Inhaftierter Blogger:Häutungen eines Hoffnungsträgers

Vom Regimekritiker zum Bewunderer Ahmadinedschads - und ins Gefängnis: Die tragische Geschichte eines iranischen Bloggers.

Niklas Hofmann

Die Beamten, die Hossein Derakhshan am 1. November 2008 im Haus seiner Eltern in Teheran verhafteten, waren sehr höflich, erzählt sein jüngerer Bruder Hamed. Der bekannteste iranische Blogger, berühmt geworden unter dem Kürzel Hoder, hatte die Festnahme erwartet und ging bereitwillig mit.

Inhaftierter Blogger: Blogger Hossein Derakhshan im Jahr 2006: Er habe "fest an die Fairness des Regimes geglaubt", sagt sein Bruder.

Blogger Hossein Derakhshan im Jahr 2006: Er habe "fest an die Fairness des Regimes geglaubt", sagt sein Bruder.

(Foto: Foto: AP)

"Meine Mutter machte sich Sorgen, Mütter machen sich immer Sorgen", sagt Hamed. Aber Hossein sei der Meinung gewesen, er müsse die Strafe annehmen, die ihm das Gesetz der Islamischen Republik auferlege.

Ein Jahr später hat die Islamische Republik noch immer keine Strafe für Hossein Derakhshans Vergehen bestimmt, ja nicht einmal entschieden, um welches Vergehen es sich genau handelt. Anklage wurde bislang nicht erhoben.

Sein aufsehenerregender Besuch in Israel vor drei Jahren, Iranern strengstens verboten, soll einer der Haftgründe sein. Blogeinträge, die den Religiösen Führer Ayatollah Chamenei und schiitische Heilige verspottet hätten, ein anderer.

Die verschiedenen Internettagebücher, die der 34-Jährige auf Englisch und Persisch führte, sind nicht mehr zugänglich. Der Hosting-Vertrag ist abgelaufen und aus dem berüchtigten Teheraner Evin-Gefängnis heraus konnte er ihn nicht verlängern. Die Familie kennt seine Passwörter nicht.

Bis heute ohne Anwalt

Die letzten, die sich noch intensiv mit Hoders Texten beschäftigten, waren wohl die Ankläger in den Schauprozessen gegen Irans Reformpolitiker. Denn sie zitierten im August vor dem Revolutionsgericht einen enttarnten "Spion", der ein Komplott ausländischer Mächte zur Destabilisierung des Iran gestanden habe.

Der Name des "Spions" wurde in den Protokollen nicht genannt, der Beschreibung nach handelt es sich aber zweifellos um Hossein Derakhshan. Vieles von dem aber, was sein Geständnis enthüllt haben soll, scheinen die Staatsanwälte ganz einfach aus seinen alten Blogeinträgen abgeschrieben zu haben.

Dass der German Marshall Fund oder die Soros-Stiftung nichts anderes seien als Einflussorganisationen, die den "samtenen Putsch" einer aggressiv anti-iranischen US-Politik vorbereiten helfen - genau das schrieb Hoder schon vor Jahren und ganz freiwillig. Er schrieb es als Anklage gegen die USA und zur Verteidigung der Islamischen Republik. Doch eben die macht daraus nun die Selbstbezichtigung eines Insiders der großen Weltverschwörung und wendet seine eigenen Worte als Waffe gegen den Blogger und gegen andere.

Ohne Zugang zu einem Anwalt ist Hoder bis heute. Auch sein kanadischer Pass half ihm nicht. Mehr als acht Monate musste er in Einzelhaft im Evin-Gefängnis verbringen, seine Familie konnte ihn in der Zeit nur zweimal für minutenlange Begegnungen auf Justizfluren sehen.

Nach einem offenen Brief des Vaters an die Justizbehörden wurde am vorvergangenen Donnerstag erstmals ein offizieller Besuchstermin gestattet und sogar ein gemeinsames Abendessen erlaubt. Dabei berichtete Hossein Derakhshan seinen Eltern wie ihm mit Schlägen und eiskalten Duschen das Geständnis abgepresst worden sei, Spion Israels und der CIA zu sein.

Die Geschichte eines großen Irrtums

Die Geschichte von Hossein Derakhshan ist die Geschichte eines großen Irrtums. Nach acht Jahren im Ausland war er erst wenige Wochen vor seiner Verhaftung aus London, wo er zuletzt lebte, in den Iran zurückgekehrt. Bei seinem bis dahin einzigen Besuch 2005 hatte man ihn kurze Zeit festgehalten und verhört, was ihn aber nicht sehr eingeschüchtert hatte.

"Mein Bruder hat fest an die Fairness des Regimes geglaubt", sagt Hamed Derakhshan. "Er dachte nie, dass die Regierung ihm seine Reise nach Israel vergibt. Aber er hat gedacht, dass er in einem fairen Prozess der Regierung seine Motive schildern kann", sagt Maria Rijo, eine Freundin, die noch versuchte ihm die Heimkehr auszureden.

