Industrie- und Handelskammern:Angriff auf das IHK-Vermögen

Industrieproduktion

Die deutsche Wirtschaft boomt.

(Foto: dpa)
  • Die 80 Industrie- und Handelskammern in Deutschland müssen sich künftig bei der Bildung von Rücklagen an deutlich strengere Regeln halten.
  • Viele von ihnen hatten in der Vergangenheit hohe Vermögen angehäuft. Ein neues Urteil des Bundesverwaltungsgerichts könnte das in Zukunft verhindern.

Von Thomas Öchsner, Berlin

Die 80 Industrie- und Handelskammern gehören zu Deutschland wie das Brandenburger Tor zu Berlin, so fest sind sie im Wirtschaftsleben verankert. Immer mehr vor allem kleinere Firmeninhaber fragen sich aber, ob die Kammern so sein müssen, wie sie sind. Dabei geht es nicht zuletzt um die ungeliebten Pflichtbeiträge, die für jede IHK eine immer fließende Geldquelle sind. "Viele Kammern schwimmen deshalb wie Dagobert Duck regelrecht im Geld", sagt Kai Boeddinghaus, Geschäftsführer des kammerkritischen Bundesverbands für freie Kammern (BffK). Doch mit den prall gefüllten Geldspeichern könnte es bald vorbei sein.

Seit Jahren klagen Unternehmen gegen die Pflichtbeiträge dieser öffentlich-rechtlichen Körperschaften, die vom Staat bestimmte Aufgaben, wie etwa die Abnahme von Prüfungen in der Ausbildung, übertragen bekommen haben, und dafür im Gegenzug das Recht haben, Beiträge einzuziehen. Nun hat die in dieser Frage höchste Instanz, das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), ein Grundsatzurteil gefällt, das das Kammerwesen und seine Finanzierung in seinen Grundfesten erschüttern dürfte.

Dabei geht es am Beispiel der IHK Koblenz um die Frage, ob die gebildeten Rücklagen zu hoch sind - und damit indirekt auch die Beiträge von mehr als drei Millionen Firmen, die Mitglied einer IHK sind. Schon 1990 hatte das BVerwG festgestellt, dass die finanziellen Reserven der Kammern nicht "der Bildung von Vermögen" dienen dürfen. Die Kammern machten es sich jedoch leicht: Sie bildeten in der Regel, wie in ihren Finanzstatuten vorgesehen, pauschal Rücklagen von bis zu 50 Prozent der Aufwendungen. Dagegen zog die Speditionsfirma ITC Logistic Group vor den Kadi und fand nun vor dem BVerwG Gehör.

In der schriftlichen Begründung des Urteils, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt, heißt es: Rücklagen zu bilden, um mögliche Einnahmeausfälle oder -verzögerungen zu überbrücken, seien erlaubt. Das Maß der Rücklage müsse aber "von diesem sachlichen Zweck gedeckt sein". Ist dies nicht der Fall, wäre die Rücklage "nicht mehr angemessen und würde einer unzulässigen Vermögensbildung gleichkommen". Die Kammer müsse dann "eine überhöhte Rücklage baldmöglichst wieder auf ein zulässiges Maß zurückführen".

Außerdem seien Kammern haushaltsrechtlich verpflichtet, sparsam zu wirtschaften und mit den Beiträgen der Mitglieder pfleglich umzugehen. Für Prognosen über notwendige Rücklagen müsse daher "das Gebot der Schätzgenauigkeit" gelten. Fehlten diese schätzgenauen Prognosen, sind Rücklagen von bis zu 50 Prozent der Aufwendungen wie im Fall der IHK Koblenz "deutlich überhöht".

Beiträge könnten anfechtbar sein

Das Urteil ist von erheblicher Brisanz, da nach einer Auswertung des BFFK fast alle Kammern Rücklagen pauschal und das oft am oberen Ende eines festgelegten Rahmens bilden. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag hat deshalb bereits eine Arbeitsgruppe eingerichtet, will aber zu den Folgen des Urteils derzeit nichts sagen. Auch die Hauptgeschäftsführer der Kammern werden sich übernächste Woche bei einem Treffen in Berlin damit befassen. Insider sagen, je höher die Rücklage und damit auch das Gewicht der Kammer, desto höher kann das Gehalt der Kammerchefs steigen, das je nach Bezirk mehrere 100 000 Euro im Jahr betragen kann.

Zuständig für die Kontrolle jeder einzelnen IHK sind die jeweiligen Wirtschaftsministerien der Länder. Diese halten sich, wie eine SZ-Umfrage bei vier Ministerien ergab, mit öffentlichen Bewertungen des Urteils zurück, wohl auch, weil man es sich mit den Kammerfürsten nicht verscherzen will. Unmissverständliche Worte kommen nur aus dem niedersächsischen Ministerium: Das Bundesverwaltungsgericht habe klar dargelegt, dass es unzulässig sei, Rücklagen undifferenziert in bestimmten Bandbreiten zu bilden, teilte der Sprecher mit.

Kritiker Boeddinghaus beziffert die Rücklagen für Ende 2013 auf mehr als 1,3 Milliarden Euro

"Soweit Beitragsbescheide schon bestandskräftig geworden sind, sind sie nicht mehr rückwirkend juristisch angreifbar." Umgekehrt kann das nur heißen: Alte und neue noch nicht bestandskräftige Beitragsbescheide sind sehr wohl anfechtbar. Niedersachsens Wirtschaftsministerium geht sogar noch weiter: Die grundsätzlichen Feststellungen in dem Urteil beträfen "nicht nur die Industrie- und Handelskammern, sondern alle Kammern mit Pflichtmitgliedern, also auch die Handwerkskammern, Architektenkammern, Ingenieurkammern und die Sozialkammern".

Auch das Bundeswirtschaftsministerium hebt die Bedeutung hervor - nicht in seiner Antwort auf die SZ-Anfrage, aber intern. In einer E-Mail an die Rechtsaufsichten in den Ländern heißt es: Das Gericht habe entschieden, "dass die IHKs eine überhöhte Rücklage möglichst bald auf ein zulässiges Maß zurückführen müssen". Die Beiträge dürften "die voraussichtliche Summe der aufwendungsbezogenen Kosten nicht übersteigen".

Kammerkritiker Boeddinghaus beziffert die Rücklagen aller Industrie- und Handelskammern auf mehr als 1,3 Milliarden Euro Ende 2013. Mindestens 450 Millionen davon seien rechtswidrig gebildet worden und nun aufzulösen. Halten sie sich daran, können sich die Unternehmen bald auf weiter sinkende Beiträge freuen.

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