Unternehmen, Mitarbeiter und Führungskräfte sind derzeit vor allem mit einem Phänomen konfrontiert: der Gleichzeitigkeit vieler Krisen. Der Krieg in Europa, die Inflation, der bevorstehende Winter und die damit verbundene Energie- und Gaskrise sowie nicht zuletzt Corona, alles schlägt auf das Gemüt der Beschäftigten. Die besondere Herausforderung ist dabei, dass diese Krisen unvorhersehbar waren. Ganz im Gegensatz zu Veränderungen, die sich lange abzeichneten, wie die Digitalisierung und der demografische Wandel. Wie Personalverantwortliche auf diese gleichzeitigen Krisen blicken und welche Lösungen es für Betriebe geben kann, war Thema beim SZ-Wirtschaftsgipfel Salon.
Während die Sonne untergeht und das Redaktions-Hochhaus in orangenes Licht taucht, blickt SZ-Gast Nicole Gerhardt im obersten Stockwerk in die Zukunft. Seit fünf Jahren ist die Juristin Personalvorständin bei Telefónica (O2) und stets darum bemüht, den Angestellten einen attraktiven Arbeitsplatz zu bieten, sagt sie. Weshalb sie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ermutige, häufiger das Team innerhalb des Unternehmens zu wechseln, um neue Führungskräfte kennenzulernen. "Viele bleiben lange in ihrem Team, weil sie dort einen geschützten Raum haben", sagt sie. Bei Telefónica können sich Beschäftigte per Softwareprogramm anzeigen lassen, wo welche Stellen frei sind. Allein im vergangenen Jahr haben so mehr als 100 Telefónica-Mitarbeiter ihre Stelle gewechselt. Darunter auch Führungskräfte, die sich fachlich weiterbilden wollten.
Überhaupt spielen Führungskräfte eine Schlüsselrolle, wenn es darum geht, mit den Mitarbeitenden gemeinsam durch die Krisen zu kommen. Jutta Rump forscht zu der neuen Normalität, die seit Ausbruch der Corona-Pandemie den Alltag bestimmt. "Wir müssen Menschen eine Orientierung geben in einer Welt, die sich verändert", sagt die Direktorin des Instituts für Beschäftigung und Employability in Ludwigshafen (IBE). Wegen der Pandemie bräuchten Führungskräfte weitere Qualifikationen: Nicht nur Schulungen zu Daten- und Arbeitsschutz, sondern auch zum Gesundheitsschutz.
Viele Mitarbeiter sind erschöpfter, gestresster, schlafen schlechter als früher
Das hybride Arbeiten, mal im Büro, mal von zu Hause aus, häufig in Videokonferenzen, verlangt Beschäftigten einiges ab. Viele sind erschöpfter, gestresster, schlafen schlechter. Krisen wie die Pandemie kamen überraschend, für Personaler unplanbar. Dass mehrere Krisen zur gleichen Zeit stattfinden, erschwert dies - Chefs und Beschäftigte müssen sich anpassen.
Dabei sind Führungskräfte und Personaler schon vor den Krisen mit mehreren Transformationen beschäftigt gewesen: Der Digitalisierung und dem demografischen Wandel. "Megatrends" nennt Arbeitsmarktforscherin Rupp diese Transformationen. Da sei zum Beispiel dieses deutsche Problem, das mit der nur langsam fortschreitenden Digitalisierung kaum gelöst werden kann: die Zettelwirtschaft. Telefónica-Vorständin Gerhardt beklagt, dass viele Unterlagen im Bewerbungsverfahren ausgedruckt anstatt digital vorliegen müssen. Das ist ein Aspekt, mit dem sich Unternehmen bei der Mitarbeitersuche auseinandersetzen müssen. Aber Firmen müssen genauso die Anforderungen im Blick behalten, die Jobsuchende an ihre potentiellen Arbeitgeber stellen - und auch dort ist einiges im Wandel, sagt Mirja Telzerow, Personaldirektorin bei der Unternehmensberatung Kearney.
Bewerberinnen und Bewerber würden sich etwa mehr Möglichkeiten wünschen, um sich im Beruf fortzubilden oder einen späten Master zu machen: "Ein MBA oder eine Promotion sind stärker nachgefragt als noch vor zehn Jahren", sagt Telzerow. "Die Frage, wie man arbeiten möchte, stellen sich inzwischen alle Generationen."
Als HR-Chefin ist Mirja Telzerow bei der Unternehmensberatung in einer besonderen Rolle. Zum einen ist sie für die Mitarbeiter der Beratung zuständig, andererseits fragen Kolleginnen und Kollegen sie gelegentlich um Rat, wenn Firmen Beratung dazu wünschen, wie sich die Arbeitswelt verändert. Dabei lernen Telzerow und ihre Kollegen bei Kearney auch gerade erst aus den jetzigen Krisen. Immerhin können sich Kearney und Telefónica glücklich schätzen, denn ihre Geschäftsfelder sind weiterhin stark nachgefragt.
Besonders einig sind sich die beiden Personalchefinnen sowie Forscherin Jutta Rupp in einem: Die Transformationen in Unternehmen müssen Führungskräfte einleiten, nicht die Beschäftigten. "Der Fisch stinkt vom Kopf", sagt Rupp. Auch Nicole Gerhardt sagt, dass Telefónica Lösungen auf die Krisen von oben anstößt, "Top down", sagt die HR-Chefin und findet trotz der Krisen, die Beschäftigte plagen, optimistische Worte: "Arbeit kann etwas Tolles sein und bietet Möglichkeiten zur persönlichen Weiterbildung."
Die SZ-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von YouTube angereichert
Um Ihre Daten zu schützen, wurde er nicht ohne Ihre Zustimmung geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von YouTube angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie untersz.de/datenschutz.