter", in der sich bundesweit mehr als 800 Kommunalverwaltungen, Wirtschaftsförderungen, Verbände und Unternehmen zusammengeschlossen haben. Das Ziel: ein besserer Austausch in den Kommunen und die schnellere Verbreitung guter Lösungen zur Belebung der Innenstädte. Die Initiative ist nicht kommerziell. Der Service ist für die Kommunen kostenfrei.

SZ: Seit Beginn der 90er-Jahre haben bundesweit rund 250 Warenhäuser geschlossen. Zurück bleiben Immobilien, die nicht selten mehrere Jahre leer stehen, bevor sich eine neue, nicht immer zukunftsfeste Nutzung findet.

Stefan Müller-Schleipen: Ein solcher Leerstand ist ärgerlich, weil er auf das unmittelbare Umfeld in den betroffenen Innenstädten ausstrahlt. Die Kundenfrequenz rund um den ehemaligen Warenhaus-Standort sinkt, und es dauert meist nicht lange, bis auch in der Nachbarschaft Ladenbetreiber aufgeben. Der Leerstand beschleunigt sich, und bald ist es kaum mehr möglich, diese Spirale zu stoppen. Aus eigener Kraft kann der Markt nicht mehr zu einem Ausgleich finden.

Warum gelingt das nicht?

Eigentümer der Warenhaus-Immobilien sind meist Finanzinvestoren, häufig mit Sitz im Ausland. Zieht der Betreiber aus, versuchen sie zunächst, das Haus an einen anderen Händler zu vermieten. Denn dann müssen sie vergleichsweise wenig in den Umbau investieren. Schließlich ist die Immobilie für Einzelhandelszwecke konzipiert und gebaut. Ein solcher Nachnutzer findet sich jedoch auch in den 1a-Lagen der Städte, in denen die Warenhäuser häufig angesiedelt sind, nur noch in den seltenen Fällen, denn der stationäre Einzelhandel befindet sich im Umbruch.

Die Eigentümer könnten an einen Projektentwickler verkaufen, der die Immobilie mit einem anderen Konzept wiederbelebt.

Ja, das wäre eine Alternative. Aber bis es so weit ist, vergeht häufig viel Zeit. Denn der Wert, zu dem die Immobilie bei den Eigentümern in den Büchern steht, basiert auf den zuletzt erzielten Mieten. Bei einem Verkauf würde offensichtlich, dass aktuell nur deutlich niedrigere Mieten erzielbar sind. Damit würde eine Wertberichtigung fällig. So warten die Eigentümer zunächst ab, denn sie scheuen eine Korrektur der Bewertung.

Wie lässt sich dieser Prozess abkürzen?

Indem Städte und Kommunen Verantwortung übernehmen und sich stärker einbringen, sei es als Eigentümer oder als Betreiber der ehemaligen Warenhäuser. Sie könnten zum Beispiel Flächen anmieten und dort kommunale Dienstleistungen anbieten. In Hanau beispielsweise hat ein Bürgerbüro ehemalige Kaufhausflächen bezogen. Und in Lübeck wird nach der Schließung einer Karstadt-Filiale über eine Nutzung als öffentliches Zentrum für Bildung, Kultur und Dienstleistungen nachgedacht, inklusive einer Kooperation mit drei örtlichen Gymnasien. Diese Beispiele zeigen, was möglich ist, wenn Städte und Kommunen eine aktive Rolle bei der Nachnutzung von Einzelhandelsflächen einnehmen.

Viele Städte haben nicht die finanziellen Mittel, um ein solches Engagement zu stemmen.

Aber sie sollten es zumindest versuchen. Es gibt Fälle, in denen sich Bürgerfonds gebildet haben, um städtebaulich wichtige Immobilien zu erwerben. Menschen, die in einer Stadt verwurzelt sind, wissen häufig sehr gut, was ihrem Heimatort fehlt und was machbar ist. Auch gibt es vielerorts eine wohlhabende Klientel, die sich sozialer Verantwortung bewusst ist und sich nicht nur aus Rendite-Überlegungen engagieren will. Das Herz der Bürger für ihre Stadt ist meist größer, als man vermutet. Schauen Sie nach Gelsenkirchen-Buer. Dort haben sich vor einigen Jahren 16 örtliche Kaufleute, Unternehmer, Handwerker und Immobilieneigentümer zusammengetan, ein lange leer stehendes Warenhaus erworben und im großen Stil umgebaut. Das Ergebnis ist ein funktionierender Mix aus Einzelhandel, Gesundheitsdienstleistungen, Stadtbibliothek und altengerechten Wohnungen.

Wie sieht eine zukunftsfähige langfristige Nutzung einer Warenhaus-Immobilie aus?

Einzelhandel im Erdgeschoss bleibt eine gute Idee. In den oberen Etagen könnte das Thema Gesundheit eine Rolle spielen: Ärztehäuser, Reha-Einrichtungen, Fitnessstudios und, ja, auch Seniorenwohnungen. Solche Nutzungen sorgen für Frequenz. Wenn es um eine Umwidmung von Flächen in Wohnungen geht, muss man schauen, was das Baurecht zulässt. Das ist manchmal schwierig. In vielen Fällen haben sich auch Büro- und Hotel-Lösungen etabliert. Da bleibt abzuwarten, ob sich für solche Nutzungen auch künftig Investoren finden. Denn in der Pandemie haben sich vielerorts Home-Office-Lösungen etabliert - somit wird in Zukunft möglicherweise weniger und flexiblerer Büroraum nachgefragt. Auch der Bedarf für neue Hotels wird künftig wohl zurückhaltender eingeschätzt, weil weniger beruflich bedingt gereist werden wird. Aber zum Glück gibt es ja auch neue Ideen.

Zum Beispiel?

Logistik-Lösungen für die letzte Meile. Viele Einzelhändler haben in ihren Läden nur eine begrenzte Lagerfläche. Wie wäre es, wenn sie Teile ihres Sortiments in den oberen Stockwerken eines ehemaligen Warenhauses in der Nachbarschaft deponieren? So hätten sie bei Bedarf einen schnellen Zugriff auf die Artikel und sparten Mietkosten. Denkbar wäre auch, dass lokale Lieferdienste Flächen anmieten, um ihre Waren von dort zum Beispiel per Lastenfahrrad zu verteilen. Auch hier gilt: ausprobieren und mit Traditionen brechen. Es muss ja nicht gleich so weit gehen wie in São Paulo. Dort gibt es in einem ehemaligen Kaufhaus ein kommunales Sportzentrum für jedermann mitten in der Stadt. Mit viel Platz zum Klettern, Biken und anderen Sportarten sowie einem Kunstrasenplatz auf dem Dach - finanziert durch eine Steuer auf Konsumartikel. Warum denn eigentlich nicht?

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