Süddeutsche Zeitung

Entlastungspakete:Regierung mildert Inflationsschock stark ab

Der Staat ersetzt vielen Deutschen einen Großteil ihrer Zusatzkosten. Geringe und mittlere Einkommen profitieren besonders, zeigt eine Studie. Manche Menschen wie Rentner oder Alleinerziehende haben aber Probleme.

Von Alexander Hagelüken

Die hohe Inflation hält die Deutschen in Atem. Im Mai und Juni stiegen die Preise um fast acht Prozent. In den kommenden Monaten wird keine Entspannung erwartet. Es gibt aber auch gute Nachrichten, zeigt jetzt eine Studie: Die Inflationspakete der Bundesregierung wirken stärker als viele Bürger denken - gerade bei geringen und mittleren Einkommen. Sie ersetzen einer vierköpfigen Familie, die 2000 bis 2600 Euro monatlich zur Verfügung hat, fast zwei Drittel der Mehrkosten, die sie durch teure Energie und Lebensmittel hat.

Grundsätzlich konstatieren die Forscher des Instituts für Makroökonomie (IMK) durchaus einen Inflationsschock: "Die massiv gestiegenen Energiepreise haben die Teuerung auf Höhen getrieben wie zuletzt in den frühen 1950er Jahren", schreiben sie. Also der stärkste Anstieg seit zwei Generationen.

Die Teuerung werde auch in den kommenden Monaten hoch bleiben, weil die Steigerungen des Gaspreises nur nach und nach bei den Bürgern ankommen. Wenn im September der Tankrabatt auf Benzin und Diesel ausläuft, wird es zu einem Preisschub kommen. Und Lebensmittel haben sich zuletzt zweistellig verteuert.

Besserverdiener bekommen weniger staatliche Hilfe

Da ist es gut, dass eine zentrale Hilfsmaßnahme im September ankommt: Der Energiebonus von bis zu 300 Euro. Aber auch insgesamt wirken die Inflationspakete, belegen die IMK-Rechnungen: Sie nehmen vielen Bürgern einen Großteil der zusätzlichen Ausgaben ab, die diese durch die höheren Preise haben. Das gilt auch für jene, die besonders wenig Geld haben - wie Hartz-IV-Empfänger. Die beschlossenen Maßnahmen fangen bei ihnen 90 Prozent der Mehrkosten für Energie und Nahrungsmittel auf. Egal, ob sie alleine leben oder Kinder haben. Das klingt zunächst nach sehr viel. Angesichts des Regelsatzes von nur 450 Euro im Monat, den ein Hartz-Empfänger bekommt, wird sie oder er sich aber trotzdem weniger leisten können.

Einen sehr hohen Anteil der Mehrkosten übernimmt die Regierung auch bei Singles, die nur bis zu 900 Euro netto im Monat verdienen. Diese Alleinlebenden erhalten rund drei Viertel dessen ersetzt, was sie zusätzlich ausgeben müssen.

Wenn jemand mehr verdient, sinkt der Anteil der staatlichen Hilfe. Er bleibt aber in der Mittelschicht relativ hoch. Etwa bei einer Paar-Familie mit zwei Kindern, die monatlich 3600 bis 5000 Euro für ihren Lebensstandard ausgeben kann. Sie darf erwarten, dass die Regierung ihr im Laufe des Jahres mehr als die Hälfte ihrer Inflationsbelastung abnehmen wird. Ähnlich ist es bei einem kinderlosen Paar mit mittlerem Einkommen.

Das Gesamturteil der IMK-Forscher fällt deshalb positiv aus: Die Inflationspakete "entlasten Arbeitnehmerinnen und Empfänger von Sozialleistungen im Großen und Ganzen umfangreich und sozial weitgehend ausgewogen", sagt Katja Rietzler.

Die Inflationspakete kosten insgesamt rund 30 Milliarden Euro

Die Bundesregierung gibt ja auch allein für die Inflationspakete 30 Milliarden Euro aus - und tut damit viel: von Neun-Euro-Ticket, Tankrabatt und höherer Entfernungspauschale über weniger Einkommensteuer, Energie- und Kinderbonus bis hin zu Zuschlägen für Hartz-IV-Empfänger und arme Kinder. Und da sind noch nicht alle Maßnahmen aufgezählt.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat dabei sein Ziel durchgesetzt, die knappen Staatsmittel vorrangig für jene auszugeben, die nicht so viel Geld haben. Wer mehr als 5000 Euro verdient, muss 62 Prozent seiner Inflationsbelastung selber schultern. Er kann es sich aber auch eher leisten als andere Mitglieder der Gesellschaft.

Kritisch sehen die Forscher dagegen, dass auch manche Bürger, die nicht so gut dastehen, relativ viel von ihren Zusatzkosten selber zahlen müssen. Das gilt etwa für Familien mit zwei Kindern und 2600 bis 3600 Euro netto monatlich, bei denen nur einer der Eltern arbeitet. Ihnen ersetzt die Regierung nur 44 Prozent ihrer Mehrausgaben für Energie und Essen, also weniger als die Hälfte - und weniger als einem kinderlosen Paar, das ganz gut verdient. Das liegt daran, dass die Entlastungen stark an Arbeitnehmern ausgerichtet sind.

Auch an einer Alleinerziehenden mit zwei Kindern, die höchstens 2600 Euro im Monat verdient, bleibt die Hälfte der Mehrkosten hängen. Sie und ihre Kinder können sich deshalb weniger leisten. Oder sie müssen Ersparnisse auflösen - wenn sie denn welche haben.

Bei Rentnerinnen und Rentnern mit geringen Altersbezügen unter 900 Euro monatlich macht IMK-Direktor Sebastian Dullien sogar eine "soziale Schieflage" aus. Denn ihnen ersetzt der Staat nur zehn Prozent der Mehrkosten. Wenn sie Wohngeld bekommen, ist es immerhin die Hälfte. Außerdem sind die Renten dieses Jahr stark erhöht worden. Bei geringen Altersbezügen wird es trotzdem knapp, findet Dullien. Er fordert die Regierung auf, hier nachzulegen.

Und nicht nur da. Der Ökonom wirbt dafür, dass die Regierung noch ein drittes Inflationspaket auflegt - für nächstes Jahr. Zwar hilft sie aus seiner Sicht den meisten Haushalten 2022 spürbar. Aber nächstes Jahr gehe die Inflation zwar von jetzt sieben auf dann drei Prozent zurück. Sie bleibt aber damit überdurchschnittlich hoch. Höhere Energie- und Nahrungsmittelpreise dürften den Bundesbürgern also erneut mehr Geld abfordern, als sie es lange Jahre gewohnt waren. Und Dullien ist mit seiner Inflationsprognose sogar eher vorsichtig. Andere Ökonomen erwarten, dass die Teuerungsrate 2023 sogar happige fünf Prozent betragen könnte. Das würden die Deutschen dann enorm spüren. Vor allem jene, die sowieso nicht so viel Geld zur Verfügung haben, um ihren Alltag zu bestreiten.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5616698
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/sosa
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.