Süddeutsche Zeitung

Inflation:Die Bundesregierung muss Ärmeren besser helfen

Schrumpfende Wirtschaft, enorm steigende Preise - das ist eine gefährliche Gemengelage, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährdet. Was die Politik jetzt tun sollte.

Kommentar von Harald Freiberger

Wenn es noch einen Beweis dafür brauchte, wie kritisch die wirtschaftliche Lage in Deutschland derzeit ist, dann wurde er am Mittwoch gleich doppelt erbracht: Am Vormittag senkten die Wirtschaftsweisen die Prognose für das Wachstum in diesem Jahr radikal von bisher 4,6 auf 1,8 Prozent und schlossen eine tiefe Rezession nicht aus. Am Nachmittag meldete das Statistische Bundesamt eine Inflation von derzeit 7,3 Prozent; die Preise steigen so stark wie zuletzt vor 40 Jahren.

Eine stagnierende oder schrumpfende Wirtschaft bei stark steigenden Preisen, die sogenannte Stagflation, gehört zu den Schreckensszenarien der ökonomischen Lehre, weil sie die Menschen in der Breite ärmer macht und auf Dauer den gesellschaftlichen Zusammenhalt aushöhlt. Beides wurde durch den Ukraine-Krieg maßgeblich verschärft, und von dessen Fortgang hängt es auch ab, ob sich die Situation wieder entschärfen kann. Die Gefahr aber ist groß, dass die Phase der Stagflation nicht schnell vorübergeht, sondern länger anhält.

Auf der wirtschaftlichen Seite ist das größte Risiko für Deutschland ein Importstopp für russisches Gas, der politisch immer deutlicher geboten zu sein scheint, damit das Land nicht indirekt weiter Putins Krieg finanziert. Der Stopp hätte einen weiteren starken Anstieg der bereits extrem gestiegenen Energiepreise zur Folge. Die Inflation würde weiter angeheizt, weil Unternehmen die gestiegenen Kosten an die Kunden weitergeben. Deshalb dreht sich die Preisspirale noch weiter, eine Inflationsrate von zehn Prozent in den nächsten Monaten ist nicht unrealistisch.

Am handlungsfähigsten erscheint der deutsche Staat

Die wichtigste Frage in dieser kritischen Situation ist, was ökonomisch Verantwortliche und beteiligte Institutionen tun können, damit die Lage nicht noch weiter eskaliert. Es zeigt sich, dass der Spielraum begrenzt ist: Die Europäische Zentralbank könnte die Inflation bremsen, indem sie die Zinsen stark erhöht. Doch sie muss dabei vorsichtig vorgehen, weil höhere Zinsen die Wirtschaft zusätzlich abwürgen und sofort zu einem Problem für die hohe Staatsverschuldung vor allem Italiens führen würden. Die Notenbank ist insofern in ihrer lockeren Geldpolitik gefangen, eine massive Bekämpfung der Inflation würde zu massiven ökonomischen Verwerfungen führen.

Am handlungsfähigsten erscheint noch der deutsche Staat. Die Bundesrepublik hat, weil sie in der Vergangenheit gut gewirtschaftet hat, immer noch Luft, sich weiter zu verschulden - trotz der teuren Staatshilfen in der Corona-Krise, trotz des beschlossenen 100-Milliarden-Euro-Pakets für die Aufrüstung der Bundeswehr. Was kann die Bundesregierung tun? Es ist sinnlos, weil viel zu teuer, die starke Inflation mit staatlichen Eingriffen in Preise zu mildern. Es geht vor allem darum, den wirklich Bedürftigen zu helfen, denen, die am stärksten unter der Inflation leiden - den armen Haushalten, jenen, die jeden Euro zweimal umdrehen müssen, deren Konto ins Minus rutscht, wenn sie Hunderte Euro mehr im Monat für Heizung, Benzin und Lebensmittel zahlen müssen.

Wer einen SUV in der Garage des Eigenheims stehen hat, der muss nicht gefördert werden

Wer einen SUV in der Garage nebst eigener Immobilie stehen hat, muss nicht gefördert werden, der kann die höheren Benzinkosten selber tragen. Die Vermögenden waren die großen Profiteure der vergangenen 15 Jahren, in denen Immobilien- und Aktienpreise unheimlich gestiegen sind.

Die Bundesregierung muss sich nun um die Leute mit kleinen und mittleren Einkommen kümmern. Sie hat bisher eine Energiepauschale von 300 Euro für jeden steuerpflichtigen Bürger vorgesehen. Da sie versteuert wird, bleibt Besserverdienern davon zwar weniger übrig, doch diese soziale Komponente reicht nicht aus. Besser wäre es, wenn die Politik gezielt die Steuersätze für Gering- und Normalverdiener senken würde oder ihnen gleich Schecks zukommen ließe. Eine solche Unterstützung würde helfen, die soziale Kluft in Deutschland zu verringern, und sie hätte einen positiven Nebeneffekt: Wenn sich die Politik um die weniger Betuchten kümmert, müssen es die Gewerkschaften nicht tun und bei der nächsten Lohnrunde einen Inflationsausgleich fordern, der das Problem noch weiter verschärfen würde.

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