Süddeutsche Zeitung

Inflation:Warum Rentner in Not Hilfe brauchen

Die rasant steigenden Lebenshaltungskosten bringen viele Ruheständler in Bedrängnis, aber durchaus nicht alle. Der Staat muss zielgenau helfen.

Kommentar von Hendrik Munsberg

Unter Deutschlands Rentnern wächst der Unmut. Seit Wochen und Monaten steigen die Preise insbesondere für Energie und Lebensmittel in beunruhigendem Tempo, angefacht durch den Krieg in der Ukraine. Doch SPD-Kanzler Olaf Scholz, so geißelte Deutschlands größte Boulevardzeitung kürzlich, habe zwar Milliarden-Entlastungspakete für Erwerbstätige, Eltern und Kinder auf den Weg gebracht, darüber aber die Rentnerinnen und Rentner schlicht "vergessen". Viele der 21 Millionen Ruheständler fühlten sich von der Bundesregierung "gemobbt".

Wahr ist: Die steigenden Lebenshaltungskosten machen natürlich auch vor Ruheständlern nicht halt, auch sie müssen heute deutlich mehr Geld für Ernährung, Heizung und Sprit ausgeben. Und wer geglaubt hatte, die vergleichsweise üppigen Rentenerhöhungen zum 1. Juli - von plus 5,35 Prozent in Westdeutschland und plus 6,12 Prozent im Osten - reichten in jedem Fall aus, den rasanten Preisanstieg abzumildern, der muss nur selber rechnen: Nach den letzten Zahlen der Deutschen Rentenversicherung bezogen männliche Ruheständler in Westdeutschland an Alters- und Erwerbsminderungsrenten durchschnittlich 1179 Euro, im Osten der Republik waren es 1249 Euro. Rechnerisch bedeutet das zum 1. Juli ein Plus von monatlich 63 Euro beziehungsweise etwa 76 Euro. Und viele Ruheständler, vor allem Frauen, bekommen sogar deutlich weniger. Es besteht also kein Zweifel, dass die steigenden Lebenshaltungskosten viele Rentnerinnen und Rentner in finanzielle Nöte stürzen. Hier gibt es für den Staat tatsächlich Handlungsbedarf. Doch die Hilfe muss zielgenau ausfallen.

Denn andererseits stimmt auch dies: Bei Weitem nicht jede Rentnerin und jeder Rentner lebt an der Armutsgrenze. Es gibt viele, die neben der gesetzlichen Rente noch Betriebs- oder private Renten beziehen, nicht wenige haben darüber hinaus Immobilieneigentum und erzielen Mieteinkünfte. Für diese Gruppe mag die Teuerung ein Ärgernis sein. Aber es sind keineswegs 21 Millionen Rentner so bedürftig, dass sie alle vom Staat wegen der stark gestiegenen Lebenshaltungskosten unterstützt werden müssten. Diesen Unterschied herauszustellen, ist wichtig.

In gebotener Klarheit hat das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung gerade in einer Studie überprüft, inwieweit die Entlastungspakete der Bundesregierung verbesserungsbedürftig sind. Das Urteil der Forscher fällt mit Blick auf Rentnerinnen und Rentner - soweit diese nur geringe Ruhegelder erhalten - so aus: Es gebe kaum Entlastung. Beispielhaft nennen die Forscher eine allein lebende Person mit einem Einkommen von unter 900 Euro. Deren finanzielle Mehrbelastung, so der Befund, werde zu lediglich neun Prozent vom Staat aufgefangen. Hier offenbart sich tatsächlich eine Lücke im Entlastungspaket der Regierung.

Inzwischen hat auch SPD-Sozialminister Heil das Problem eingeräumt. Am Wochenende kündigte er weitere Entlastungsschritte an, "sollte das Preisniveau dauerhaft hoch bleiben", womit er rechne. In den Blick nehmen will die Regierung besonders Menschen mit niedrigem Einkommen wie Studierende, Auszubildende, Familien und auch Rentnerinnen und Rentner. Heil sprach aber auch etwas aus, das ebenfalls wichtig ist: "Wir können nicht alles für alle ausgleichen", darum werde die Regierung nicht mit der Gießkanne arbeiten. Man darf also gespannt sein, wie die Regierung die Hilfe für bedürftige Rentner zuschneidet.

Im Internet kursieren Tricksereien, um 300 Euro zu bekommen

Längst kursieren im Internet Tricksereien, wie auch Ruheständler in den Genuss der Energiepauschale von 300 Euro kommen können, die im Herbst eigentlich nur Beschäftigte zusammen mit dem Lohn erhalten sollten. Urheberin ist ausgerechnet eine CDU-Finanzexpertin im Bundestag: Um die 300 Euro zu erhalten, so ihr Rat, müssten Seniorinnen und Senioren einfach nur wieder arbeiten gehen - und zwar als geringfügig Beschäftigte. Dazu genüge es, wenn jemand "einmal im Jahr 2022 eine Stunde auf seine Enkel" aufpasse und im Gegenzug von den eigenen Kindern zwölf Euro Mindestlohn im Rahmen eines Minijobs kassiere. Wer das dann noch rechtzeitig in der Steuererklärung angebe, bekommen Mitte 2023 die 300 Euro.

Besonders zielgenau hat die Bundesregierung da offenkundig nicht gearbeitet.

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