Süddeutsche Zeitung

Werbung:Influencer, die neue Marketing-Macht

Lesezeit: 4 min

Von Valentin Dornis und Angelika Slavik

Jörn möchte noch ein bisschen kuscheln. Das ist keine große Sache, schließlich kuschelt sich Jörn ständig an irgendwas: an ein Baby, zum Beispiel. An seine Freundin. In einen Bademantel. Ist ein ziemlich kuscheliger Typ, der Jörn. Wenn er sich an irgendetwas kuschelt, macht Jörn gerne Fotos davon und stellt sie ins Internet. Mehr als 271 000 Menschen wollen das sehen, sie folgen ihm auf der Social-Media-Plattform Instagram. Und wegen dieser 271 000 kuschelt Jörn an diesem Morgen mal mit - einer Flasche Waschmittel. "Coral liebt deine Kleidung", steht als Schlagwort daneben.

Jörn Schlönvoigt, 31, gilt als "Influencer", also als jemand, der die Werte und Ziele und damit auch das Kaufverhalten seiner überwiegend jungen Anhängerschaft beeinflussen kann. Influencer zu sein ist längst ein eigener Job geworden. Einige können davon leben, manche sogar sehr gut. Schlönvoigt ist aber auch noch Seifenopern-Darsteller, Schlagersänger und, so steht es in seinem Profil, DJ - und vor allem ist er nicht der Einzige, der eine ungewöhnliche Beziehung zu einem Waschmittel zu pflegen scheint. In den vergangenen Wochen konnte man bei Instagram auch Menschen sehen, die ihr Waschmittel bei einem Fahrradausflug dabei haben, im Park oder bei einem Spaziergang durch München. Für all diese Fotos hat der Waschmittelhersteller eine Menge Geld bezahlt. Ob es gut investiert war? Die Follower, die eigentlich für das Waschmittel begeistert werden sollten, übten sich in Spott und Kritik: "Gab es die Gehirnwäsche bei Coral kostenlos dazu?", steht unter einem der Fotos.

Sauber Sache? Fiona Erdmann,...

...Grace Capristo,...

...Lisamarie Schiffner...

...und Jörn Schlönvoigt machen auf Instagram Werbung für ein Waschmittel. Fotos: Instagram

Man könnte diese Geschichte nun hier enden lassen, als lustige kleine Episode einer missglückten Werbeaktion. Aber die Wahrheit ist komplizierter: Denn Influencer-Marketing ist nicht einfach das neue Lieblingsspielzeug der Werbebranche. Der Aufstieg der Influencer verändert die Regeln des Wirtschaftslebens grundlegend - weit über die Werbung hinaus.

Ein Unternehmen, das Influencern besonders viel Einfluss zugesteht, ist der bayerische Kosmetikhersteller Schwan. Das Unternehmen fertigt Schminkutensilien im Auftrag vieler großer Marken, von Yves Saint Laurent bis Giorgio Armani soll die Kundenliste reichen - und um sich bei der Entwicklung und Verbesserung der Produkte Rat zu holen, hat der Konzern die Dienste klassischer Unternehmensberater durch den Rat von Bloggern und Influencern ersetzt. "In der Kosmetikbranche ist niemand näher an unserer Zielgruppe als die Influencer", sagt Bernd Preuschoff, Digitalexperte bei Schwan. Das Kosmetikunternehmen erhalte dadurch ein viel lebensnäheres Feedback, als es klassische Consultants je anbieten könnten, findet er. "Unterm Strich ist nicht entscheidend, dass mir jemand erzählt, wo wir in der Produktion einen Cent sparen könnten. Ich will wissen: Was fehlt den Kunden? Bei welchen Produkten ist die Anwendung zu kompliziert? Was können wir verbessern? Ein Berater kann das nur mühsam indirekt erfahren. Eine Youtuberin erlebt es."

Influencer beeinflussen bei Schwan die Geschäfte also doppelt: Sie wirken auf die Produktgestaltung. Und sie sorgen dafür, dass diese Produkte am Ende von der Zielgruppe auch gekauft werden.

Klaus-Dieter Koch ist Chef der Strategieberatung Brandtrust in Nürnberg, er berät Unternehmen auch im Umgang mit Influencern. Koch sagt, Menschen hätten sich seit jeher Vorbilder gesucht, bloß hätte das Internet den Vorbildern von heute eine völlig neue Reichweite verschafft. "Die Schönste auf dem Schulhof war auch früher das Vorbild für alle anderen, aber ihr Einfluss war auf die Schule beschränkt", sagt Koch. Heute habe "die Schönste" eben zwei Millionen Fans, das verleihe ihr Marktmacht und mache sie für Firmen interessant. Koch nennt die Youtuberin Bianca Heinicke, bekannt als Betreiberin von "Bibis Beautypalace". Als die in Kooperation mit der Drogeriekette dm einen Duschschaum auf den Markt brachte, war das binnen Stunden ausverkauft. "Dagegen sieht Nivea alt aus, obwohl die garantiert auch wissen, wie man Duschgel macht."

