Die Preise in Deutschland steigen, aber nicht mehr so stark wie in den vergangenen drei Jahren. Die Inflation im August betrug 1,9 Prozent, so das Statistische Bundesamt am Donnerstag. Damit liegt die Inflationsrate erstmals seit März 2021 wieder unter der Zwei-Prozent-Marke. Der starke Rückgang kam für viele überraschend, die Ökonomen hatten mehrheitlich einen Wert von 2,1 Prozent prognostiziert. Im Juli legten die Verbraucherpreise noch um 2,3 Prozent zu– nach 2,2 Prozent im Juni und 2,4 Prozent im Mai. Im August 2023 notierte die Teuerungsrate noch bei 6,1 Prozent.
„Die Inflation ist in Deutschland unter die Zwei-Prozent-Grenze gefallen, bei der die EZB von Preisstabilität spricht. Trotzdem sind die Preise alles andere als stabil“, sagt Friedrich Heinemann, Ökonom beim Leibniz-Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Von Handwerkerleistungen bis zur Gastronomie und den Versicherungen: Überall lägen die Preise weit über dem Vorjahresniveau. „Die neuen Zahlen signalisieren somit einen Zwischenerfolg, aber noch keinen Durchbruch in Richtung Preisstabilität“, sagt Heinemann.
In der Eurozone lag die Inflation im Juli bei 2,6 Prozent. Die EU-Statistikbehörde Eurostat veröffentlicht am Freitag den Wert für August. Das Ziel der EZB ist auf mittlere Sicht eine Rate von exakt zwei Prozent. Die Währungshüter hatten Anfang Juni erstmals seit 2019 wieder die Zinsen gesenkt, bei ihrer nächsten geldpolitischen Sitzung Mitte September könnte der nächste Schritt folgen. Der Hauptrefinanzierungssatz, zu dem sich Banken frisches Geld bei der Notenbank besorgen können, liegt derzeit bei 4,25 Prozent. Der Einlagensatz beträgt 3,75 Prozent.
Die Kaufkraft ist ebenfalls gestiegen
„Der nachlassende Preisdruck zeigt, dass die Europäische Zentralbank bei ihrer nächsten Sitzung im September dringend die Zinsen weiter senken sollte“, sagt Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des IMK-Instituts der Hans-Böckler-Stiftung. Die Teuerung sei kein drängendes Problem mehr und die Konjunktur komme – auch wegen der hohen Zinsen – nicht in Gang. „Es ist an der Zeit, übertriebene Vorsicht in der Geldpolitik etwas zurückzunehmen“, sagte Dullien. Die Aussicht auf geldpolitische Lockerungen haben den Aktienindex Dax am Donnerstag auf Höhenflug geschickt. Der deutsche Leitindex übersprang seine Bestmarke von Mitte Mai und stieg um bis zu 0,8 Prozent auf ein Rekordhoch von 18.936,04 Punkten.
Weil die Inflation sinkt und die Gewerkschaften gut verhandelt haben, ist die Kaufkraft der deutschen Beschäftigten im Frühjahr das fünfte Quartal in Folge gestiegen. Die Reallöhne wuchsen von April bis Juni um durchschnittlich 3,1 Prozent zum Vorjahreszeitraum, berichtete das Statistische Bundesamt ebenfalls am Donnerstag. In den ersten drei Monaten des Jahres hatte es mit 3,8 Prozent sogar das stärkste Reallohnwachstum seit Beginn der Zeitreihe 2008 gegeben. Demnach verzeichneten die nominalen Löhne im Frühjahrsquartal ein Wachstum von 5,4 Prozent, während die Verbraucherpreise nur noch um 2,3 Prozent stiegen. „Mit diesem fünften Anstieg in Folge setzte sich der positive Trend der Reallohnentwicklung fort“, so die Statistiker. Von Ende 2021 bis Anfang 2023 mussten die Beschäftigten noch Reallohnverluste hinnehmen – vor allem wegen der hohen Inflation. Obwohl die Kaufkraft inzwischen steigt, zieht der private Konsum bislang nicht wie erwartet an. Das ist ein Grund dafür, weshalb sich Europas größte Volkswirtschaft am Rande einer Rezession bewegt.
Transparenzhinweis: In einer früheren Version des Artikels hieß es, die Inflation sei seit April 2021 nicht mehr so niedrig gewesen. Richtig ist, dass sie seit März 2021 nicht mehr so niedrig war wie nun im August. Wir haben den Artikel entsprechend angepasst.