Infineon:Hinter den Bergen

Infineon baut in Villach für 1,6 Milliarden Euro die modernste Chipfabrik der Welt. Warum gerade dort, im abgelegenen Kärnten?

Von Caspar Busse

Eines ist Günther Albel, 44, ganz sicher, er ist ein Experte in Sachen Partnerschaft. Der Mann mit dem freundlichen Lächeln ist verheiratet und hat zwei Kinder. Er hat einst an der Handelsakademie die Prüfung als Standesbeamter abgelegt. Danach war er in seiner Heimatstadt Villach für die Trauungen zuständig. Seit 2015 ist Albel nun Bürgermeister des 61 000-Einwohner-Städtchens im äußersten Süden Österreichs. Zuletzt wurde der Sozialdemokrat mit fast 50 Prozent wiedergewählt, wo gibt es so etwas heute schon noch in Europa?

Albel sitzt in einem geräumigen Büro im ersten Stock des Rathauses, Trauungen nimmt er nur noch selten und in speziellen Fällen vor. Aber er ist jetzt für eine ganz besondere und innige Partnerschaft zuständig - die zwischen seiner Stadt, immerhin die siebtgrößte Österreichs, und dem weltweit agierenden Halbleiterunternehmen Infineon aus München.

Die Deutschen sind bereits der mit Abstand größte private Arbeitgeber, nicht nur in Villach, sondern auch im gesamten Bundesland Kärnten. Und nun will Infineon-Chef Reinhard Ploss noch eine weitere Chipfabrik am Rande der Stadt bauen lassen. Im kleinen Villach und nicht irgendwo in Asien, so wie viele der Konkurrenten. Der feierliche Spatenstich soll bereits in zwei Wochen sein, angekündigt haben sich unter anderen Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz, Minister aus Wien und Marija Gabriel, in Brüssel die EU-Kommissarin für Digitales. Schon Anfang 2021 soll dann die Produktion anlaufen. Kanzler Kurz zeigte sich bei der Bekanntgabe der Pläne "überglücklich". Und Sabine Herlitschka, die Infineon-Chefin in Österreich, sagt: "Unser Werk ist für die Region mehr als ein Sechser im Lotto."

Infineon investiert 1,6 Milliarden Euro in die neue Produktion, es soll nichts weniger als das modernste Chipwerk der Welt werden. Es ist die größte Investition, die es in Österreich je gab. Und das ausgerechnet hier, weit im Süden der Republik, hinter den Bergen. Kärnten, das war lange das Land des umstrittenen Rechtspopulisten Jörg Haider, der vor genau zehn Jahren bei einem Autounfall ums Leben kam, er hat die rechtsgerichtete FPÖ einst groß gemacht. In Wien regiert heute eine Koalition aus ÖVP und FPÖ, und die tendiert eher zum Ungarn eines Viktor Orbán statt in Richtung weltoffene Volkswirtschaft. Vor wenigen Wochen erst hat der FPÖ-Innenminister Herbert Kickl eine Informationssperre gegenüber kritischen Medien ins Spiel gebracht, was einer Einschränkung der Pressefreiheit gleichkäme und Wellen bis zu den Vereinten Nationen in New York schlug. Dort musste sich Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen öffentlich bei der Weltgemeinschaft für sein Land entschuldigen.

Infineon: Idylle im Süden Österreichs: Die Stadt Villach inmitten der Berge, in der Mitte direkt am Fluss ist das riesige Infineon-Gelände zu erkennen.

Idylle im Süden Österreichs: Die Stadt Villach inmitten der Berge, in der Mitte direkt am Fluss ist das riesige Infineon-Gelände zu erkennen.

(Foto: Edwin Stranner/Mauritius Images)

Warum investiert ein Weltunternehmen wie Infineon gerade hier? Ist das vielleicht das Comeback Europas als Produktionsstandort? Und was heißt das für eine strukturschwache Region wie Kärnten? Eine Spurensuche.

Kärnten hat insgesamt etwas mehr als eine halbe Million Einwohner, es ist eines der kleineren Bundesländer Österreichs und vor allem bei Touristen beliebt - hohe Berge, romantische Wälder, viele schöne Seen, gute Küche, man kann auf einen Espresso nach Italien fahren, und Slowenien ist auch nicht weit. Die Gegend auf der Alpensüdseite - durch den Tauerntunnel etwa dreieinhalb Autostunden von München entfernt (wenn es keinen Stau gibt) - ist wegen ihres milden Klimas sehr begehrt. Der Wörthersee gilt als die Riviera Österreichs, nicht nur bei Erholungssuchenden, sondern auch bei Rentnern und Pensionären. Manche sprechen auch vom Florida Österreichs. Das Land ist noch immer vor allem von Landwirtschaft und Tourismus geprägt, und es ist tief verschuldet. Die Arbeitslosigkeit hier ist nach Wien die höchste in ganz Österreich.

