Metall-Tarifrunde:Mehr Geld, viel Drama und die Frage nach der Inflation

Metall-Tarifrunde: Ein Mitarbeiter hält ein Schild mit der Aufschrift "Mehr Geld" in den Händen. Das gibt es jetzt tatsächlich, denn der Tarifstreit in der Metall- und Elektroindustrie ist beigelegt.

Ein Mitarbeiter hält ein Schild mit der Aufschrift "Mehr Geld" in den Händen. Das gibt es jetzt tatsächlich, denn der Tarifstreit in der Metall- und Elektroindustrie ist beigelegt.

(Foto: Paul Glaser/dpa)

Die größte deutsche Industrie einigt sich trotz Energiekrise und Inflation auf deutlich mehr Lohn. Doch mitten in der langen Tarifnacht wäre alles fast gescheitert - ein Blick hinter die Kulissen 

Von Alexander Hagelüken

Als der Verhandlungsführer der IG Metall ins Forum am Schlosspark kam, versuchte er sich als Prophet: "Nicht nur Kreuzberger Nächte sind lang, sondern auch Tarifnächte", sagte Roman Zitzelsberger vor dem Versuch, die komplizierte bundesweite Tarifrunde in der Metallbranche in seinem Bezirk Baden-Württemberg zu beenden.

Nach mehrstündigen Verhandlungen in der Barockstadt Ludwigsburg stand am Freitag früh gegen 3.30 Uhr tatsächlich ein Ergebnis. Aber vorher gab es in der Tarifnacht viel Drama, so dass Arbeitgeber und Gewerkschaften im Laufe des Freitags öffentlich schmutzige Wäsche waschen. Und jetzt stellen sich viele Fragen: Ist das zu wenig Lohn für die Arbeitnehmer - oder zu viel für die Unternehmen? Und treibt der Tarifabschluss die Inflation hoch? Ein Überblick.

Was der Lohnabschluss bedeutet

In der größten deutschen Industrie verdienen die vier Millionen Beschäftigten bei Autoherstellern, Maschinenbau und anderen Firmen in einer schwierigen Inflationszeit bald deutlich mehr. Die Gehälter steigen um 5,2 Prozent von Juni 2023 an, und dann um 3,3 Prozent ab Mai 2024. Hinzu kommt eine Pauschale von 3000 Euro, in zwei Teilen ausgezahlt nächstes Jahr und ein Jahr später. Die Bundesregierung hat die Tarifeinigung erleichtert, in dem sie diese Inflationsprämie von Steuern und Sozialabgaben befreit. Von den 3000 Euro bleiben den Arbeitnehmern also viel mehr übrig als bei normalen Gehaltszahlungen. Der Tarifvertrag läuft auf Wunsch der Arbeitgeber mit zwei Jahren besonders lange.

Die Gewerkschaft hatte durch Warnstreiks Druck gemacht, an denen sich nach ihren Angaben 900000 Beschäftigte beteiligten. Durch den Tarifdeal bleiben der Branche zusätzliche Streiks erspart, die die Produktion in einer krisenhaften Lage empfindlich gestört hätten. Diese Ruhe hilft den Unternehmen, ihre hohen Auftragsbestände in Produktion zu verwandeln, was sich bei Streiks verzögert hätte. Wenn das Gas für die Produktion ausfällt oder Firmen wenig verdienen, müssen sie tendenziell weniger zahlen. Die Arbeitnehmer wiederum bekommen nach monatelanger Wartezeit Gewissheit, dass sie mit deutlich mehr Einkommen besser durch die Zeit der harten Inflation kommen.

Wie alles fast gescheitert wäre

Nach monatelangem Stillstand war in den vergangenen Tagen plötzlich Bewegung in die Verhandlungen gekommen. Offenbar zeigte die Drohung der IG Metall Wirkung, ohne einen schnellen Abschluss richtig heftige Streiks zu organisieren. Alles lief in der langen Tarifnacht auf eine Einigung zu. Doch es gab einen Punkt, an dem alles zu scheitern drohte, erzählt Stefan Wolf, Arbeitgeberpräsident der Branche: "Die IG Metall präsentierte einen Lösungsvorschlag mit einem gewissen Ultimatums-Charakter. Aber das lassen wir uns nicht gefallen." Das Verhalten der Gewerkschaft sei "in einer Sozialpartnerschaft völlig inopportun", schimpfte Gesamtmetall-Chef Wolf. Letztendlich sei die IG Metall dann auf den Vorschlag der Arbeitgeber eingeschwenkt.

