Süddeutsche Zeitung

Chipindustrie:Halbleiter für die Welt

Lesezeit: 4 min

Als Infineon vor drei Jahren den Bau eines neuen Chipwerks verkündete, wurde der Konzern ausgelacht und kritisiert. Jetzt eröffnet die Fabrik im österreichischen Villach - genau zum richtigen Zeitpunkt.

Von Caspar Busse, Villach

Auf dem Infineon-Gelände am Rande des Städtchens Villach haben sie an diesem regnerischen Morgen die europäische und die österreichische Flagge aufgehängt. Es ist ein großer Tag hier in Kärnten am südlichen Rand Österreichs: Die Gegend ist eher für Sonne, Berge, Seen und Tourismus bekannt als für weltweit führende Hochtechnologie. Doch nun soll von hier ein wichtiger Beitrag zur Rettung der Weltwirtschaft kommen. Infineon-Chef Reinhard Ploss und Bundeskanzler Sebastian Kurz sind an diesem Freitag gekommen, um ein neues Halbleiterwerk zu eröffnen. Es ist eines der modernsten der Welt. 1,6 Milliarden Euro hat der Münchner Chipkonzern in den Bau gesteckt, es ist die größte private Industrieinvestition in der Geschichte Österreichs. Kurz spricht von einem "Leuchtturmprojekt".

"Es könnte gar nicht besser für uns laufen", freut sich Konzernchef Ploss. Die neue Fabrik in Villach - Fab, wie so etwas in der Branche heißt - kommt nämlich genau zum richtigen Zeitpunkt. Denn weltweit gibt es derzeit einen eklatanten Mangel an Halbleitern, der sogar dazu führen kann, dass der Wirtschaftsaufschwung nach dem Einbruch in der Corona-Pandemie abgewürgt werden könnte. Bei vielen Autoherstellern stehen Bänder still, Mobiltelefone können nicht wie geplant produziert werden. Spielekonsolen, Waschmaschinen, Computer, Windkraftanlagen, Hochgeschwindigkeitszüge - überall stecken immer mehr dieser kleinen intelligenten Teilchen aus Silizium drin. Weil die weltweite Nachfrage das Angebot derzeit aber deutlich übersteigt, die Lager leer gefegt sind und es ernste Lieferengpässe gibt, ist nun Krise angesagt. Viele können nicht produzieren und ihre Kunden nicht beliefern.

Auch zum Energiesparen werden Halbleiter dringend gebraucht

"Die Kunden reißen uns die Chips aus der Hand", berichtet Infineon-Vorstand Jochen Hanebeck in Villach. Er rechnet auch mit erheblich steigenden Preisen. Zwei Mal hat das Unternehmen in diesem Jahr bereits die Prognose angehoben. Beim Münchner Chiplieferanten melden sich gerade die Autohersteller im Wochenrhythmus und fragen verzweifelt, wann endlich neue Teile geliefert werden können. In Villach werden vor allem sogenannte Leistungshalbleiter hergestellt, spezielle Bauteile also, die etwa für Elektroautos, Züge, Windkraftanlagen und viele andere Produkte gebraucht werden, unter anderem zum Energiesparen, besonders wichtig im Kampf gegen die Klimakrise.

Als Ploss vor mehr als drei Jahren ankündigte, eine neue Fabrik in Österreich bauen zu wollen, war die Welt noch eine andere. Von Engpässen war damals nichts zu spüren. "Damals wurden wir noch belächelt, und jetzt wollen alle bauen", erinnert sich Infineon-Österreich-Chefin Sabine Herlitschka. Einige Analysten und Aktionäre kritisierten die Pläne sogar - zu teuer, unnötig, überambitioniert, dann auch noch in Europa und nicht Asien. Der Kurs der Infineon-Aktie ging damals nach unten.

Kein Fensterheber funktioniert heute ohne einen Chip

Von Mitte 2020 an wurden Halbleiter dann auf einmal knapp - die Nachfrage stieg deutlich an, weil in der Pandemie elektronische Geräte plötzlich viel verkauft wurden. Die Produktion aller Hersteller aber litt unter Corona, in Malaysia oder Taiwan mussten wegen hoher Ansteckungszahlen Werke geschlossen werden, gerade gab es wegen eines Stromausfalls Probleme im Infineon-Werk in Dresden. Schnelle Entlastung ist nicht in Sicht. Experten bezweifeln, dass die Branche rasch aus den Lieferschwierigkeiten herauskommt, sie sind skeptisch, ob sich die Situation vor 2023 grundlegend bessert.

