Süddeutsche Zeitung

Inkasso-Branche:Die Geldeintreiberin

Yvonne Wagner bringt Kunden dazu, ihre Schulden zu bezahlen - ein Geschäft, das immer schwieriger wird, erzählt sie.

Von Carolin Jackermeier

Das Telefon auf dem Schreibtisch der Geldeintreiberin Yvonne Wagner klingelt. Der Anrufer sitzt in einer Justizvollzugsanstalt und meldet sich an jedem ersten Tag des Monats. Der Häftling darf nur telefonieren, um wichtige Angelegenheiten zu klären. Der Anruf im Inkassobüro gehört dazu: Er muss Schulden bei einem Fitnessstudio abzahlen. Für ihn ist es einer der wenigen Momente, in denen er Kontakt zur Außenwelt hat. Daher ist der zweite Teil seiner Begrüßung für ihn am wichtigsten: "Ich habe die 20 Euro überwiesen. Wie geht es Ihnen?", sagt er jedes Mal - und Yvonne Wagner antwortet gerne.

Um die 750 Inkassofirmen gibt es in Deutschland, schätzt ihr Bundesverband, 550 sind dort registriert. Fünf Milliarden Euro holen die im Verband gelisteten Firmen jedes Jahr für ihre Kunden zurück. Die Branche zieht aber auch dubiose Menschen an: Die Verbraucherzentrale Bayern warnte erst vergangene Woche vor "Inkassofirmen", die Gebühren fordern, die ihnen gar nicht zustehen - teilweise mit gestohlenen Briefköpfen. Und jeder Kinogänger kennt die Szenen von schwarz gekleideten Schlägern, die Schuldner bedrohen.

Inkassounternehmerin Wagner kennt dieses Image - und es schadet ihr. "Ich muss mich immer für meine Arbeit rechtfertigen", sagt sie. Früher habe sie herumgedruckst, ihren Job nur als "Juristerei" bezeichnet. Mittlerweile macht sie das nicht mehr, sondern sagt: "Ich bin Geldeintreiberin." Fremde reagierten meist neugierig, doch sie spüre oft die Skepsis, die dahinterliege. "Ich weiß, dass meine Branche nie beliebt sein wird", sagt sie. Trotzdem sei sie stolz auf ihren Job.

Seit fünf Jahren ist sie die Chefin und Eigentümerin des Münchner Unternehmens System Inkasso GmbH und übernimmt nur die Härtefälle. Die Etage in einem Bürogebäude im Westen der Stadt könnte auf den ersten Blick auch einem Start-up gehören. Im Konferenzzimmer hängt der Flatscreen, Colaflaschen und Kaffeetassen stehen bereit. Im Großraumbüro sitzen die 13 Mitarbeiter, getrennt durch orangenen Sichtschutz. Ein Hund liegt an einem Schreibtischbein, aus dem Antennenradio kommt leise Musik. Im Nebenraum ist es nicht so gemütlich. Hier liegen die wichtigen Unterlagen, die eine Inkassofirma braucht: Gerichtsvollzieherprotokolle, viele Regalmeter voll. Ab und zu blitzt eine rote Seite aus einer Mappe. Das sind die Haftbefehle. Bis 1998 gehen die Akten zurück.

Wagner möchte die Menschen überzeugen, ihre Schulden zu bezahlen, indem sie mit ihnen redet. Doch das werde zunehmend schwieriger, beschwert sie sich. "Die Schuldner sind ignoranter geworden", sagt Wagner. Früher hätten viele nach einem Schreiben des Inkassounternehmens sofort gezahlt. Das sei heute anders: Nicht mal ein Fünftel der Angeschriebenen melde sich überhaupt zurück, noch geringer sei der Anteil der Sofortzahler. Trotzdem erreicht sie oft ihr Ziel: Nur etwa fünf Prozent ihrer Fälle werden per Gericht entschieden. Zwölf ihrer 13 Mitarbeiter sind Frauen, Wagner sagt, ihr sei wichtig, dass ihr Team feinfühlig vorgehe. Ihre Mitarbeiter sollen möglichst schon in den ersten Sekunden am Telefon erkennen, ob ein Schuldner nicht zahlen kann oder nicht zahlen will. Dementsprechend müssten sie den Fall behandeln.

Durch Lockangebote wie etwa Nullprozentfinanzierungen gehört Schuldenmachen zum Alltag vieler Verbraucher. "Die Leute sparen nicht mehr, um sich etwas zu kaufen. Sie kaufen einfach, und es ist egal, ob das Geld da ist oder nicht", sagt Wagner. Die Zahl der überschuldeten jungen Menschen ging 2017 leicht zurück, zeigen Daten der Auskunftei Creditreform. Trotzdem sind demnach immer noch 1,7 Millionen Menschen unter 30 Jahren überschuldet, das ist etwa jeder Siebte in dieser Altersgruppe. Insgesamt sind knapp sieben Millionen Deutsche betroffen. Während die Jungen eher den Handyvertrag nicht bezahlen, verlagert sich das Problem bei den Älteren auf die Kosten für Miete und Strom.

Nicht jeder kann einfach so ins Inkassogeschäft einsteigen. Inkassobetriebe brauchen eine Erlaubnis vom Landes- oder Oberlandesgericht, je nach Bundesland. 2006 bekam Wagner ihre Inkassozulassung. Ein Dreivierteljahr belegte sie den Lehrgang an der Deutschen Inkasso-Akademie und legte dann eine Prüfung ab. Sie ist mit dem ersten juristischen Staatsexamen vergleichbar. "Das war echt hart", sagt Wagner. Um die Zulassung zu bekommen, müssen Bewerber ein einwandfreies Führungszeugnis vorlegen, und sie dürfen natürlich nicht im offiziellen Schuldnerverzeichnis stehen. Außerdem wird mehrere Jahre Praxiserfahrung verlangt. Ist alles okay, wird der Inkassounternehmer ins Rechtsdienstleistungsregister eingetragen, ein öffentliches elektronisches Register. Erhält ein Verbraucher ein Schreiben von einem Inkassobetrieb, kann er online im Register prüfen, ob das Unternehmen offiziell zugelassen wurde. Wagner reichen die Vorschriften nicht, sie wünscht sich eine schärfere Aufsicht, die auch nach der Zulassung durchgreift, um die seriösen Firmen zu schützen.

Kontrolle braucht Wagner auch in ihrer eigenen Firma. Das Erste, was sie morgens im Büro macht: die Kontostände prüfen. Denn manche Schuldner versuchen, bei Bestellungen Wagners Konto zu belasten anstatt ihr eigenes. Wagners Iban kennen sie ja.

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Quelle:
SZ vom 18.09.2018
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