Kein Wunder, dass es von dieser entscheidenden Phase noch eine andere Version gibt. Sie erzählt am Freitag der Verhandlungsführer der Gewerkschaft. "Es stand tatsächlich kurz vor dem Scheitern", schildert Roman Zitzelsberger. Er macht dafür wenig überraschend die Arbeitgeber verantwortlich. Denn die hätten das Argument der Gewerkschaft ignoriert, dass sie für eine von ihnen gewünschte besonders lange Laufzeit des Tarifvertrags überproportional viel Lohnerhöhung bieten müssten. Während die Gewerkschaft für die jetzt vereinbarten 24 Monate Laufzeit mit 8,5 Prozent mehr Lohn zufrieden war, verlangte sie für 27 Monate eine zweistellige Erhöhung.

Als die Arbeitgeber dann im Laufe der Nacht mal wieder nur sieben Prozent für 27 Monate boten, reichte es Zitzelsberger nach eigenem Bekunden. "Ich habe gesagt, so geht es nicht. Wenn ihr das nicht akzeptiert, sitzen wir noch nächsten Juni hier herum und frickeln am Tarifabschluss." Der Gewerkschafter habe mit dem Scheitern der Gespräche gedroht. "Da waren die Arbeitgeber kurz schockiert", berichtet er. Aber am Ende habe man sich ja geeinigt. Ein Ereignis, zwei Versionen: So ist es öfter bei Tarifverhandlungen.

Wie beide Seiten das Ergebnis sehen

IG-Metall-Chef Jörg Hofmann lobt den Tarifabschluss. "Wir haben hart verhandelt, am Ende liegt aber ein akzeptabler Kompromiss auf dem Tisch", sagt auch Verhandlungsführer Zitzelsberger, dessen Chancen durch den Abschluss steigen, nächstes Jahr Hofmann als IG-Metall-Chef nachzufolgen. Das Gesamtpaket helfe, die Belastungen abzufedern und die Kaufkraft zu stärken. Insbesondere die unteren Entgeltgruppen profitierten überproportional von dem Ergebnis.

Gesamtmetall-Chef Wolf nennt den Abschluss "Vorschusslorbeeren darauf, dass es nach der Rezession im Jahr 2024 tatsächlich wieder aufwärtsgeht". Verhandlungsführer Harald Marquardt spricht von einem "schmerzhaften Kompromiss", der für das Gros der Betriebe gerade noch tragbar sei, weil mit der langen Laufzeit Planungssicherheit für die Betriebe bestehe. Die neue Energienotfallklausel helfe, falls etwa Gas für die Produktion ausbleibt. Die Arbeitgeber hätten dem Tarifabschluss zugestimmt, da man sich der Verantwortung bewusst gewesen sei, in dieser extrem herausfordernden Zeit einen Arbeitskampf zu verhindern.

Metall-Tarifrunde: Stefan Wolf, Präsident Gesamtmetall.

Stefan Wolf, Präsident Gesamtmetall.

(Foto: Marijan Murat/dpa)

Bei den Arbeitgebern sind auch kritischere Stimmen zu hören: "Der Abschluss ist teuer. Die Lohnerhöhung geht an die Schmerzgrenze und zum Teil auch darüber hinaus", sagt Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der bayerischen Metall-Arbeitgeber vbm. "Die Frage ist, ob wir alle Unternehmen überzeugen können, dass der Abschluss tragbar ist." Die Lage in der Branche sei sehr unterschiedlich. Brossardt verweist darauf, dass man Entlastungsmöglichkeiten für Firmen in schwieriger Lage durchgesetzt habe. Sie können etwa bestimmte Zahlungen von 600 Euro ausfallen lassen, wenn ihre Nettoumsatzrendite unter 2,3 Prozent fällt.

Was haben andere Branchen vereinbart?

