Süddeutsche Zeitung

Industriellenfamilie Quandt:Vermögend im Dritten Reich

Eigentlich war der Streit um die Nazi-Vergangenheit der Industriellen-Familie ausgestanden. Doch nun meldet sich ein ehemaliger Steuerberater der Dynastie zu Wort: Er bezweifelt, dass die Quandts ihren Besitzstand im Dritten Reich gemehrt hätten - eine gewagte These.

Von Willi Winkler

Längst gibt es Ethik-Seminare für Manager. Gewinnstreben ist zwar die Voraussetzung für den wirtschaftlichen Erfolg, aber es soll abgefedert sein durch eine Moral, die dem Markt nicht alles opfert. Moral als Voraussetzung bewussten Wirtschaftens wird sogar rückwirkend verlangt. So müssen sich die Erben des Flick-Vermögens rechtfertigen, wenn sie einen Lehrstuhl oder eine Kunstsammlung stiften; an dem Geld, das sie so großzügig spenden, klebt das Blut der Geschichte.

Im Jahr 2007 rührte ein Film über "Das Schweigen der Quandts" an das Gewissen der Fernsehnation. Eine der reichsten Familien Deutschlands hatte einen Teil ihres Reichtums offenbar mit großer Unmoral erworben. In ihren Werken schufteten im Dritten Reich unter oft bestialischen Umständen 50.000 Zwangsarbeiter. Die Familie, legendär für ihre Zurückhaltung, weigerte sich, über diese moderne Sklavenhaltung zu reden; in den Entschädigungsfonds der deutschen Wirtschaft wurde deshalb auch nicht eingezahlt.

Diese Verweigerung war im neuen Jahrtausend und angesichts strengerer Transparenz-Anforderungen an Unternehmen nicht mehr durchzuhalten. Die Quandts, die über ihren Aktienbesitz heute unter anderem BMW kontrollieren, hatten sich seit dem 19. Jahrhundert im jeweils herrschenden System unentbehrlich gemacht. Erst schneiderten sie Uniformen für den preußischen Staat, erweiterten ihr Betätigungsfeld dann frühzeitig auf Batterien, profitierten von der Automobilisierung, die im Dritten Reich forciert wurde, und beteiligten sich als eine der Ersten an den Kriegsvorbereitungen.

Zukäufe und Arisierungen

Über Zukäufe und Arisierungen wurde das vielfach verschachtelte Unternehmen kriegswichtig und für den nationalsozialistischen Eroberungskrieg unverzichtbar. Dass Günther Quandt der NSDAP mit Spenden frühzeitig beigestanden hatte und gleich 1933 in die Partei eintrat, hat dem Erfolg nicht geschadet. Die NS-Kommando-Wirtschaft zeigte sich erkenntlich und subventionierte beispielsweise die Herstellung eines jeden Mauser-Karabiners mit 6,50 Reichsmark.

"Das bereits vorhandene erhebliche Vermögen, das Anfang der 1930er-Jahre allein bei den beiden Familien-Holdings Agfi und Draeger-Werke von den Finanzbehörden mit etwa 36 Millionen RM bewertet wurde, konnte weiter vermehrt werden", schreibt Joachim Scholtyseck in seinem Buch "Der Aufstieg der Quandts". Dieses vor zwei Jahren erschienene Tausend-Seiten-Werk ist als unmittelbare Folge des vielfach ausgezeichneten Films von Eric Friedler entstanden. Der Film hatte nicht mit melodramatischer Zuspitzung gespart, aber das Schweigen war nicht mehr länger durchzuhalten. Die Familie Quandt, die Enkel-Generation nach Günther Quandt, beauftragte den Bonner Zeithistoriker Joachim Scholtyseck damit, die Geschichte der Familie zu recherchieren.

Stefan Quandt störte sich als Sprecher der Familie daran, "dass ein einziger kritischer Beitrag für drei Jahre die öffentliche Meinungsbildung dominiert". Die Hoffnung, dass sich das Bild ändern könnte, erfüllte sich nicht. Scholtyseck konnte nicht anders, als das Wirken Günther Quandts vernichtend zu bilanzieren: "Der Familienpatriarch war Teil des NS-Regimes." Er habe mit "moralischer Gleichgültigkeit" und seiner "bedingungslosen Beteiligung am Unrecht" vom Dritten Reich profitiert.

