Kommentar:Helft den Bürgern bei den Energiepreisen!

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Alexander Hagelüken twittert auch mal gern. Illustration: Bernd Schifferdecker (Foto: N/A)

Gas, Öl und Strom sind viel teurer geworden. Die Regierung sollte Menschen finanziell entlasten, die besonders unter der Inflation leiden - Arme genauso wie die Mittelschicht.

Kommentar von Alexander Hagelüken

Die Ampel-Regierung ist angetreten, sich mehr um soziale Gerechtigkeit zu kümmern als Angela Merkel. Mit einem Kanzler von der SPD darf das auch gar nicht anders sein. Doch gleich zu Beginn wird die Ampel mit einem neuen Problem konfrontiert: Energiearmut. Rasant steigende Preise für Gas, Benzin oder Strom belasten viele Bürger. Und die Regierung? Zögert. Das ist falsch. Sie sollte etwas tun, und zwar nicht nur für arme Bürger. Etwa, indem sie vorübergehend die Mehrwertsteuer auf Energie senkt.

Die Koalition argumentiert, sie tue schon was: Wohngeldbezieher bekommen einen Zuschuss zu den Heizkosten. Allerdings erhält nur jeder 66ste Haushalt Wohngeld. Der Zuschuss ist ein Tröpfchen auf den Flächenbrand. Es trifft weite Teile der Bevölkerung hart, dass sich Heizöl um 60 Prozent verteuert hat und der Gaspreis gar verdoppelt. Und viele werden die Preissteigerungen erst voll spüren. Energieversorger ordern Strom oder Gas bis zu ein Jahr vorher, ehe sie es liefern. Deshalb schlagen die hohen Preise später durch.

Wie kann die Regierung helfen? Eine Möglichkeit wären Energieschecks, wie sie Gewerkschaftschef Michael Vassiliadis vorschlägt: Eine größere Zahl Bürger bekommt Geld. Das wäre billiger, als die Mehrwertsteuer zu senken. Und der Staat würde keine Gutverdiener subventionieren - sie wenden nur halb so viel von ihren Konsumausgaben für Wohnenergie auf wie Geringverdiener.

Geholfen werden muss nicht nur den Armen, sondern auch der Mittelschicht

Allerdings ist es nicht so einfach, schnell die richtigen Haushalte herauszufiltern, die einen Scheck verdienen. Und die Grenze zu ziehen, wer Hilfe braucht. Der Ökonom Sebastian Dullien rechnet vor, dass es falsch wäre, nur an Menschen mit wenig Geld zu denken. Für Hartz-IV-Bezieher übernimmt der Staat die Heizkosten. Und viele Geringverdiener fahren kein Auto. Deshalb treffen die hohen Energiepreise die Mittelschicht aktuell stärker - besonders Eltern mit Kindern.

Eine temporär niedrigere Mehrwertsteuer auf Energie hilft allen Bürgern sofort. Weil sie am Verbrauch ansetzt, profitieren gerade Haushalte mit Kindern, in denen vielleicht fünf Menschen leben, aber nur ein oder zwei Geld verdienen. Dass die Steuersenkung teuer ist, darf kein Argument sein: Derzeit verdient der Staat über die Mehrwertsteuer an den gestiegenen Preisen.

Aber geben die Firmen eine niedrigere Mehrwertsteuer auf Energie überhaupt an die Kunden weiter? In Spanien haben sie es vergangenes Jahr getan. Als Deutschland 2020 allgemein die Mehrwertsteuer senkte, war das an den Tankstellen zu spüren, weist die Sachverständige Monika Schnitzer nach. Schwieriger könnte es bei laufenden Strom- oder Gasverträgen sein. Allerdings sehen diese teils vor, Steueränderungen weiterzugeben. Und die Abrechnung führt die Mehrwertsteuer meist auf. Will der Versorger die Senkung nicht weitergeben, müsste er den Tarif aktiv erhöhen.

Ob Energieschecks oder Mehrwertsteuer: Tun sollte die Bundesregierung etwas. So wie es schon viele Länder in Europa getan haben. Der neue SPD-Kanzler Olaf Scholz hat zu beweisen, dass er die Bürger mit ihren Sorgen nicht alleine lässt. Und es gibt zwei strategische Gründe, die Menschen vom Energieschock zu entlasten.

Man mag es auf den ersten Blick widersinnig finden, fossile Energien wie Gas und Öl zu verbilligen. Dauerhaft sollen sie ja teurer werden, um den Umstieg auf Klimafreundlicheres zu beschleunigen. Allerdings sind Gas und Co. durch Corona-Krise und andere Faktoren vorübergehend viel teurer, als der Klimaplan vorsieht. Die Bürger von der Preiswelle überrollen zu lassen, wäre falsch. Wenn die Menschen frustriert sind, wird es die Regierung künftig schwer haben, fossile Energie wie geplant langsam schrittweise zu verteuern. Die Proteste der Gelbwesten in Frankreich sind eine Warnung.

Die hohen Energiepreise über die Mehrwertsteuer abzufedern, könnte auch die Inflationsdebatte versachlichen. Die Europäische Zentralbank (EZB) kann kurzfristig so wenig gegen die Gaspreise tun wie einst die Bundesbank gegen den Ölschock der 1970er und 80er Jahre. Erhöht sie schon dieses Jahr die Zinsen, würgt sie die Konjunktur ab. Eine niedrigere Mehrwertsteuer senkt die Inflation und schafft so Zeit, bis die Preissteigerungen wahrscheinlich abflauen. Allerdings muss die EZB ihren Teil leisten: Indem sie glaubwürdig ankündigt, die Inflation durch höhere Zinsen zu bekämpfen, sobald diese sich dauerhaft im Alltag festfrisst.

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