Insgesamt verdeutlicht der Aufstieg der Influencer, was Koch eine "Banalisierung der Profession" nennt: Die Digitalisierung ermöglicht Menschen, sich auf Feldern zu betätigen, für die man früher eine fundierte Ausbildung absolviert hat. Das betrifft Unternehmensberater, Produktentwickler, Filmemacher, Werber und den Journalismus. Dass ihnen plötzlich Laien Konkurrenz machten, sei für Profis aller Branchen oft "schwer zu ertragen", sagt Koch. Die Herausforderung für die Wirtschaft sei, damit umzugehen: "Unternehmen müssen lernen das Disruptive zu ertragen, die Konkurrenz von neuer Seite anzunehmen." Dann könne man eigene Schwächen erkennen und seine Marktposition verbessern.

Dennoch bleibt die Frage, wie aus ein paar Teenagern mit Tagesfreizeit ein zentraler Faktor in der Wirtschaft werden konnte. Die Geschichte von Oguz Yilmaz illustriert das ganz gut. Yilmaz war Teil des Comedy-Trios Y-Titty, das von 2006 bis 2015 einen der erfolgreichsten Youtubekanäle in Deutschland betrieb. Das Gesamtwerk von Y-Titty lässt sich so zusammenfassen: 3,1 Millionen Youtube-Abonnenten, eine Milliarde Videoaufrufe, ein Album in den Charts, zwei Bücher in den Bestsellerlisten, ausverkaufte Live-Tour. Und reihenweise Produktplatzierungen, Kooperationen, Werbeverträge.

"Ich stamme noch aus einer Zeit, da hat kaum jemand auf Youtube Geld verdient", sagt er heute. Das klingt ein bisschen wie "Opa erzählt vom Krieg", doch im Internet ist das Entwicklungstempo hoch, da kann auch ein schmaler 26-Jähriger mit Dreitagebart schon ein Veteran sein. Yilmaz heckte von 2008 an mit zwei Freunden lustige Videos aus, bald steckten sie ihre ganze Energie in den Youtube-Kanal.

"Schleichwerbung" lautet ein häufiger Vorwurf gegenüber Influencern

Ihr Antrieb war damals nicht das Geld, sondern die Leidenschaft für Videos und Unterhaltung. Sie brachten sich alles selbst bei: die Konzeption, das Filmen, den Schnitt. Bis heute typisch für Influencer: "Viele durchlaufen eine Art öffentliche Ausbildung. Sie bauen Reichweite auf und lernen Schritt für Schritt", sagt Yilmaz. Auch, wie sie mit Unternehmen Geschäfte machen können. Tatsächlich waren Y-Titty mit die ersten Youtuber, die mit großen Unternehmen kooperierten. Coca-Cola, der Computerspiele-Entwickler EA und Samsung gehörten dazu. Y-Titty zogen aus der Oberpfalz in die Youtuber-Hochburg Köln, sie verdienten beachtliche Summen für drei Jungs, die nach der Schule einfach nur gemacht hatten, worauf sie Lust hatten.

Mit der Professionalisierung der Influencer kamen die Rufe nach Regulierung. Schließlich erreichen Youtuber, Instagram- und Snapchat-Stars oft ein junges Publikum, das besonders empfänglich für Werbebotschaften ist. "Schleichwerbung" lautet der häufige Vorwurf. Die gesetzlichen Regeln sind unklar - kürzlich urteilte das Oberlandesgericht Celle, dass Werbung sofort als solche erkennbar sein muss. Der Hashtag "#ad" als englische Abkürzung für Werbung reiche nicht.

Oguz Yilmaz ist immer noch im Influencer-Geschäft, er betreibt heute die Agentur Whylder und vermittelt zwischen Firmen und Influencern. Die Agentur konzipiert Kampagnen und berät Unternehmen in Sachen Social Media. Yilmaz sagt, Nutzer seien längst sensibilisiert. Wenn ein Influencer ein Produkt in die Kamera halte und sich sonst nicht dafür interessiere, merkten sie das. "Im Influencer-Marketing ist schon viel Geld verbrannt worden." Bei Coral weiß man wohl, was er meint.

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Quelle:
SZ vom 09.09.2017
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