Die Familie versuchte, dieses wenig schmeichelhafte Ergebnis in einem Gespräch mit Giovanni di Lorenzo in der Zeit abzuschwächen, fand sich dann aber doch damit ab. Jetzt meldet sich über die Frankfurter Allgemeine Zeitung Karl Gerlach, ein ehemaliger Steuerberater der Familie, und wirft dem so vorsichtigen und aktenbasierten Buch Scholtysecks sinngemäß vor, es sei auch nur Teil eines durch den Film "Das Schweigen der Quandts" entstandenen Ressentiments.

Gerlach hat, wie es seinem Beruf entspricht, mit ökonomischer Kühle nachgerechnet, und er behauptet, Quandt habe sein Vermögen im Dritten Reich doch gar nicht vermehren können. Er argumentiert mit Vermögensteuererklärungen von Anfang der Dreißigerjahre, die allerdings nie überprüft wurden. Scholtyseck wirft er der FAZ zufolge vor, er habe keine vergleichende Vermögensaufstellung zwischen beispielsweise 1931 und 1945 vorgelegt. Nur damit ließe sich der Nachweis führen, dass die Quandts durch die Kollaboration mit dem Nationalsozialismus, die Gerlach auch nicht bestreiten kann, ihr Vermögen hätten vermehren können.

Womöglich handelt es sich um einen Fall von besonderer Anhänglichkeit, wenn ein ehemaliger Mitarbeiter glaubt, der Familie lange über den Tod von Günther Quandt (1954) und der Söhne Harald (1967) und Herbert (1982) hinaus glaubt, die Treue halten zu müssen. Vermögensteuererklärungen sind nicht alles, vor allem wenn das Vermögen mit regimegestützter Ausbeutung erworben worden ist. Gerlach übersieht, dass das Dritte Reich auch eine Korruptions- und Begünstigungsdiktatur war, in der die Subventionen für die Stützen des Systems mit einer galoppierenden Inflation erkauft waren, die regimetreue Wirtschaftskräfte durch Eroberungen im Westen und Osten auszugleichen hofften.

Ungeschmälerter Währungswechsel

Wie die Unternehmen Flick und Krupp profitierte das Konglomerat Quandt vom wirtschaftlichen Zusammenbruch 1945 und der Währungsreform drei Jahre später. Zwar wurde Günther Quandt für einige Zeit inhaftiert, er konnte sich aber mit Verweis auf die 1933 erlittene kurze Haft als Opfer des Nationalsozialismus darstellen. Die beschlagnahmten Rohmaterialien, die in den letzten Kriegsanstrengungen nicht mehr verwendet worden waren, blieben ihm für den Wiederaufbau erhalten. Während das Sparvermögen des Durchschnittsbürgers auf ein Zehntel abgewertet wurde, konnte Günther Quandt das seine fast ungeschmälert von Reichs- in D-Mark umrubeln; zum Ausgleich wurden die Betriebsschulden abgewertet.

In der Forschung ist umstritten, ob die Beschäftigung von Zwangsarbeitern tatsächlich einen wirtschaftlichen Vorteil brachte. Sie hat Günther Quandt aber in jedem Fall ermöglicht, auf beispiellose Weise "aus der militärisch-politischen Entwicklung Kapital zu schlagen", wie Scholtyseck völlig zu Recht feststellt.

Was man zählen kann, muss man zählen, hat der für den Vietnamkrieg zuständige US-Verteidigungsminister Robert McNamara einst erklärt, als er die Anzahl der Tag für Tag getöteten Gegner bekannt gab. Ein verbrecherisches System und den durch dieses unmoralische System ermöglichten wirtschaftlichen Erfolg zu quantifizieren, hat gewiss seine Berechtigung für die Wirtschaftsgeschichte, aber es erklärt nur einen Teil des Erfolgs. Abstrakte Zahlen, das hat sich inzwischen auch bei größeren Firmen herumgesprochen, abstrakte Zahlen sind nicht alles.

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Quelle:
SZ vom 19.09.2013/mike
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