Am Arnufplatz 1 in Kärntens malerischer Hauptstadt Klagenfurt residiert im ersten Stock eines weißen klassizistischen Gebäudes Peter Kaiser, 59. Der Sozialdemokrat, grauer Anzug, graue Haare, rote Krawatte, liegt mehr als er sitzt, vor ihm der polierte Konferenztisch, er ist Landeshauptmann von Kärnten, also der Ministerpräsident. Infineon ist sein ganzer Stolz, er persönlich hat - zusammen mit seinem Parteigenossen Albel aus Villach - mit den Managern aus München lange um das Werk nach Kärnten verhandelt. Alles musste bis zuletzt geheim bleiben, eingeweiht war nur ein kleiner Kreis, alle hielten dicht, denn man wusste, worum es geht. "Das ist eine große Chance für ein Bundesland wie Kärnten", sagt Kaiser - und: "Die Menschen arbeiten da, wo andere für viel Geld Urlaub machen." Insgesamt sollen im neuen Werk und in einem dazugehörigen neuen Forschungszentrum mehr als 750 Jobs entstehen, bei Zulieferern und im Umfeld noch einmal mindestens drei Mal so viele. Rund um das Werk siedeln sich andere Firmen und Dienstleister an. Und Infineon zahlt hier Steuern.

Kaiser ist Sozialdemokrat, erst im März hatte seine SPÖ bei den Wahlen in Kärnten fast 50 Prozent der Stimmen bekommen. Seitdem kommen immer wieder Parteifreunde aus ganz Europa nach Kärnten. Sie wollen von Kaiser wissen, wie man das macht, wie man Sozialdemokratie und Wirtschaft vereinbaren kann, wie man den Status einer Volkspartei verteidigen kann. Gerade ist die SPD in Bayern unter zehn Prozent gerutscht. Kaiser sagt dazu: "Wir müssen beweisen, dass hochwertige Produktion und moderne Industrie in der EU möglich sind." Und: "Es ist auch eine spektakuläre Entscheidung für die Reindustrialisierung Europas." Er wirbt mit sozialem Frieden und sozialer Partnerschaft in seinem Land. Und er hat keine Berührungsängste, will es Infineon so leicht wie möglich machen, er geht dafür in Vorleistung, sorgt für Kindergärten, eine internationale Schule, Radwege, Straßen, Wohnungen. Sein Amt hat auch extra eine kleine Gruppe von Mitarbeitern eingesetzt, diese Infineon-Taskforce trifft sich im Abstand weniger Wochen, um alle Probleme zu besprechen und auf dem kurzen Weg zu regeln.

Hier die pragmatischen Sozialdemokraten, da die internationale Hightech-Firma

Angst vor einer zu großen Abhängigkeit von der Wirtschaft hat er nicht, das Verhältnis mit Infineon sei gut, sagt Kaiser. "Die Abhängigkeit der Stadt und der Region von Infineon ist natürlich nicht wegzudiskutieren", räumt Bürgermeister Albel zwar ein. Aber auch er sagt, in einer guten Partnerschaft überfordere keiner den anderen. Man passe gut zusammen - hier die pragmatischen Sozialdemokraten, da der internationale Hightech-Konzern.

Das war nicht mit allen Investoren aus München so. Kaiser, der seit 2013 im Amt ist, musste auch das Desaster der landeseigenen Bank Hypo Alpe Adria abwickeln. Das Institut war einst von der Bayern-LB übernommen, dann aber schnell wieder abgestoßen worden, als klar wurde, wie schlecht es um die Kärntner Bank bestellt ist. Viele Milliarden hatte das Bundesland durch den Beinahe-Zusammenbruch verloren. "Wenn ich dieses Geld zur Verfügung hätte, würde mir viel dafür einfallen. Wir waren schon immer mehr besser bei der Realwirtschaft aufgehoben", sagt Kaiser. Und Infineon soll nur der Anfang sein, es gibt Pläne, ob nicht bald in Kärnten Lithium abgebaut werden kann und dann Batteriefabriken errichtet werden.

