Preise:Inflationsrate steigt auf 4,1 Prozent

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Die Lebenshaltungskosten in Deutschland steigen weiter. (Foto: Ralf Hirschberger/dpa)

In Deutschland sind die Preise im September so stark gestiegen wie seit fast 30 Jahren nicht mehr. Vor allem die Kosten für Energie gingen in die Höhe.

Von Markus Zydra, Frankfurt

Die hohen Energiepreise haben die Inflationsrate in Deutschland erstmals seit 28 Jahren über die Marke von vier Prozent gehievt. Die Preise legten im September gegenüber dem Vorjahr um 4,1 Prozent zu, teilte das Statistische Bundesamt in seiner vorläufigen Berechnung am Donnerstag mit. Das ist der höchste Preissprung seit dem Jahr 1993. Die Energiepreise haben demnach um 14,3 Prozent zugelegt, bei Nahrungsmitteln betrug das Plus 4,9 Prozent. Die Verbraucherpreise steigen je nach Sektor höchst unterschiedlich. Bei Autokraftstoffen lag der Preiszuwachs zuletzt bei mehr als 20 Prozent, leichtes Heizöl hatte sich sogar um über 50 Prozent verteuert. Die durchschnittliche Inflationsrate in Deutschland könne bis zum Jahresende sogar noch bis auf fünf Prozent klettern, prognostizierte die Bundesbank in ihrem aktuellen Monatsbericht.

Bei der Entwicklung der Teuerungsraten in Deutschland spielen auch Sondereffekte eine Rolle. Seit dem 1. Januar gelten in Deutschland wieder die üblichen Mehrwertsteuersätze von 19 beziehungsweise sieben Prozent, nachdem sie im Vorjahr wegen der Corona-Pandemie gesenkt worden waren. Zudem wird seit Anfang 2021 eine CO₂-Abgabe von 25 Euro je Tonne ausgestoßenem Kohlendioxid fällig, das beim Verbrennen von Diesel, Benzin, Heizöl und Erdgas entsteht. Außerdem gibt es einen Basiseffekt: Weil Inflationsraten auf Jahresbasis verglichen werden, schlagen die massiven Preiseinbrüche zum Beginn des Corona-Lockdowns rechnerisch stark durch.

Die scharfen Preissteigerungen in Deutschland sind kein Einzelphänomen. Auch in den USA (fünf Prozent), Großbritannien (knapp vier Prozent) und anderen Euro-Mitgliedsstaaten klettern die Inflationsraten so stark wie lange nicht mehr. Der Hauptgrund sind Lieferengpässe. Durch das Herunterfahren der Wirtschaft in der Corona-Pandemie kam es zu Unterbrechungen von Lieferketten und Produktionsausfällen. Diese Angebotsknappheit trifft nun auf eine äußerst starke Nachfrage, weil Menschen und Unternehmen nach Ende des Lockdowns sehr zügig ihren früheren Konsum- und Produktionsroutinen folgen. Dadurch steigen die Preise in einigen Sektoren steil an.

Die EZB glaubt, dass die hohen Inflationsraten ein temporäres Phänomen sind. Im kommenden Jahr werde sich die Lage beruhigen. EZB-Präsidentin Christine Lagarde sagte, man dürfe wegen vorübergehender Störfaktoren wie die durch Lieferengpässe ausgelösten Preistreiber "nicht überreagieren". In der Euro-Zone lag die Inflationsrate im August bei drei Prozent und damit deutlich über der Zielmarke von zwei Prozent.

Die steigenden Preise belasten Menschen mit geringem Einkommen und die Arbeitslosen, die auf staatliche Hilfszahlungen angewiesen sind. Gewerkschaften und Sozialverbände fordern daher von der neuen Bundesregierung eine Neuberechnung der Hartz-IV-Sätze. Die geplante Erhöhung um monatlich drei Euro sei zu niedrig. "Aus unserer Sicht kann man nicht von einer Erhöhung sprechen. Es ist eine faktische Kürzung", sagte Michael Rudolph vom Deutschen Gewerkschaftsbund Hessen-Thüringen. "Die Menschen werden gefühlt weniger Geld in der Tasche haben, sie werden an Kaufkraft verlieren."

Ein Ende des billigen Geldes birgt Risiken

Wie werden die Notenbanken auf die steigenden Preise reagieren? Ginge es nach dem Lehrbuch, hätten die Währungshüter ihre lockere Geldpolitik bereits straffen müssen. Doch ein Ende des billigen Geldes birgt Risiken. Die Börsen haben sich daran gewöhnt. Eine allzu abrupte oder schlecht kommunizierte Anhebung könnte am Finanzmarkt zu Kursverlusten führen. Andererseits berücksichtigen Investoren die höhere Inflation sowieso schon in ihren Wertberechnungen.

Durch ihre Nullzinspolitik und den Ankauf von Anleihen in Billionenhöhe haben die Zentralbanken das Preisgefüge an den Börsen verzerrt. Selbst sehr riskante und ausfallgefährdete Schuldscheine werden im Fahrwasser der lockeren Geldpolitik zu billigsten Preisen finanziert. Gleichzeitig half die lockere Geldpolitik dabei, die schlimmen wirtschaftlichen Konsequenzen der globalen Finanzkrise 2008, der Euro-Schuldenkrise 2012 und der Corona-Pandemie 2020 einzudämmen.

US-Notenbankchef Jerome Powell befürchtet, dass hohe Inflation und Materialengpässe der Wirtschaft länger zusetzen werden. Es sei frustrierend zu sehen, dass sich die Lieferkettenprobleme nicht besserten, sagte Powell am Mittwoch beim Zentralbankforum der EZB: "Am aktuellen Rand verschlimmern sie sich offenbar sogar ein wenig", sagte Powell. Das Problem werde sich vermutlich bis ins kommende Jahr hineinziehen und auch die Inflation länger auf einem höheren Stand halten als gedacht. Powell räumte ein, man habe den Angebotsschock und dessen Effekt auf die Inflation unterschätzt.

Die Inflationsentwicklung gilt in vielen Wissenschaftskreisen schon länger als ein Mysterium, vor allem weil die Preise im vergangenen Jahrzehnt kaum gestiegen sind, trotz der lockersten Geldpolitik aller Zeiten. "Es fehlt uns eine allgemeine Theorie der Inflation", so der frühere Ökonom der London School auf Economics, Charles Goodhart, beim EZB-Zentralbankforum. Die alten Theorien zur Inflation würden nicht mehr funktionieren, etwa der Blick auf die Geldmenge oder auf die Arbeitslosenquote. Goodhart, von 1997 bis zum Jahr 2000 Mitglied des geldpolitischen Ausschusses der britischen Notenbank, verweist auf den aktuellen Treiber der Inflation: der weltweit zunehmende Mangel an Arbeitskräften. Deren Verhandlungsmacht wachse, deutlich höhere Löhne seien die Folge. In ein, zwei Jahren könne die Inflation in den Industriestaaten deutlich stärker zulegen als es die meisten Menschen und Zentralbanker erwarten. Goodhart hält eine Inflationsrate von fünf Prozent und mehr für denkbar, auch weil er eine De-Globalisierung befürchtet. Der Hintergrund: Aufgrund der handelspolitischen Streitigkeiten zwischen den USA und China könnten manche Wirtschaftszweige ihre Produktion "nach Hause" holen, wodurch die Kosten und damit die Inflation ansteigen würde.

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