Inflation in Argentinien:Das Gespenst ist zurück

Two men stand next to a exchange billboard showing the official U.S dollar rate to Argentine pesos in Buenos Aires

Immer weniger Wert: Zwei Männer neben einer Wechselkursanzeige in Buenos Aires

(Foto: REUTERS)

"Wir haben diesen Film schon mal gesehen": In Argentinien treibt die Inflation den Schwarzmarktkurs für den Dollar unablässig nach oben. Der Versuch von Präsidentin Fernández de Kirchner, ihre Landsleute für den Peso zu begeistern, darf mittlerweile als gescheitert angesehen werden. Und die Preise steigen unaufhörlich.

Von Peter Burghardt, Buenos Aires

Ein kleiner Ausflug ins Dickicht der argentinischen Finanzwelt beginnt bei den Bäumchen. Die arbolitos, so heißen Bäumchen auf Spanisch, haben keine Zweige und Blätter, sondern Arme und Beine. Und feste Stimmen und flinke Finger. Sie stehen auch nicht im Wald, sondern zum Beispiel in der Straße Florida, einer Fußgängerzone im Zentrum von Buenos Aires. Arbolitos sind Geldwechsler. Geht es der Nation gerade mal gut, dann gibt es keine Bäumchen, die "cambio" schreien oder "change", Wechsel. Und das ewige Zauberwort der Republik: "Dólar!"

Jetzt sind die Bäumchen wieder da. Sie schießen aus dem gepflasterten Boden, an jeder Ecke steht einer. "Cambio. Change. Dollar." Wer Pesos in Dollars tauschen will oder Dollars in Pesos, der wird sofort fündig. 12 Pesos bis 12,40 Pesos pro Dollar gibt es an diesem Regentag auf dem Freiluftbasar, ein Dollar wird umgekehrt mit 12,60 Pesos berechnet. Auf der Bank nebenan oder in legalen Wechselstuben kostet der Dollar 7,91 Pesos, also 50 Prozent weniger beziehungsweise mehr - sofern das gute Stück dort verkauft wird. Die Inflation hat den Schwarzmarktkurs in die Höhe getrieben und zuletzt auch den offiziellen Kurs. Argentiniens Gespenst ist zurück, es verschwindet in Höhlen und zeigt sich als Bäumchen.

Verboten, aber geduldet

Die Bäumchen verstecken sich nicht mal mehr, obwohl der Schwarzmarkt illegal ist und immer mal wieder ein Polizist des Weges kommt. Eine nette Dame führt zu einem Zeitungskiosk. Der Komplize hinter der Theke verwandelt 20 Dollar in 248 Pesos. Ist eigentlich verboten, sagt man verschwörerisch. "Aber geduldet", antwortet der Kioskmann routiniert. Oppositionsblätter wie La Nación und Clarín drucken jeden Tag den aktuellen "Parallelkurs", wie das heißt. Dieser Paralleldollar ist in diesem Glossar weder grün noch schwarz, sondern blau: Dólar blue. Oder himmelblau, celeste, so nennt sich der Geheimdollar für Immobiliengeschäfte.

Größere Geschäfte mit dem Blaudollar werden in Hinterzimmern abgewickelt, meistens hinter den Fassaden von Läden und Büros. Cuevas ist der Name dieser Refugien, Höhlen. Bösartige Fernsehsender zeigen gerne, wie Kunden ein Bäumchen ansteuern, also einen Geldwechsler, sie sodann von diesem in einen höhlenartigen Laden geführt werden, dort Scheine austauschen und dann gleich noch ein T-Shirt zum Sonderpreis erwerben.

Mit jeder Währungskrise nimmt das Misstrauen zu

So ist das im Argentinien 2014. Das mit dem Blaudollar und den Bäumchen und den Höhlen begann Ende 2011. Damals wurden Devisenhandel und Import beschränkt, weil die Regierung von Cristina Fernández de Kirchner die Dollars selbst braucht. Auch dafür kennt das Volk ein Fachwort: Cepo. Fußfessel. Es erinnert - ansatzweise - an den corralito, den Laufstall, als vor zehn Jahren private Vermögen eingefroren wurden. Die argentinische Präsidentin versucht ihren Landsleuten die Dollarsucht auszutreiben und den heimischen Peso schmackhaft zu machen, was chronisch misslingt. Kaum ein Land jenseits der USA ist vernarrter in US-Dollars. Mit jeder Währungskrise nimmt das Misstrauen in den Peso zu.

"Wir haben diesen Film schon mal gesehen", brummt ein älterer Herr. Da war die Hyperinflation der Achtziger- und Neunzigerjahre. Es folgte der Versuch des operettenhaften Staatschefs Carlos Menem, den Peso eins zu eins an den Dollar zu ketten. Ergebnis: erst Party, dann Staatsbankrott. 2001/2002 wurden Konten gesperrt, die Auslandsschulden nicht mehr gezahlt, Pesos im Verhältnis eins zu drei abgewertet. Unter Präsident Néstor Kirchner ging es dank Geschick und Konjunktur bombastisch aufwärts, unter seiner Gattin und Erbin Cristina Fernández erst auch noch. Jetzt läuft wieder manches aus dem Ruder. Die Inflation liegt bei inoffiziell 25 Prozent, Pessimisten gehen dieses Jahr von 40 Prozent aus. Das trifft vor allem die Ärmsten, die Preise steigen wie die Temperatur in diesem überhitzten, gewittrigen Sommer.

Im Januar schienen die Dämme zu brechen

Der 100-Peso-Schein, größte Bargeldeinheit Argentiniens, ist inoffiziell noch knapp sechs Euro wert - vor fünf Jahren waren es 25 Euro. Gierige Unternehmer und Spekulanten treiben die Tarife nach oben, und das Kabinett Kirchner tut mit Geldpresse und abstrusen Verordnungen ein Übriges. Die Verwaltung braucht gewaltige Summen für Subventionen, Sozialhilfe, Propaganda, Schuldendienst - am globalen Finanzplatz kriegt der Paria Argentinien ja kein preiswertes Geld. Demnächst fordern die Gewerkschaften enorme Zuschläge, um den Kaufkraftverlust aufzuhalten.

Im Januar schienen die Dämme zu brechen. Im Sog attackierter Schwellenländer wertete Argentinien um 23 Prozent ab, gegen Monatsende brach der Peso binnen Stunden ein. Man hatte kurz den Eindruck, dass Frau Kirchners Strategen um den jungen Wirtschaftsminister Axel Kicillof die Lage entglitt. Danach schwand die Panik ein wenig, fürs Erste, die Fußfesseln wurden etwas gelockert. Aber niemand weiß, wie das weitergeht. Viele Produzenten ändern ständig die Preise oder bieten manches gar nicht mehr an.

Vor dem pinken Präsidentschaftspalast Casa Rosada nahe der Bäumchen- und Höhlen-Straße Florida werden nun Regierungsblättchen verteilt. Titel: Überwachte Preise. Darin wird geworben für Produkte, deren Preis die Regierung mit Herstellern und Supermärkten festgelegt hat. Es gibt auch ein App fürs Smartphone, zur Kontrolle. Vier Rollen Klopapier kosten demnach 12,74 Pesos, umgerechnet 1,5 grüne Dollars oder ein blauer Dollar oder 75 schwarze Eurocents, vor fünf Jahren war dieser Betrag noch mehr als drei Euro wert. Man steigt in ein Taxi, und der Fahrer sagt, in Kürze würden die Taxitarife um 30 Prozent erhöht.

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