Kaisers Vater war Polizist, er starb früh, seine Mutter arbeitete als Putzfrau. Kaiser ging ins Realgymnasium und profitierte von den Sozialleistungen der Bundesregierung von SPÖ-Kanzler Bruno Kreisky, wie er immer wieder betonte. Dann kandidierte er selbst für die SPÖ, am 30. Mai 1989 saß er zum ersten Mal als Abgeordneter im Klagenfurter Parlament. Es war der Tag, an dem Jörg Haider zum Landeschef gewählt wurde. Damals schon schwor sich Kaiser, es irgendwann anders zu machen. 2013 wurde er Landeshauptmann und hat seitdem die Chance dazu. Heute, fünf Jahre später, sieht er den Ruf seines Landes wiederhergestellt. "Wir haben es geschafft, dass Kärnten wieder salonfähig geworden ist", glaubt Kaiser. Aber er weiß auch, dass das Ansehen Österreichs angekratzt ist, seit die rechten Populisten von der FPÖ in Wien mitregieren. "Als Demokraten müssen wir uns das jeden Tag erarbeiten", sagt der SPÖ-Mann. Kaisers Parteikollege Albel, der mit Villach eine Stadt führt, die immer rot war, will auch kämpfen: "Wir wehren uns jeden Tag gegen Populismus und Ausländerfeindlichkeit." Er weiß, wie wichtig das auch für internationale Investoren ist: "Ich habe schon große Sorge um das Image Österreichs und Kärntens."

Auch Sabine Herlitschka, 52, die Chefin der 4000 Infineon-Mitarbeiter in Österreich, macht sich Sorgen. Sie kommt an diesem sonnigen Morgen auf Krücken zum Gespräch, weil sie sich bei einem Sturz die Bänder am rechten Fuß gerissen hat. Mit der Abschottungspolitik der ÖVP/FPÖ-Regierung ist sie nicht einverstanden: "Wir brauchen in Österreich qualifizierte Zuwanderung. Es gibt einen erheblichen Mangel an Fachkräften." Herlitschka ist Österreicherin, in Bayern geboren, ihr Vater war Sudetendeutscher, ihre Mutter kam aus Kärnten. Sie wuchs in Salzburg auf, arbeitete dann in Wien und in den USA. Seit 2014 führt sie die Geschäfte von Infineon in Österreich, der Umsatz liegt hier bei 2,5 Milliarden Euro, ein guter Teil des Konzernumsatzes von gut sieben Milliarden Euro.

Auch die Kunden legen Wert darauf, dass das neue Werk nicht in Asien gebaut wird

Hinter dicken Scheiben arbeiten sie in weißen Ganzkörperanzügen, Handschuhe, Gesichtsschutz, nur die Augen sind zu sehen. Die Mitarbeiter müssen sich vor Beginn ihrer Schicht vollständig umziehen und dann durch eine Luftschleuse gehen. In die Reinräume dürfen so gut wie keine Partikel, nicht mal kleine Staubkörnchen, gelangen, da sonst die hochsensible Fertigung von Halbleitern gestört würde.

Sabine Herlitschka
infineon Österreich

Sabine Herlitschka ist die Chefin von Infineon in Österreich.

(Foto: oh)

Die Mitarbeiter überwachsen die Prozesse, die Produktion läuft größtenteils automatisch, Roboter fahren lautlos hin und her, transportieren kleine Kisten mit Halbleitern, etwas größer als ein Schuhkarton, sie können Spezial-Chips im Wert von deutlich mehr als 10 000 Euro enthalten. Die Maschinen laufen 24 Stunden, sieben Tage in der Woche. Durch das neue Werk wird sich die Kapazität verdoppeln. Geliefert werden die Halbleiter an die Hersteller von Windrädern, von Smartphones, von Großrechnern, Elektroautos, Industrieanlagen, an Unternehmen wie Tesla, Audi, Apple.

Es gab viele Möglichkeiten für das neue Werk, sagt Herlitschka - darunter auch andere Infineon-Standorte in Regensburg, Malaysia oder Dresden. Doch letztlich sei die Wahl auf Villach gefallen - aus mehreren Gründen. Zum einen gibt es hier bereits einen großen Standort. Außerdem: "Die Produktion ist sehr sensibel, wir sind auf eine gute Infrastruktur und eine absolut sichere Stromversorgung angewiesen", sagt Herlitschka. Schon kleinere Stromschwankungen führten zu großen Problemen. Der Großteil des Stroms in Kärnten wird aus Wasserkraft gewonnen, nachhaltiger geht es kaum.