Hossein Derakhshans unwahrscheinliches Vertrauen in die Gerechtigkeit der Mullahs ist nur die letzte Volte in der Geschichte seiner vielen Häutungen. Weite Wege hat er in erstaunlich kurzer Zeit zurückgelegt. Vom erbitterten Gegner Ahmadinedschads zu dessen offenem Bewunderer. Vom Liebling westlicher Medien und Universitäten zum Paranoiker, der in jedem Fernsehbeitrag und jedem Forschungsprojekt die CIA am Werk sah.

Von einem der auszog den Iranern, zu zeigen, dass Israelis Menschen sind, zu einem, der das Feindbild Israel beschwor. Vom bejubelten "Blogfather" zu einer weitgehend isolierten Figur der Blogosphäre. Wäre Hoder zu den Demonstrationen nach der Präsidentenwahl auf freiem Fuß gewesen, er wäre aktiv gewesen, meint sein Bruder Hamed. Nur auf welcher Seite, das wisse er nicht.

Vom religiösen Jungen zum freiheitsliebenden Blogger

Freunde schildern den privaten Hossein als einen lebenslustigen jungen Mann, der gerne ausging, der Freundinnen hatte, der sich selbst als Atheisten bezeichnete. Aber so weltlich war er nicht immer. Seine Familie, wohlhabende Kaufleute der Bazari-Schicht, hat gute Verbindungen im iranischen Establishment. Hosseins Derakhshans Onkel starb 1981 bei einem Attentat an der Seite von Chomeinis Oberstem Richter Ayatollah Beheschti.

Als sehr junger Mann fügte er sich in die Tradition ein, war streng religiös. Der Ayatollah Chamenei persönlich leitete damals die Zeremonien bei seiner Hochzeit. Doch dann kam der erste Wandel. Statt als ältester Sohn den Teppichhandel des Vaters zu übernehmen, verließ Hossein seine Eliteschule, studierte Soziologie und begann für Zeitungen zu schreiben.

Als sich die Spielräume der Pressefreiheit im Kampf zwischen Chatamis Reformern und den Konservativen einengten, ging er 2000 mit seiner iranisch-kanadischen Frau (von der er sich später trennte) nach Toronto. Dort entdeckte er die Möglichkeiten des unzensierten Mediums Internet für sich, und begann 2001 sein eigenes Weblog "Editor: Myself". Außerdem schrieb er eine Anleitung dafür, wie sich der kostenlose Dienst Blogger.com in persischer Sprache nutzen ließ.

Der ungeheuere Blog-Boom, den er damit in der nach Ausdrucksmöglichkeiten hungernden iranischen Gesellschaft auslöste, brachte ihm neben Ruhm den Beinamen des "Blogfathers" ein. Diese einmal errungene Aufmerksamkeit nicht mehr zu verlieren, schien er seitdem fest entschlossen.

Eine demonstrative, von ihm als Friedensmission apostrophierte Reise nach Israel produzierte schöne Zeitungsfotos, die ihn in einem "I love Tehran"-Shirt auf den Straßen Tel Avivs zeigten. Auf so jemanden hatten die westlichen Medien nur gewartet.

Gesicht einer Bewegung

Ein moderner, artikulationsfähiger junger Mann, der sich modisch kleidete, der sich mit Popmusik auskannte, der die Politik der Reformer pries - der zum Mullah bereits optisch die Antithese zu bilden schien. Dass die Friedensmission schon im alltäglichen Zusammenleben mit seiner Gastgeberin, einer israelischen Bloggerin nach wenigen Tagen scheiterte, drang schließlich nicht nach außen.

"Hossein wurde zum Gesicht einer Bewegung und dafür war er nicht geeignet", sagt sein Freund Takin Aghdashloo, der in Toronto lebende Designer des "I love Tehran"-Shirts. Wurde Hoder anfangs zur Rolle von Blogs und der Weltsicht junger Iraner befragt wurde, besetzten die Medien ihn mehr und mehr in der Rolle eines politischen Kommentators - und er ließ sich nur allzu gerne darauf ein.

Dabei fehlte es ihm, der es akademisch nur zum Bachelor gebracht hatte, oft an Faktenwissen, sei es über politische Zusammenhänge oder über iranische Geschichte, wie Freunden auffiel. Hoder folgte mehr seinem Instinkt, verließ sich beim Schreiben auf sein Bauchgefühl. Für einen Blogger war das auch von Vorteil, er muss seinen Impulsen folgen, auch einmal einen halbgaren Gedanken riskieren. Doch er war längst in ganz andere Sphären vorgedrungen.

Kränkung, Wut und ein neuer Held

Der Status als Irans Leitblogger wurde zu seinem Entree in die erste Klasse der internationalen Medien. Die New York Times ließ ihn einen Kommentar schreiben. Auf der Website der Washington Post war er ebenso gern gesehener Gast wie auf der des Guardian. Auch im Zeit-Feuilleton veröffentlichte er. "Vielleicht", meint sein damaliger Redakteur Jörg Lau heute, "müssen wir uns selbst auch kritisch fragen, ob das wirklich so gut war"

Gleichzeitig begann Hoder immer entschiedener, sich politisch neu zu orientieren. In den Zirkeln der Exil-Oppositionellen in Kanada hatte er sich nie wohlgefühlt, wohl auch nie richtigen Zugang bekommen. 2005 wollte er sich in New York niederlassen - wurde aber aus formalen Gründen von US-Grenzern abgewiesen.

