Die Zeit der starken Preissteigerungen scheint vorbei zu sein. Im September betrug die Inflation in Deutschland 1,6 Prozent, meldete das Statistische Bundesamt in seiner ersten Schätzung am Montag. Das ist der niedrigste Stand seit Februar 2021. Im August war die Inflation bereits auf 1,9 Prozent gesunken, nach 2,3 Prozent im Juli.
Die Energiepreise sind mit 7,6 Prozent gegenüber dem vergleichbaren Vorjahresmonat deutlich gefallen. Nahrungsmittelpreise stiegen hingegen um 1,6 Prozent, Dienstleistungen um 3,8 Prozent. „Vor allem dank gefallener Ölpreise ist die deutsche Inflation im September weiter zurückgegangen. Die Inflation ist derzeit klar keine relevante Gefahr mehr für die deutsche Wirtschaft“, sagte Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung.
Auch in anderen Euro-Staaten hat der Preisdruck abgenommen. In Frankreich sank die Jahresteuerungsrate im September auf 1,5 Prozent, in Spanien auf 1,7 Prozent, in Italien gar auf 0,8 Prozent. Der September-Wert für die gesamte Währungsunion wird am Dienstag veröffentlicht. Beobachter rechnen damit, dass die Inflation in der Euro-Zone mit 1,9 Prozent erstmals seit mehr als drei Jahren wieder unter zwei Prozent fallen könnte.
Die Europäische Zentralbank, kurz EZB, strebt als Inflationsziel mittelfristig exakt zwei Prozent an. Sie erwartet allerdings, dass die Teuerungsraten in den kommenden Monaten das eine oder andere Mal nach oben ausschlagen können. Doch das würde am Gesamttrend nichts ändern. „Wir sind zuversichtlich, dass wir unser Inflationsziel erreichen“, sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde.
Deshalb haben die Währungshüter vor zweieinhalb Wochen zum zweiten Mal in diesem Jahr den Leitzins um 0,25 Prozentpunkte auf aktuell 3,5 Prozent gesenkt. Die Finanzmärkte erwarten für 2024 mindestens einen weiteren Schritt nach unten. Ob dieser bereits im Oktober oder erst bei der geldpolitischen Sitzung im Dezember beschlossen wird, ist offen. Die zunehmend schwache Konjunktur in Europa und die starke Leitzinssenkung in den USA haben den Druck auf die EZB erhöht, Kredite weiter zu verbilligen. Gleichzeitig liegt die Inflation im Dienstleistungssektor noch bei mehr als vier Prozent, was die Notenbanker davon abhält, einen „Sieg“ über die Inflation auszurufen.
Inzwischen haben alle wichtigen Notenbanken, zuletzt in den USA und schon vorher die Währungshüter in der Schweiz, in Großbritannien, Kanada und in der Euro-Zone, die Leitzinsen reduziert, weil die Inflation gesunken ist. Allerdings bleiben die negativen Konsequenzen des mehrjährigen Preisschubs bestehen, weil die Lebenshaltungskosten enorm gestiegen sind. Die Bürger merken das beim Einkauf, wenn sie Brötchen und Käse kaufen und daran erinnert werden, dass ihr Euro nicht mehr so viel wert ist wie früher. Nicht in allen Branchen können höhere Löhne das Minus kompensieren.
Der Preisschub der vergangenen Jahre kam vor allem durch Produktions- und Lieferstopps während der Corona-Pandemie zustande. Später wurde er verstärkt durch den Einmarsch Russlands in die Ukraine. Güter und Rohstoffe waren knapp. Verbraucher mussten für Lebensmittel und Energie deutlich mehr bezahlen. Die Inflation stieg zeitweise mehr als zehn Prozent.
In der Folge forderten Gewerkschaften wegen der Inflation hohe Lohnsteigerungen, was den Preisdruck aufrechterhielt. Erst im Juli 2022 beendete die EZB dann ihre jahrelange Null- und Negativzinspolitik, um die auf Rekordhöhe gestiegene Inflation in den Griff zu bekommen. Zehnmal in Folge erhöhte die Notenbank die Zinsen, ehe sie eine Pause einlegte und im Juni die Zinswende einleitete.
Einige Regierungen in der Euro-Zone wünschen sich schnell weitere Leitzinssenkungen, denn staatliche Neuverschuldung wird dadurch günstiger. Gleichzeitig erhoffen sich die EU-Staaten einen Wachstumsschub für Europas stagnierende Wirtschaft. Hohe Zinsen machen Kredite teuer. Das bremst die Wirtschaft, gleichzeitig aber auch die Inflation.