Inflation:Die EZB hat Vertrauen verspielt

Inflation: Die EZB-Zentrale in Frankfurt.

Die EZB-Zentrale in Frankfurt.

(Foto: Arne Dedert/dpa)

Die Europäische Zentralbank hat die Inflation zu lange unterschätzt. Nun soll der Leitzins steigen, aber nicht so stark, wie man erwarten würde.

Kommentar von Markus Zydra, Frankfurt

Wenn es Leute plötzlich eilig haben, dann haben sie vorher bestimmt getrödelt. So war das bei der Europäischen Zentralbank (EZB). Da beklagten die Verbraucher zu Recht, dass die Preise seit 15 Monaten immer weiter steigen, doch die Währungshüter unternahmen nichts, um den Trend zu stoppen. Stattdessen mahnten sie zur Geduld, die Inflation werde schon bald vergehen. Doch das tat sie nicht. Deshalb muss es jetzt hopplahopp gehen bei der EZB. Die erste Zinserhöhung ist plötzlich schon für den Sommer avisiert. Man habe genug geredet, meinte EZB-Direktorin Isabel Schnabel im Interview mit dem Handelsblatt. Sie fordert: "Wir müssen handeln."

Stimmt, müssen sie. Endlich. Im EU-Vertrag steht unmissverständlich, die EZB soll für stabilen Geldwert sorgen. Wenn die Preise steigen, muss der Leitzins hoch. Die Inflationsrate in Deutschland liegt inzwischen mit 7,4 Prozent auf dem höchsten Stand seit 1981. In der Euro-Zone beträgt der Wert 7,5 Prozent. Das ist einmalig in der Geschichte der Währungsunion. Und der Leitzins der EZB? Der liegt - seit 2016 - unverändert bei null Prozent. Legt man beide Zahlen nebeneinander, löst das eine kognitive Dissonanz aus.

Das lange Zögern und Zaudern kostet die EZB viel Vertrauen. Ihre Schulmeisterei fällt jetzt auf sie zurück. In der Draghi-Ära lag die Inflationsrate unter einem Prozent, die Preise waren stabil. Doch die EZB belehrte die Öffentlichkeit, dass diese Inflation "gefährlich" niedrig sei, und setzte ihre Nullzinspolitik fort. Ähnlich läuft es unter EZB-Präsidentin Christine Lagarde. Ab 2021 stiegen die Preise rasant an, doch im Euro-Tower wusste man es besser und prognostizierte: Der Inflationsschub sei bald vorbei, man könne die Nullzinspolitik daher fortsetzen.

Die Inflationsrate steigt weiter

Nun hat die EZB ihren Fehler eingesehen. Gut so, aber zu spät. Die Inflationsrate wird bis Herbst wohl bis auf neun Prozent steigen. Man erwartet, dass die Gewerkschaften einen entsprechenden Lohnausgleich fordern. Es droht das, was Ökonomen die "Lohn-Preis-Spirale" nennen. Sie bedeutet: Höhere Löhne führen zu höheren Kosten in den Betrieben, die deshalb die Preise für ihre Güter und Dienstleistungen erhöhen, was später erneut Lohnforderungen auslöst. Die Inflation nährt sich also selbst.

Höhere Leitzinsen können diese Lohn-Preis-Spirale stoppen. Wenn Kredite teurer werden, dämpft das die Wirtschaft. Manchmal sind sehr hohe Leitzinsen nötig, um die Inflation einzufangen. In den USA erhöhte die Federal Reserve in den Achtzigerjahren den Leitzins auf mehr als 20 Prozent. Die zweistellige Inflationsrate ging zurück - mit der Konsequenz einer Rezession mit vielen Arbeitslosen. Auch die Bundesbank griff damals angesichts starker Inflationsraten durch und erhöhte den Diskontsatz auf 7,5 Prozent.

Löst eine Zinserhöhung eine Schuldenkrise aus?

Sind das die Leitzinshöhen, auf die sich die EZB nun besinnt? Wohl kaum. Die Währungsunion ist ein fragiles Konstrukt, wie die Euro-Schuldenkrise 2011/2012 zeigte. Wenn die Zinsen zu stark steigen, können sich manche hochverschuldete Euro-Staaten nicht mehr so günstig refinanzieren. Die Gefahr einer erneuten Staatsschuldenkrise in der Euro-Zone ist dank des gegründeten ESM-Rettungsschirms und des "Whatever it takes"-Versprechens der EZB zwar geringer als früher - aber die Notenbank wird das Risiko ausschließen wollen. Zumal man mit der Leitzinswende im Jahr 2011 schlechte Erfahrungen machte: Damals erhöhte EZB-Präsident Trichet den Leitzins. Eine Entscheidung, die Nachfolger Draghi bereits wenige Monate später zurücknahm, weil die Börsen gegen den Euro wetteten und eine Rezession folgte.

Auch aktuell ist ein schwerer Wirtschaftseinbruch möglich, wenn der Ukraine-Krieg noch viel länger andauert. Gleichzeitig haben höhere Leitzinsen direkt keinen Einfluss auf die hohen Energiepreise. Deren Anstieg ist Folge des Angebotsmangels, ausgelöst vom Corona-Lockdown und verstärkt durch den Krieg.

Dennoch muss die Zinswende der EZB endlich kommen. Es wird eine historische Entscheidung sein, aber von anderer Qualität als in den Achtzigern: Sie wird das Ende der Nullzinspolitik markieren, nicht aber das der Niedrigzinspolitik, hoher Inflation zum Trotz.

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