Industriellenfamilie arbeitet ihr NS-Erbe auf:Endlich reden die Quandts

Auch auf dem Rücken unschuldiger Nazi-Opfer baute die Quandt-Dynastie ein Milliardenvermögen auf - und schwieg dazu lange. Die Debatte um das NS-Erbe bringt die Vertreter der Familie an die Öffentlichkeit: "Schmerzhaft" sei die Rolle des eigenen Clans gewesen. Wie die Herrscher über BMW und andere Firmen nun bei der Aufarbeitung Gutes tun wollen.

Thomas Fromm

Es war eine dieser unheilsamen Verstrickungen, von denen man lieber nicht sprach. Schon gar nicht wenn man derjenige war, um den es ging. Günther Quandt, der während der 20er und 30er Jahre zu einem der ganz großen Industriellen in Deutschland aufgestiegen war, schrieb am Ende des Krieges die Geschichte eines Mannes auf, der hart gearbeitet - und durchgehalten hatte. "Ich blieb auf meinem Posten", notierte Quandt. Loyalität, Fleiß, Durchhaltevermögen - so kam der Mann, in dessen Fabriken Zehntausende von Zwangsarbeitern arbeiteten und litten, im Nachkriegs-Wirtschaftswunderland Deutschland an.

Quandt Grafik

Die Dynastie der Quandts.

(Foto: SZ-Grafik)

Nach dem Krieg ging es ohnehin um ganz andere Dinge. Darum, wie sein Sohn Herbert Quandt den damals angeschlagenen Münchner Autobauer BMW vor dem Zugriff des Rivalen Daimler rettete, um die Batteriefirma Varta und um das Chemieunternehmen Altana. Bis sich vor einigen Jahren der Bonner Historiker Joachim Scholtyseck über die Quandt-Archive beugte.

Die Familie hatte ihn beauftragt, nachdem der NDR ein investigatives TV-Stück (Das Schweigen der Quandts) ausgestrahlt hatte. Aus Akten, Protokollen und alten Briefen entwarf der Wissenschaftler, dem das Firmenarchiv zur Verfügung stand, auf 1186 Seiten ein neues Quandt-Bild. Ein Nazi war der Industrie-Patriarch demnach wohl nie, wohl aber ein Geschäftemacher, der die Nazis dafür clever nutzte. So lavierte sich das Unternehmen gewinnbringend durch das Dritte Reich.

Erstmals nun haben der BMW-Erbe Stefan Quandt und seine Cousine Gabriele öffentlich Stellung zur eigenen Geschichte bezogen. "So wie unsere Vorfahren möchten wir bei der Verwaltung und Gestaltung eines großen Vermögens mit unserer Verantwortung nicht umgehen", sagt Stefan Quandt in der Zeit. "Schmerzhaft zu sehen" sei "die Rolle, die Günther Quandt bei einigen Arisierungen gespielt hat, also bei Übernahmen von Firmen aus jüdischem Besitz, mit denen er seinen Konzern erweiterte". Der Mann, einer der Haupterben, räumt ein: "Das war mir vorher so nicht klar."

Das Milliardenvermögen der Dynastie, aufgebaut auch auf dem Rücken vieler unschuldiger Nazi-Opfer - die Nachkommen ziehen nun einen Schlussstrich unter das jahrzehntelange Schweigen. Denn gerade in jenen Jahren entstand das Milliardenvermögen, mit dem die Enkelgeneration noch heute arbeitet und auf dem ihre Milliardenbeteiligungen in Deutschland aufgebaut sind. Die Geschichte der weit verzweigten Dynastie ist auch eine Geschichte ständiger Teilungen und Zuordnungen.

Es begann mit Harald und Herbert, den Söhnen Günther Quandts. Harald kümmerte sich um die in der Industriewerke Karlsruhe-Augsburg AG (heute KUKA) gebündelten Maschinenbau- und Rüstungsgeschäfte. Herbert Quandt um Varta, Daimler-Benz und BMW. Im Zentrum stehen heute vor allem die Beteiligungen, die von Herbert Quandts dritter Frau Johanna und ihren Kindern Susanne Klatten und Stefan Quandt gehalten werden - vor allem die 46,7 Prozent am bayerischen Automobilbauer BMW.

Alle zusammen - und doch jeder für sich

Die Beteiligungen der Familie werden stets addiert, auch wenn Mutter Johanna und ihre Kinder als Einzelaktionäre aufgeführt sind. Tatsächlich "werden hier keine Einzelentscheidungen getroffen", sagt ein Klatten-Sprecher. Mit ihren 46,7 Prozent macht die Familie BMW-Politik. Alle zusammen - und doch jeder für sich.

Günther Quandt (Mitte) mit seinen Söhnen Harlad (li.) und Herbert (re.),

Konzerngründer Günther Quandt (Mitte) mit seinen Söhnen Harald (links) und Herbert (rechts)

(Foto: Scherl)

Vor allem Susanne Klatten, die mit 12,6 Prozent bei BMW engagiert ist, nutzt ihren Anteil, um Einfluss auf die strategische Ausrichtung zu nehmen. Nachdem sie ein Übernahmeangebot für den Chemiekonzern Altana vorgelegt hatte, schlug sie im Frühjahr 2009 über ihre Beteiligungsfirma Skion beim Wiesbadener Grafit-Spezialisten SGL Carbon zu, an dem sie heute knapp 30 Prozent hält. Die Großvater-Generation hatte auf Rüstungsgeschäfte gesetzt, heute stehen zukunftsgerichtete Industriezweige im Vordergrund.

Kurz nach ihrem Einstieg bei SGL gründeten die Wiesbadener ein Joint-Venture mit BMW. Ziel: Die gemeinsame Produktion von Carbonfasern für den Auto-Leichtbau. Gleichzeitig ist Susanne Klatten am Windkraftanlagenbauer Nordex beteiligt. SGL produziert den Werkstoff Carbon und damit das leichte Material für Rotorblätter bei Windrädern und Elektroautos von BMW. Susanne Klatten, die Enkelin des umstrittenen Günther Quandt, gilt heute als erfolgreiche Strippenzieherin beim Münchner Autobauer.

Anders ihr Bruder Stefan. Der Enkel Günther Quandts ist nach Meinung vieler mit der Auswahl seiner Beteiligungen weniger erfolgreich als die Schwester; über seine Finanzholding Delton hält er diverse Beteiligungen, darunter am wirtschaftlich schwachen Logistiker Logwin. Er, seine Schwester und Mutter Johanna hatten als BMW-Aktionäre für das abgelaufene Geschäftsjahr eine Dividende von schätzungsweise 365 Millionen Euro bekommen.

Ob er Dankbarkeit empfinde, dass er ein solches Vermögen geerbt habe, wird er im Zeit-Interview gefragt. Stefan Quandts Antwort: "Wir arbeiten. Wir verbringen nicht den ganzen Tag am Strand. Wir müssen uns um unsere Sicherheit und die der Kinder Sorgen machen."

Die jungen Nachkommen, sie wollen ihr Geld nun nicht mehr nur in lukrative Beteiligungen investieren, sondern auch Gutes tun. So will Quandt das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit in Berlin-Schöneweide fördern und dort für die Renovierung der Baracken zahlen. Eine soll zum Begegnungszentrum ausgebaut werden, in einer zweiten soll ein Gebäude für Ausstellungen und Seminare zum Thema Zwangsarbeit entstehen. "Alles in allem ist das die größte private Zuwendung, die es im Bereich der historischen Erinnerung in Deutschland bisher gegeben hat", sagt Quandt. Es gehe um ein "echtes Zukunftsprojekt".

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