Süddeutsche Zeitung

Infineon:Schmutzige Wäsche und drängende Fragen

Es ist der erste Auftritt der neuen Führungsspitze, und der wird pikant. Nach dem Sturz des allgewaltigen Ulrich Schumacher muss der amtierende Vorstand Stellung beziehen.

Von Nina Bovensiepen

Es wird ein ungewohntes Bild sein, das der Chiphersteller Infineon am Mittwoch bei der Präsentation seiner Halbjahreszahlen bieten wird: Im Rampenlicht auf dem Podium steht das erste Mal seit der fünf Jahre zurückliegenden Ausgliederung des Halbleiterproduzenten aus dem Siemens-Konzern nicht Ulrich Schumacher. Vier Wochen ist es her, dass der Manager von der Infineon-Spitze gestürzt wurde, seitdem leitet Aufsichtsratschef Max Dietrich Kley die Geschäfte - und an ihn werden sich nun jede Menge Fragen richten.

Wer führt?

Auf die brennendste Frage wird es dabei keine Antwort geben: Wer führt in Zukunft Infineon? Die Suche nach einem Nachfolger läuft, doch in Aufsichtsratskreisen wird nicht so schnell mit der Präsentation geeigneter Kandidaten gerechnet. Es kursieren Namen von Siemens-Managern, auch der Europachef des US-Chipherstellers Intel, Jürgen Thiel, wurde genannt - sehr konkret scheinen die Optionen aber nicht zu sein.

Die Suche ist schwierig: Der neue Chef muss das volatile Halbleitergeschäft kennen, dem Großaktionär Siemens genehm sein, mit der IG Metall auskommen und zudem die Fähigkeit besitzen, Ruhe in den Konzern zu bringen. Insider rechnen damit, dass der Ausleseprozess noch Monate dauert.

Von Freunden zu Feinden

Eine heikle Frage, um die Kley und die verbliebenen Vorstände Peter Fischl, Andreas von Zitzewitz und Peter Bauer nicht herumkommen werden, ist zudem jene nach den Umständen des plötzlichen Abgangs von Schumacher. Der 46-Jährige sei "aus persönlichen Gründen" zurückgetreten, hieß es damals. So schwammig die Formulierung, so vielfältig sind die Gerüchte, die sich um die seltsame Demission ranken.

Bekannt ist, dass sich Schumacher mit seinem autoritären Auftreten vielerorts unbeliebt gemacht hat. Weiter gilt als gesichert, dass der Manager die Infineon-Führungsspitze neu besetzen und damit seine Vorstandskollegen entmachten wollte. Diese bekamen offenbar den Freibrief zur Revolte, nachdem Schumacher es sich mit seinen Verlagerungsplänen ins Ausland sowie Verbalattacken auf den Standort Deutschland zuletzt bei Entscheidungträgern von Siemens und auf politischer Ebene verscherzt hatte.

"Inakzeptabler Zustand" unter Schumacher

Lange hat der amtierende Vorstand zu dieser Version der Vorgänge geschwiegen, am Dienstag gab es neue Informationen. Interimschef Kley habe als Grund für die Entlassung Schumachers angegeben, dass der Aktienkurs und das Ergebnis "absolut unbefriedigend" gewesen seien, berichtete das Manager Magazin vorab aus einem Interview. Um diesen "inakzeptablen Zustand" zu ändern, suche Kley nun einen Nachfolger, der "neben Branchenkenntnis und Technikverstand vor allem über Turnaround-Erfahrung verfügt".

Solche Worte wären insofern verwunderlich, als ausgerechnet Kley als Aufsichtsratschef Schumacher noch im Januar auf der Infineon-Hauptversammlung vehement gegen Aktionärs-Angriffe in Schutz genommen hatte. Der Vorstand habe "Außerordentliches geleistet", so Kley damals. Von Seiten Infineons wurde denn auch umgehend zurückgerudert: Die Zitate seien aus dem Zusammenhang gerissen worden.

Indes, ob ungeschickter Umgang mit den Medien oder bewusste Provokation — Verteidiger hat Schumacher heute keine mehr. Auch aus anderen Ecken werden verschiedenste Vorwürfe gegen ihn lanciert — sei es, dass er Garagenplätze und Reparaturen seiner Porsches nicht abgerechnet habe, oder bei der Auftragsvergabe für den Bau der Konzernzentrale Campeon Bekannte begünstigt habe. Viel schmutzige Wäsche wird ausgepackt, gutes Licht wirft das weder auf den Geschassten noch auf die Putschisten und ihre Helfer.

Die Zentrale bleibt

Jenseits dieser Seitenhiebe sind bisher die Aussagen des amtierenden Vorstands zum künftigen Kurs von Infineon unbefriedigend. Einerseits beteuert man, an der von dem - offensichtlich doch für unfähig gehaltenen - Ex-Chef festgezurrten Strategie festhalten zu wollen. In einigen Punkten weicht man wiederum von diesem Kurs ab. So wurde endgültig die Diskussion über einen Umzug der Zentrale ins Ausland beendet. Andere Verlagerungspläne werden neu geprüft.

Völlig unbeantwortet ist bisher die wichtige Frage, auf welche Geschäftsbereiche Infineon sich in Zukunft konzentrieren will. Derzeit sind die Speicherchips größter Umsatzträger. Schumacher hatte an dem Bereich, der mit seinen Schwankungen mal für hohe Gewinne, dann für horrende Verluste sorgt, stets festgehalten. Auch damit hatte er die Verärgerung von Siemens auf sich gezogen. Würde ein Manager des Elektronikkonzerns neuer Infineon-Chef, dürfte es hier einen Kurswechsel geben. Auch für das Sorgenkind drahtgebundene Kommunikation, zuletzt einziger Verlustbringer, muss eine klare Ausrichtung her.

Viele Probleme und Fragen also - die das Zahlenwerk ausnahmsweise in den Hintergrund treten lassen dürften. Von Reuters befragte Analysten gehen im Vergleich zum Vorquartal von einem Rückgang des Ergebnisses vor Zinsen und Steuern (Ebit) um zwei Drittel auf 24 Millionen Euro aus. Zumindest das ist keine Überraschung: Das zurückliegende Quartal fällt in der Chipbranche traditionell schwächer aus als das durch das Weihnachtsgeschäft gestärkte Vorquartal.

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Quelle:
SZ vom 21.4.2004
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