Industrie:Meister der Reihenklemmen

Industrie: Eine eigene kleine Stadt bildet die Firma Phoenix Contact im ostwestfälischen Ort Blomberg.

Eine eigene kleine Stadt bildet die Firma Phoenix Contact im ostwestfälischen Ort Blomberg.

(Foto: Phoenix Contact)

Phoenix Contact aus dem kleinen Ort Blomberg zählt in der Branche zu den Weltmarktführern

Von Bärbel Brockmann

Es gibt viele Gegenden in Nordrhein-Westfalen, die bekannter sind als Ostwestfalen-Lippe. Das Rheinland beispielsweise, das Münsterland oder das Ruhrgebiet. Dabei haben im Osten des bevölkerungsreichsten Bundeslandes viele Unternehmen von weltweiter Bedeutung ihren Sitz: Miele, Melitta, Oetker, Claas, Bertelsmann. Aber auch sehr viele, deren Namen den meisten eher wenig sagen, die aber mit ihren Produkten auf dem Weltmarkt führend sind. Einer dieser "Hidden Champions" ist das Unternehmen Phoenix Contact aus Blomberg, einem 15 000-Einwohner-Ort im Landkreis Lippe.

Phoenix Contact ist in der Elektrotechnik zu Hause. Das Unternehmen gilt als Erfinder der Reihenklemme. Ein kleines Modul, ohne das heute nichts mehr geht. Reihenklemmen sind überall dort im Einsatz, wo Strom fließt. In Schaltschränken, auf Leiterplatten, in Elektronikgehäusen. Schon in den 1920-er Jahren kam der Gründer des Unternehmens auf die Idee, die damals üblichen keramischen Klemmenblöcke in modulare Scheiben zu unterteilen.

Heute ist das Spektrum der Produkte enorm groß. Das Unternehmen hat sich zu einem international aufgestellten Verbindungs- und Automatisierungsspezialisten entwickelt, dessen Produkte in fast allen Bereichen des täglichen Lebens anzutreffen sind - von der Verkehrsinfrastruktur über die Elektromobilität, beim Einsatz regenerativer Energien bis zum energieeffizienten Maschinen- und Anlagenbau. 14 000 Mitarbeiter erwirtschafteten weltweit zuletzt einen Umsatz von knapp 1,8 Milliarden Euro.

Seit 2015 führt erstmals ein externer Manager die Elektrotechnik-Firma

In Blomberg arbeiten aktuell 4500 Beschäftigte. Der Ort wird vom Elektronik-Unternehmen dominiert und teilt diese Rolle mit Großstädten wie Wolfsburg und Leverkusen, deren Charakter von VW beziehungsweise Bayer bestimmt werden - nur in kleinerem Maßstab. Schon von weitem ist die hellgraue Stadt in der Stadt in der ansonsten von Landwirtschaft geprägten Hügellandschaft im Lippischen erkennbar. Eine riesige Fläche, stolz Campus genannt, auf der sich zahlreiche unterschiedlich große Produktionshallen aneinander reihen, dazu Verwaltungsgebäude. Und natürlich gibt es überall reichlich Parkplätze.

An einen solch entlegenen Ort, der auf der Hälfte des Weges von Detmold nach Bad Pyrmont gelegen ist, hatte Firmengründer Hugo Knümann sicher nicht im Entferntesten gedacht, als er 1923 mitten in der Krupp-Stadt Essen seine "Handelsvertretung für Elektroprodukte" eröffnete und sie Phoenix Elektrizitätsgesellschaft nannte. Er ging damit ganz mit der Mode, die in den 1920-er Jahren Mythisches und Archaisches bei der Namensgebung favorisierte. Kohlezechen hießen damals etwa Herkules oder Hannibal. Zusammen mit den Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerken (heute: RWE) entwickelte Knümann 1928 die erste modulare Reihenklemme, die er in seinen Geschäftsräumen am Essener Hauptbahnhof aus gelieferten Teilen zusammenbauen ließ.

Von einem Ort namens Blomberg hörte Knümann erst, als mitten im Zweiten Weltkrieg Bomben am Essener Firmensitz einschlugen, und er beschloss, seine Firma zu evakuieren. Ein Neffe kannte einen sicheren Ort, an dem sich offenbar Fuchs und Hase gute Nacht sagten: Blomberg. Dort stand auch gerade die einzige Gaststätte frei und diente kurze Zeit später als Lager. Wenig später war die Firma umgezogen. Man richtete sich ein. Vier Jahre nach Kriegsende holte Knümann den Elektroingenieur Josef Eisert als technischen Leiter in die Firma - was sich im Nachhinein als ebenso einschneidendes Ereignis erwies, wie die Umsiedlung an den neuen Standort. Eisert war technisch hochbegabt, er hielt mehrere Patente. Er überarbeitete das gesamte Produktprogramm und gab damit die Richtung für die Zukunft vor. Wenige Jahre später begann auch die eigene Produktion. Als Firmengründer Knümann starb, hinterließ er die Firma Eisert sowie Ursula Lachmann, der kaufmännischen Leiterin, die im Alter von 17 Jahren zu Phoenix gekommen war. Später folgten Eiserts Söhne Klaus, Jörg und Gerd nach. Klaus Eisert führte die Firma, die seit 1982 Phoenix Contact heißt, bis 2014. Dann übergab er die Firmenleitung erstmals in der Geschichte des Unternehmens an einen externen Manager. Frank Stührenberg, der schon lange im Unternehmen arbeitete, wurde Vorsitzender der Geschäftsführung. Eisert steht dem Firmenbeirat vor.

Stührenberg verspricht Kontinuität. "Die Werte und die Unternehmenskultur, die uns von den Gesellschaftern Ursula Lampmann sowie Klaus und Gerd Eisert vermittelt wurden, sehen wir als elementar für die Wahrnehmung von Phoenix Contact und für den Erfolg des Unternehmens an." Einer dieser Werte ist die mittelständische Organisation, die man unter allen Umständen auch in einem weiter wachsenden Unternehmen beibehalten will, weil sie den nötigen Freiraum und die Möglichkeit von Eigeninitiative schafft. Ein anderer Wert ist die hohe Fertigungstiefe. Der Trend zum Outsourcing ist an Phoenix Contact vorbeigegangen. Selbermachen und unabhängig bleiben ist das Mantra. Folglich stellt man auch die Maschinen selbst her, die man für die Produktion braucht, Maschinen für die Metall- und Kunststofffertigung, Montagemaschinen oder Werkzeuge für Spritzgussmaschinen. Die hohe Fertigungstiefe hat auch zur Folge, dass das Unternehmen in zwölf technischen Fachberufen ausbildet. Das ist nicht zuletzt deshalb wichtig, um sich die nötigen Fachkräfte langfristig zu sichern.

Weltmarktführer zu sein ist gut. Aber wie kann man die Führerschaft verteidigen? Für Stührenberg ist das Rezept klar. "Visionäres Denken pflegen, immer beseelt zu sein davon, die Nase vorn zu haben. Auch wenn Innovationskraft ein verschlissenes Wort ist - aber das ist es. Erfinderreichtum und Energie, Ideen umzusetzen", sagt er. Im bodenständigen Ostwestfalen scheint das Umfeld dafür zu stimmen. Das gilt aber nicht nur für Phoenix Contact. Zusammen mit den Firmen Wago in Minden und Weidmüller in Detmold ist die Region eine Art "Silicon Valley" der elektrischen Verbindungstechnik.

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