Die Zusammenarbeit mit den Behörden sei zudem gut, die Genehmigungsprozesse seien grundsätzlich schnell, lobt Herlitschka. So könne das Werk voraussichtlich innerhalb von nur zwei Jahren fertig sein, das sei auch in Asien kaum schneller möglich. Aber es gibt auch Probleme: Die Zufahrt zum Werk sei bereits jetzt oft überlastet. Es fehle an Parkplätzen, auch wenn bereits viele Beschäftigte mit dem Rad kämen. Jeder Winkel rund um das Werk steht mit Autos voll. Da, wo bislang noch ein großer Parkplatz ist, zwischen dem Werk und dem Flüsschen Gail, sollen demnächst die neuen Hallen errichtet werden. Deshalb wird auch ein neues Parkhaus gebaut für fast tausend Fahrzeuge. Es gibt zudem einen internationalen Kindergarten und eine internationale Schule im nahen Velden am Wörthersee. Subventionen waren angeblich nicht ausschlaggebend. "Wir bewerben uns hier um öffentliche Förderprogramme, die allen anderen Unternehmen auch offenstehen", sagt Herlitschka. Aber es gebe keine Extra-Subvention für das neue Werk, das wäre nach EU-Recht auch gar nicht zulässig.

High-tech Sensor And Semiconductor Manufacture At Infineon Technologies AG Factory And Clean Rooms

Ein Mitarbeiter prüft einen Wafer, aus dem die Chips gemacht werden.

(Foto: Krisztian Bocsi/Bloomberg)

Schon jetzt arbeiten am Standort Villach Mitarbeiter aus 60 Nationen, einige pendeln aus dem nahen Italien oder aus Slowenien nach Villach. Die Zusammenarbeit mit der örtlichen Fachhochschule sei gut. Die Fluktuation liegt bei lediglich 1,5 Prozent - einmal Infineon, immer Infineon. Oft kommen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die um die 30 Jahre alt sind, mit ihren jungen Familien. Der Freizeitwert ist hoch. Von den Büros aus kann man die nahen Berge sehen, im Winter gehen manche Mitarbeiter vor der Arbeit kurz auf die Skipisten der nahen Gerlitzen.

Aber warum Österreich und nicht Asien? "Wir wollen unsere Schlüsseltechnologie sehr gut unter Kontrolle haben, und das ist in Europa gewährleistet, in anderen Regionen dagegen nicht unbedingt", meint Herlitschka. In Villach werden sogenannte 300-Millimeter-Wafer verarbeiten, das sind große Siliziumscheiben, aus denen dann die Halbleiter gemacht werden. Größere Scheiben, mehr Produktivität, heißt die Formel. So ist Infineon inzwischen weltweit führend bei dieser Technologie, die weitgehend in Villach entwickelt wurde. Die Angst ist also groß, dass etwa in China dieser sensible Vorsprung durch Ideenklau verloren gehen könnte. Auch die Kunden legen Wert, dass das Werk in Europa liegt. "Unsere Kunden wünschen sich auch eine zweite Quelle, also einen weiteren Standort", so Herlitschka.

Vor fast 50 Jahren ist Siemens nach Villach gekommen. Damals war der Ort eine Eisenbahnerstadt, hier liefen die Strecken aus dem Süden, dem Norden und dem Osten zusammen, die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) waren der große Arbeitgeber. Doch es fehlten andere Jobs, und so beschloss die damalige Regierung, Industrieunternehmen anzulocken. Siemens eröffnete 1970 ein Werk zur Produktion von Dioden, zog später an den Stadtrand, dorthin, wo heute das Infineon-Werk steht. 1979 startete Siemens die Chipfertigung, 1999 wurde die Sparte unter dem Namen Infineon ausgegliedert und ein Jahr später an die Börse gebracht. Villach wurde immer weiter ausgebaut.

"Nur Betriebe, die auch forschen, sind wirklich langlebig", betont Bürgermeister Albel. Schon jetzt sichert das Chipunternehmen insgesamt mehr als 12 000 gut bezahlte Jobs in Österreich. Infineon ist die Lebensversicherung für Villach. Albel weiß, wovon er spricht. In seiner Schulzeit hat er nebenbei bei Infineon gejobbt. "Und ich habe gut verdient", sagt Albel.

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