Die persönliche Kränkung verband sich nach und nach mit politischer Wut. Er ging nun mit allen auf Konfrontationskurs, die er verdächtigte, US-Plänen zum Regime Change nahezustehen. In dem Maße in dem sich in seinen Schriften ein Anti-Bush-Affekt zum harten Antiamerikanismus verdichtete, wuchs seine Bewunderung für den zuvor verachteten Ahmadinedschad. "Er hatte in Ahmadinedschad seinen antiamerikanischen Helden gefunden.", glaubt sein Bruder.

Hoder hatte Freude an der gezielten Provokation, und kokettierte auch gerne mit seiner Tabulosigkeit, wenn er in seinem Blog etwa verkündete, gerade zwei Gläser israelischen Weins auf den Sieg der Hisbollah getrunken zu haben. Aber der große Kurswechsel, beteuern Freunde, sei aufrichtig gewesen. Er habe immer sein Land verteidigen wollen, sagt Maria Rijo.

Suche nach westliche Verschwörungen

Mit dem Eifer eines Verschwörungstheoretikers begann er in nahezu jedem westlichen Think Tank, jedem Medium, jeder Menschenrechtsorganisation den verlängerten Arm der US-Geheimdienste zu sehen und zu denunzieren. In einer bitteren Wendung des Schicksals sind es genau diese Angriffe, die die iranische Justiz heute als Bekenntnisse eines CIA-Mannes verkauft.

2006 wurde der Philosoph Ramin Jahanbegloo, bei dem Derakhshan in Toronto einige politikwissenschaftliche Seminare belegt hatte, bei einem Aufenthalt in Teheran festgenommen. Erst nach vier Monate, die er ohne Anklage im Gefängnis Evin verbringen musste, kam er frei. Seine Mutter hatte dafür ihr Haus verpfändet.

Bei seiner Haftentlassung gab Jahanbegloo einer iranischen Nachrichtenagentur ein bizarres Selbstbezichtigungsinterview, in dem er "gestand" mit seiner Arbeit für Institutionen wie den German Marshall Fund ausländischen Einfluss-Agenten in die Hände gespielt zu haben. Die Reaktion von Jahanbegloos Ex-Student Derakhshan darauf, nennt Jörg Lau noch heute "widerlich".

Am Wahrheitsgehalt von Jahanbegloos "Geständnis" sei nicht zu zweifeln befand Hoder im Netz. Er begrüßte, dass der Philosoph seine Fehler eingesehen habe. Zwang könne dabei ausgeschlossen werden, schließlich habe Iran seit der Chatami-Regierung "die Stufe des Staatsterrors hinter sich gelassen".

Nicht nur Lau hatte einen "Wahnsinnsstreit" mit Hoder wegen des Falls Jahanbegloo. Sein Tonfall isolierte ihn, die Freunde in den Medien waren von seiner nationalistischen Neuausrichtung zunehmend befremdet und zögerten, seine Texte noch zu veröffentlichen.

Das Gedächtnis des Repressionsapparats unterschätzt?

Warum wird einer nach solchen Sätzen überhaupt verhaftet? Manche seiner Gegner macht das bis heute misstrauisch. Mit Spionagevorwürfen ist auch diese Seite schnell bei der Hand. Möglich, dass Hoder, der sich nach Hause sehnte, die Signale des Regimes falsch verstanden hat, dass er dessen Versöhnungswillen über-, und das Elefantengedächtnis des Repressionsapparats unterschätzt hat.

Möglich auch, dass Ahmadinedschads Leute an Hoders Positionen und ihrem Wechsel schlicht herzlich wenig Interesse hatten und - so geht jedenfalls eine Theorie in seinem Umfeld - nur eines wollten: sich beizeiten einen geeigneten "Spion" als Belastungszeugen gegen die Reformer zu sichern.

Sicher ist nur, dass Hoders wütendes Bloggen ihm in Irans Politik nie so viele neue Freunde einbrachte, wie er im Westen und unter den Exilanten vor den Kopf stieß. Lange ist es um sein Verschwinden verblüffend ruhig geblieben. Selbst die kanadische Regierung zeigte in anderen Fällen im Iran verhafteter Staatsbürger deutlich mehr Ehrgeiz, diese wieder freizubekommen.

"Hosseins Charakter fehlt die ethische Dimension", meint Ramin Jahanbegloo heute. Aber anders als viele andere Exil-Iraner will er nun, da Derakhshan selbst falsche Geständnisse abgepresst werden, ihm seine Unterstützung nicht versagen. Wer gegen die Tyrannei sei, müsse sich auch für den Tyrannophilen einsetzen, meint Jahanbegloo. "Er ist ein Autor, und er ist wegen dem was er geschrieben hat, im Gefängnis. Er muss freigelassen werden. Aber wenn er einmal frei ist, müssen wir mit ihm über seine Prinzipien diskutieren."

Hossein Derakhshans Blogeinträge sind noch über das Internet Archive zugängig.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: