Industrie:Mit jeder Milliarde kommen die Roboter näher

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Technik-Präsentation auf der Hannover Messe: Roboter arbeiten an einem Automodell. (Foto: Christophe Gateau/dpa)
  • Die Elektroindustrie erwartet für 2019 zwar das sechste Rekordjahr in Folge. Überschwänglich ist die Stimmung aber nicht.
  • Die Firmen investieren kräftig in neue Technologien, sie müssen: Denn die moderne Fabrik steuert sich selbst.
  • Das hat Folgen für die Beschäftigen. Bis 2025 könnten in Deutschland bis zu 300 000 Stellen wegfallen.

Von Elisabeth Dostert, Hannover

Es könnte alles so schön sein. Industriemessen sind der Ort, an dem die Unternehmen ihre Kräfte zeigen und messen. Auf der Hannover Messe ist von diesem Montag an zu sehen, welche Fortschritte die Digitalisierung in der Produktion macht, was Roboter schon können, wie vernetzt die Maschinen bereits arbeiten, welche Software sie treibt und was mit den Daten geschieht, die entlang der Wertschöpfungskette unentwegt gesammelt werden und welche Rolle der neue Mobilfunkstandard G5 für die Industrie spielt. Doch es gibt einige Entwicklungen, die die Stimmung vermiesen: "Technologisch erleben wir Fortschritt, politisch erleben wir Rückschritt", sagte Michael Ziesemer, Präsident des Branchenverbandes ZVEI, am Abend zur Eröffnung der Messe. Ziesemer sorgen der Brexit, der wachsende Protektionismus in der Welt, der Handelskonflikt zwischen den USA und China. Der Austritt Großbritanniens werde "erhebliche wirtschaftliche Folgen" für die deutsche Elektroindustrie und den Maschinenbau haben. Natürlich gehe der Markt nicht verloren, aber es werde schwieriger. Die EU müsse schneller und transparenter werden, damit die EU-feindlichen Kräfte nicht noch mehr Zuspruch bekommen und die Mitte schwächen, so Ziesemer: "Der Brexit ist uns eine Warnung, Errungenschaften nicht als selbstverständlich zu nehmen." "Die Spielregeln verändern sich", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Abend: "Wir brauchen Antworten auf sehr entscheidende Fragen, das müssen europäische Antworten sein." Die müssten auch mit Blick auf die großen Wirtschaftsmächte USA und China gefunden werden, und zwar in europäischem Rahmen. Merkel forderte ein ganzes Bündel an Maßnahmen, damit die europäische Industrie technologisch mithalten kann. Dazu zählte sie die Reform des EU-Beihilfe- und Wettbewerbsrechts und eine neue Industriepolitik. Noch melden Elektroindustrie und Maschinenbau Rekorde. Der mittel- bis langfristige Wachstumspfad der wichtigsten Leitmärkte wie Industrie 4.0, Energie oder Mobilität sei intakt, sagte Ziesemer der SZ: Für 2019 erwarte die Elektroindustrie das sechste Wachstumsjahr in Folge. 2018 produzierte sie gut zwei Prozent mehr, die Erlöse stiegen auf den Rekordwert von gut 193,5 Milliarden Euro. Mit 890 000 Beschäftigten war deren Zahl Ende 2018 auf dem höchsten Stand seit 22 Jahren. Auch der deutsche Maschinenbau meldet für 2018 Rekorde. Wie aus dem jüngsten Maschinenbaubarometer von EY hervorgeht, legte der Umsatz um vier Prozent auf mehr als 249 Milliarden Euro zu. Es ist der fünfte Anstieg in Folge. Die Zahl der Beschäftigten wuchs um ebenfalls vier Prozent auf 989 000. Die Branche sei in den vergangenen Jahren von Rekord zu Rekord geeilt, sagte Stefan Bley, Partner der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY. Da die Vorlaufzeiten im Maschinenbau sehr lang seien, wirkten sich Ereignisse wie der Brexit erst verzögert auf die Zahlen aus. "Kaum eine Branche investiert so konsequent in neue Technologien - lediglich in der Elektrotechnik und im Kraftfahrzeugbau ist der Anteil der Investitionen in digitale Technologien höher", heißt es im Barometer. "Die moderne Fabrik steuert sich in großen Teilen selbst", so Bley. "Die Maschinen bestellen eigenständig fehlende Teile nach, sie können aus der Ferne gewartet werden und viel einfacher auf Auftragsspitzen reagieren." Das mache die Produktion flexibler und kostengünstiger. Für ZVEI-Mann Ziesemer ist die smarte Fabrik ein langer Weg, auf dem die Firmen in Deutschland "zügig vorankommen".

Neue Industrie-4.0-Fabriken würden errichtet. Daniel Küpper, Partner und Produktionsexperte des Beratungsunternehmens Boston Consulting Group (BCG), unterscheidet drei Reifegrade der Industrie 4.0. Die erste Stufe umfasse die Nutzung digitaler Technologien, um Transparenz im Unternehmen zu schaffen. Als Beispiel nennt Küpper Sensoren, die in Echtzeit den Zustand von Maschinen aufzeigen und Engpässe in der Fabrik. In dieser Phase befänden sich derzeit die meisten Unternehmen aus Maschinenbau und Elektroindustrie.

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Auf der zweiten Stufe stehe die Auswertung großer Datenmengen, im Fachjargon Big Data Analytics, im Mittelpunkt. Ziel sei, die Stabilität in den Fabriken zu erhöhen, die Nachfrage besser zu prognostizieren oder Maschinen vorausschauend zu warten. Auf dieser zweiten Stufe bewegten sich bislang "nur wenige Unternehmen". Der dritte Reifegrad, die sich selbst steuernde Fabrik, sei für deutsche Unternehmen "noch weitgehend Zukunftsmusik."

Küpper: "Die Umwandlung der Fabriken wird das Top-Thema der nächsten zehn Jahre sein." Eine der Schlüsseltechnologien dafür seien "fortgeschrittene Roboter". Im Vergleich zu konventionellen Industrierobotern, die repetitive Aufgaben erledigen, meist eingezäunt sind und nicht mit ihrer Umwelt interagieren, sind "Advanced Robotics" schlau. Sie nehmen Einflüsse aus der Umgebung wahr und reagieren darauf. Künstliche Intelligenz macht fortschrittliche Roboter lernfähig. Sie erledigen Aufgaben, die keiner Regel folgen.

Wenn die Roboter übernehmen, stehen 300.000 Jobs auf dem Spiel

Der Einzug der fortgeschrittenen Roboter ins Werk hat auch Folgen für die Beschäftigten. Nach BCG-Berechnungen fallen bis 2025 in Deutschland bis zu 300 000 Stellen weg. Angesichts des zunehmenden Fachkräftemangels würde das von vielen Befragten als "Entlastung" wahrgenommen. Für die Studie wurden weltweit Manager von mehr als 1300 Unternehmen befragt.

In Deutschland werde der Stellenabbau geringer ausfallen als in anderen Ländern. "Vor allem chinesische Unternehmen erwarten einen noch stärkeren Abbau von Arbeitsplätzen", so Küpper: "Das liegt unter anderem an der hohen Zahl leicht zu automatisierender Tätigkeiten und der Tatsache, dass eine sich selbst steuernde, menschenleere Fabrik in China als deutlich machbarer eingeschätzt wird." Etwa ein Fünftel der befragten chinesischen Unternehmen glaube, dass durch den Einsatz von Robotern in den nächsten fünf Jahren mehr als 20 Prozent der Arbeitsplätze verloren gehen. In Deutschland sind es zwei Prozent.

Nach Berechnungen von BCG wird der Markt für Roboter allein in der Produktion von 13,2 Milliarden Euro im vergangenen Jahr auf 18,6 Milliarden Dollar im Jahr 2021 steigen, davon entfällt rund ein Fünftel auf "Advanced Robotics", 2018 lag ihr Anteil bei neun Prozent.

© SZ vom 01.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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