Zuvor gab es im Oktober einen Abschluss in der zweitgrößten Industriebranche Chemie. Dabei verständigten sich Gewerkschaft und Arbeitgeber ohne öffentlichen Schaukampf schnell. Die Unternehmen zahlen ihren Mitarbeitern einmalig 3000 Euro sowie 6,5 Prozent mehr Lohn. Der Tarifvertrag läuft 20 Monate. Laut Gewerkschaft bedeutet das im Schnitt 13 Prozent mehr Geld, gleicht also einen Großteil der Inflation aus. Dieses Tarifabschluss in der durch die Energiekrise noch härter getroffenen Chemie ist etwas niedriger als in der Metallindustrie, aber nicht weit entfernt.

Heizt der Abschluss die Inflation an?

Nein, sagt Clemens Fuest, Präsident des Ifo-Instituts: "Die dauerhaften Lohnerhöhungen von gut vier Prozent pro Jahr werden keine Lohn-Preis-Spirale auslösen. Die Einmalzahlung sorgt dafür, dass die verfügbaren Einkommen trotzdem spürbar steigen." Deshalb und weil längere Streiks vermieden würden, sei das ein gutes Tarifergebnis. Auch Stefan Kooths vom Institut für Weltwirtschaft fürchtet nicht, dass die Inflationserwartungen der Bürger durch den Abschluss schädlich steigen.

Warum war es in der Metallbranche so komplex?

Arbeitgeber und Gewerkschaft attackierten sich in den vergangenen Monaten verbal. Sie warfen sich abwechselnd "Horrorszenarien", "Realitätsferne" oder "skandalöse Frechheiten" vor. Das Zusammentreffen von hoher Inflation für Arbeitnehmer und Firmen und den wirtschaftlichen Unsicherheiten machte die Tarifrunde aber auch besonders kompliziert.

IG-Metall-Chef Hofmann richtete bereits im Juni den Blick darauf, dass die Inflation die Deutschen massiv treffe: "Wir brauchen eine kräftige Lohnerhöhung. Es kann nicht sein, dass die Arbeitnehmer die Inflation alleine ausbaden müssen", erklärte er im Interview mit der SZ. Wenig später beschloss der Vorstand, acht Prozent mehr Lohn zu verlangen - die höchste Forderung seit 15 Jahren.

Doch während die Teuerungsrate langsam auf zehn Prozent kletterte, gingen die Arbeitgeber lange nicht auf die Forderung ein. Sie verwiesen auf die unsichere Lage der Firmen und die massiv gestiegenen Energiepreise seit dem russischen Überfall auf die Ukraine. Die Arbeitgeber pochten vor allem auf Flexibilität für Firmen, denen es schlecht gehe.

Metall-Tarifrunde: Roman Zitzelsberger, Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg.

Roman Zitzelsberger, Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg.

(Foto: Marijan Murat/dpa)

Gesamtmetall-Chef Wolf setzte einen düsteren Ton: "Wir sehen erste Pleiten und erwarten weitere." Der Arbeitgeberpräsident erhitzte wochenlang die Gemüter: Mit seiner Forderung nach längeren Arbeitszeiten. Und der Position, unter bestimmten Umständen brauche es sogar eine Nullrunde bei den Löhnen. Und der Aufforderung an die Beschäftigten, angesichts der teuren Energie halt dicke Pullover anzuziehen. Wenigstens das versuchte er später als "bisschen flapsig" einzufangen: "Wir müssen halt Energie sparen. Ich zieh' dann auch im Büro zwei Pullover an."

Zwischen den Sozialpartnern breitete sich schlechte Stimmung aus. Dabei hatte die Bundesregierung ihnen eine Vorlage geliefert, um diese in einen Lohnabschluss zu verwandeln. Nicht zuletzt auf Wunsch der Gewerkschaften stellt die Regierung Sonderzahlungen von 3000 Euro von Steuern und Sozialabgaben frei. Die Firmen müssen dabei keine Sozialbeiträge zahlen.

"Hochinteressant" nannte das bereits im September ein Wirtschaftsfunktionär lächelnd. Doch als die Arbeitgeber Ende Oktober endlich ein erstes Angebot vorlegten, bestand das nur aus diesen 3000 Euro. Und nicht aus einer dauerhaften prozentualen Lohnerhöhung, die die IG Metall zur Bedingung für einen Tarifabschluss gemacht hatte. So kam erst nach massiven Warnstreiks Bewegung in die Gespräche.

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