Süddeutsche Zeitung

Inflation:Wenn das Gehalt steigt - und trotzdem wenig übrig bleibt

  • Durch die höhere Inflation sind die Löhne in diesem Jahr real weniger gestiegen als in den Vorjahren.
  • Die Menschen verdienen also mehr, aber es bleibt im Geldbeutel wenig von den Zuwächsen übrig.
  • Die Gewerkschaften fordern schon jetzt für 2018 deutliche Lohnsteigerungen, um die Inflation auszugleichen.

Von Alexander Hagelüken

Wer in den vergangenen Monaten seine Einnahmen und Ausgaben betrachtet hat, dürfte es bereits gespürt haben: Die Löhne nehmen dieses Jahr wieder zu, aber es bleibt im Geldbeutel weniger von den Zuwächsen übrig als die Jahre zuvor. Real dürften die Lohnsteigerungen nur halb bis ein Drittel so hoch ausfallen. Das ist einer der Gründe, warum 2018 ein besonders hartes Ringen von Gewerkschaften und Arbeitgebern bevorsteht.

Wie das Statistische Bundesamt meldet, steigen die Löhne der 17 Millionen nach Tarif bezahlten Arbeitnehmer dieses Jahr im Schnitt um 2,3 Prozent. Das ist etwas mehr als in den beiden Vorjahren. Allerdings nimmt die Inflation den Arbeitnehmern dieses Jahr auch viel mehr weg. Nach Schätzung der Sachverständigen steigen die Preise um rund 1,7 Prozent, in den beiden Vorjahren waren es vor allem dank niedriger Ölpreise nur 0,3 beziehungsweise 0,5 Prozent. "Durch die höhere Inflation gibt es deutlich geringere Reallohnzuwächse als in den Jahren davor", sagt Thorsten Schulten, Tarifexperte des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts WSI in Düsseldorf.

Hagen Lesch vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln glaubt, dass die tariflichen Löhne nur einen Teil der Realität widerspiegeln. Dieses Jahr standen vor allem in Dienstleistungsbranchen Tarifverhandlungen an - und dort kommen meist niedrigere Abschlüsse zustande als in der Industrie, weil die Gewerkschaften schwächer sind und die Firmen weniger streikanfällig als Fabriken, in denen im Zweifel Bänder stillstehen. Gleichzeitig mache sich in manchen Industrie- und Dienstleistungsbranchen bereits ein Mangel an Arbeitskräften bemerkbar, weshalb dort Firmen außerhalb der Tarifgespräche beim Gehalt drauflegten. "Wer kann, zahlt mehr, um Arbeitskräfte anzulocken", beobachtet Lesch. Die effektiv gezahlten Löhne in Deutschland könnten deshalb 2017 stärker zunehmen als der Tarifschnitt.

Für nächstes Jahr fordern die Gewerkschaften auf jeden Fall deutlich höhere Löhne. Auch wegen der Inflation, die sich eher wieder im Rahmen dieses Jahres bewegen wird. Die IG Metall setzte mit sechs Prozent bereits eine starke Marke. Auch für die Staatsdiener dürfte deutlich mehr verlangt werden als zuletzt. "Die ökonomischen Rahmenbedingungen geben höhere Lohnabschlüsse als 2017 her", findet Schulten vom gewerkschaftsnahen WSI-Institut. Da ist nicht nur der anhaltende Boom. Die Inflation bewege sich mit knapp zwei Prozent nahe dem Wert, den sich die Europäische Zentralbank zur Abwehr von Abwärtsspiralen mit fallenden Preisen wünscht. Diese Inflation muss sich dann aber auch in den Lohnabschlüssen niederschlagen, findet Schulten.

2018 werden die Tarifverträge für zehn Millionen Beschäftigte neu ausgehandelt

Hagen Lesch stimmt zu, dass die Lage gut ist: "Die globalen Risiken sind geringer geworden. Das wirtschaftliche Umfeld ist gut, der Arbeitsmarkt auch." Allerdings warnt der Tarifforscher des arbeitgebernahen IW-Instituts davor, die Inflation zum Maßstab für Gehaltszuwächse zu nehmen: "Entscheidend ist doch, wie stark die Unternehmen die Inflation in ihren Preisen auf die Kunden überwälzen können." Erstens ist das noch unklar, so Leschs Logik. Zweitens unterscheidet es sich von Branche zu Branche. Wer strukturelle Probleme hat, wie Handel oder Banken, tut sich schwer, Preise zu erhöhen.

Lesch rät, sich bei den Löhnen eher an der Produktivität zu orientieren. Wenn Beschäftigte ihren Output steigern, wären dann höhere Gehälter drin. Und wenn es bei einer Firma gut läuft, könne sie extra was drauflegen. Die Gefahr sei sonst, dass der Bogen überspannt wird: "Keiner weiß, wie lange der Boom anhält." Thorsten Schulten hält dagegen: "Alle Welt redet darüber, dass die nominalen Löhne in Deutschland stärker steigen könnten." Die Exporte boomten, die Republik produziere extreme Überschüsse. Das zeige, dass es einen Nachholbedarf bei den Löhnen gebe.

Deutschland steht also vor einer heißen Lohnrunde: 2018 werden die Tarifverträge für zehn Millionen Beschäftigte neu ausgehandelt. Und die IG Metall möchte nicht nur deutlich mehr Geld, sondern auch das Recht für Beschäftigte aushandeln, die Arbeitszeit vorübergehend auf 28 Stunden zu reduzieren - und dafür Lohnausgleich zu bekommen. Die Reaktion der Wirtschaft fällt harscher aus als sonst: Die Forderung sei "ungerecht und rechtswidrig", erklären die bayerischen Metall-Arbeitgeber.

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SZ vom 13.12.2017/vit
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