Die Nachfrage bleibe hoch und der Aufbau neuer Produktionskapazitäten dauere eben seine Zeit, sagte Daimler-Chef Ola Källenius in der vergangenen Woche auf der Automesse IAA. Auch BMW-Chef Oliver Zipse sprach von sechs bis zwölf Monaten, die noch von der Chipkrise geprägt sein würden. Denn: Die Autokonjunktur läuft besser als erwartet, und in Elektrofahrzeugen werden deutlich mehr Chips verbaut als in herkömmlichen Autos. Heute funktioniert kein Fensterheber mehr ohne Halbleiter. Infineon-Mann Hanebeck sagt jetzt voraus: "Das wird noch eine anstrengende Zeit werden."

Infineon hat sich deshalb in Villach sehr beeilt, das Werk öffnet drei Monate früher als geplant, trotz der Probleme durch die Pandemie. An diesem Freitag nun verlassen die ersten Halbleiter die Produktionshallen. Das Problem: Ein Halbleiterwerk ist nicht nur besonders teuer, sondern auch sehr komplex. Das kann nicht mal eben aus dem Boden gestampft werden wie eine Maskenproduktion. Jetzt stehen die Hallen, die sensible Produktion kann aber nur schrittweise hochgefahren werden, das dauert Jahre. Am Ende werden bis zu 600 Spezialmaschinen in der Halle stehen, die bis zu 25 Millionen Euro pro Stück kosten und die aus den 300 Millimeter großen Siliziumscheiben dann die Halbleiter machen, sie kommen vor allem aus Asien und den USA. Der Strom wird per Wasserkraft hergestellt und ist hier in Villach sogar günstiger als in Deutschland oder Asien.

Alle Mitarbeiter müssen vor Betreten des Reinraums durch eine Luftdusche

Produziert wird im Reinraum. Die Luft ist deutlich reiner als in jedem Krankenhaus-OP, denn kleinste Staubkörnchen stören die hochsensible Fertigung. Auch jede noch so kleine Schwingung muss verhindert werden. Deshalb gibt es Spezialfundamente und dicke Betondecken - mit pizzagroßen Löchern, durch die die Luft permanent und vollautomatisch von oben nach unten fließt. Dann wird sie wieder nach oben gepumpt und durch Spezialfilter erneut eingeleitet. Die Temperatur beträgt konstant 22 Grad.

Die Mitarbeiter im Reinraum tragen Mund- und Kopfschutz und weiße Ganzkörper-Spezialanzüge, darunter T-Shirt und Jogginghose. Schmuck oder Uhren sind verboten. Jeder Mensch, das wissen sie hier, verliert am Tag drei Gramm Hautpartikel und bis zu 100 Haare, all das soll möglichst draußen bleiben. Vor Betreten der Reinräume müssen alle durch eine Glastür in eine Luftdusche, 20 Sekunden lang drehen sich die Mitarbeiter, halten dabei die Arme vom Körper weg, bis sich die nächste Tür öffnet. An den Decken in fünf Meter Höhe fahren automatisch Kisten entlang, darin sind die Siliziumscheiben, die sogenannten Wafer, nicht dicker als ein Haar, aus denen am Ende die Chips herausgesägt werden. Bis zu 800 Arbeitsschritte sind notwendig, bis ein Halbleiter fertig ist. Rund 4500 Mitarbeiter arbeiten für Infineon in Österreich, 2000 davon alleine in Entwicklung und Forschung. Derzeit gibt es alleine in Villach rund 200 offene Stellen, qualifizierte Mitarbeiter sind nur schwer zu finden.

Sogar die Politik ist auf die Halbleiterkrise aufmerksam geworden. "Wir wollen ein hochklassiges europäisches Chip-Ökosystem schaffen, das die Produktion einschließt", hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union erst an diesem Dienstag gesagt, und ein "Europäisches Halbleitergesetz" angekündigt, das Investitionen anschieben und in Europa koordinieren soll. Denn es gehe um nichts weniger als um die als um die "technologische Souveränität" Europas. In der Tat sitzen inzwischen die meisten Halbleiterunternehmen in Asien und den USA. Die Abhängigkeit Europas in dieser Schlüsseltechnologie ist hoch. EU-Kommissar Thierry Breton will erreichen, dass die EU bis 2030 mindestens ein Fünftel der modernsten Halbleiter der Welt selbst herstellen soll. Dafür will die Kommission den Bau von Fabriken mit Milliarden fördern. Intel-Chef Pat Gelsinger etwa prüft Investitionen in Europa und sucht bereits nach Standorten.

In Villach sind sie da schon sehr viel weiter.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5413513
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.