Industrie 4.0:Die vernetzte Firma

A man looks at his mobile device as he walks during the Mobile World Congress in Barcelona

Der Mobile World Congress startet in Barcelona.

(Foto: Albert Gea/Reuters)

Förderprogramme sollen dem deutschen Mittelstand bei der Digitalisierung und der Nutzung neuer Technologien helfen. Doch viele Unternehmen zögern noch. Denn es gibt auch noch Fragen nach der Sicherheit der Systeme.

Von Norbert Hofmann

Als das Familienunternehmen Wittenstein vor mehr als 60 Jahren in Steinheim bei Heidenheim gegründet wurde, produzierte es noch Doppelkettenstichmaschinen zur Herstellung von Damenhandschuhen. Heute ist daraus eine weltweit tätige Firmengruppe für mechatronische Antriebstechnik geworden mit Sitz in Igersheim. Doch darauf wollen sich die Schwaben nicht ausruhen. Das Unternehmen arbeitet an der digitalisierten Fabrik der Zukunft, in der sich Menschen, Maschinen und Produkte mit Hilfe von intelligenten Cyber-Physischen-Systemen laufend miteinander austauschen. Das Ziel: Arbeitsprozesse sollen effizienter, die Produktion flexibler und Produkte individueller werden.

Der Mechatronik-Spezialist sieht das als strategische Investition in die Zukunft. "Wir müssen Denkblockaden für neue Wertschöpfungsansätze überwinden", sagt Firmeninhaber Manfred Wittenstein. Im Herbst hat der Mittelständler einen Pilotbetrieb namens CyProS vorgeführt, bei dem intelligente Sensorik und intuitiv bedienbare Apps die Produktion steuern. An dem Projekt waren auch vier Forschungsinstitute und Konzerne wie Siemens, Trumpf und BMW beteiligt. Bei der Finanzierung half das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit einer Förderung von 11,2 Millionen Euro für CyProS und zwei parallel laufende Projekte. Zwar kann nicht jeder Mittelständler auf solche starke Partner setzen. An der zunehmenden Digitalisierung der Wirtschaft, die auch vierte industrielle Revolution oder kurz Industrie 4.0 genannt wird, werden Betriebe vieler Branchen kaum vorbeikommen, wenn sie dauerhaft im internationalen Wettbewerb bestehen wollen. "Digitalisierung ist in der deutschen Wirtschaft nicht neu, sie gewinnt in unterschiedlichsten Ausprägungen aber stark an Bedeutung", sagt Christoph Zanker, beim Branchenverband VDMA Leiter der Koordinierungsstelle "Allianz Industrie 4.0 Baden-Württemberg".

Maschinenbauer etwa digitalisieren ihre Maschinen und Anlagen so, dass sie vernetzungsfähig und intelligent werden. Die Produktion ihrer Kunden wird dadurch vor allem produktiver und flexibler. Durch die engere Vernetzung und zunehmende Generierung von Daten erwachsen den Firmen sehr wahrscheinlich auch die Chancen für neue Geschäftsmodelle und Kooperationspartner. "Es gibt nicht ,die' Industrie 4.0-Fabrik, sondern hinter dem Begriff verbergen sich Tausende von Puzzlesteinen", sagt Zanker. Jedes Unternehmen müsse für sich bestimmen, welchen Nutzen es von den Investitionen in neue Technologien hat. Das birgt aber auch neue Herausforderungen.

Es gibt Vorreiter. Doch viele Unternehmen zögern noch

Die enge Verzahnung von internen und externen Daten, etwa zwischen Maschinenhersteller und Anwender, wirft die Frage nach dem Schutz von betrieblichem Wissen auf. Auch deshalb stehen Unternehmer dem Thema 4.0 oft noch skeptisch gegenüber. Doch wer erst einmal loslegt, kann oft schnell Erfolge vorweisen. Allein die Allianz 4.0 Baden-Württemberg hat bislang 30 Unternehmen für erfolgreiche Konzepte zur intelligenten Vernetzung ausgezeichnet. Noch 2016 werden es hundert Preisträger sein, wobei das Spektrum vom Kleinbetrieb bis zu Weltmarktführern wie Bosch reicht. Neue Ideen entstehen bundesweit.

Die Maschinenfabrik Reinhausen (MR) in Regensburg etwa hat das Assistenzsystem Value Facturing entwickelt, das als Drehscheibe aller an der Fertigung beteiligten Maschinen, Anlagen, Softwaresystemen und Personen dient. Die Software sammelt Daten, reichert sie zu Informationen an und speist sie in den Arbeitsfluss. Daten von Hand muss niemand mehr eingeben. Bildschirme zeigen den Beschäftigten bei jedem Arbeitsgang an, welches Fertigungshilfsmittel wann benötigt wird. "Wir haben dabei auch dafür gesorgt, dass die Maschinen und Anlagen unterschiedlicher Hersteller miteinander kommunizieren können", sagt Johann Hofmann, Leiter Value Facturing bei der MR. Die Einführungskosten für Value Facturing zahlen sich seiner Meinung nach in weniger als zwei Jahren aus.

Doch viele Unternehmen zögern mit der Digitalisierung, weil sie teilweise mit hohen Investitionen verbunden ist und sich die Finanzierung schwierig gestalten kann. Denn anders als etwa bei Investitionen in Maschinen hat das Kreditinstitut bei Software- und Vernetzungslösungen viel weniger in der Hand. "Mit der Digitalisierung geht auch die Dematerialisierung einher und darauf müssen sich die Banken erst einstellen", sagt Zanker. Hinzu kommt, dass Industrie 4.0 für viele Unternehmer ein noch neues Gebiet mit neuen Instrumenten ist. Da ist die Prognose, wann sich eine Investition durch ihre Erträge amortisiert, deutlich schwieriger. Das wiederum gestaltet das Kreditgespräch nicht einfacher.

Wer überzeugende Konzepte vorweist, kann mit öffentlichen Fördergeldern rechnen. Geeignet dafür sind zinsgünstige ERP-Innovationsdarlehen der KfW und entsprechende Programme in den Bundesländern. Das Innovationsprogramm der L-Bank in Stuttgart etwa bietet Unternehmen mit unter 50 Millionen Euro Umsatz zusätzlich zum Darlehen einen Tilgungszuschuss in Höhe von einem Prozent der Finanzierung. Da der Mensch sich an ein digitalisiertes Umfeld immer wieder anpassen muss, legt die L-Bank jetzt auch ein neues Programm für die Mitarbeiterqualifikation im Bereich Industrie 4.0 auf. "Es wird für die Lernkosten eine Kreditpauschale von jährlich 50 000 Euro geben, so dass also etwa bei 40 Mitarbeitern eine zinsvergünstigte Darlehenssumme von zwei Millionen Euro winkt", erläutert Rudolf Spitzmüller, Vorstand der auf Fördermittel spezialisierten Unternehmensberatung Spitzmüller AG.

Das wichtigste Förderangebot ist das bundesweite Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM), das Aktivitäten zur Entwicklung innovativer Produkte, Verfahren oder technischer Dienstleistungen fördert. Dies geschieht durch Zuschüsse von bis zu 50 Prozent der Projektkosten in einer Höhe von bis zu 190 000 Euro je Unternehmen. "ZIM lässt sich hervorragend für die Industrie 4.0 einsetzen, etwa um Geräte- und Maschinenkomponenten, Services oder Logistiksysteme intelligenter und damit effizienter zu machen", sagt Spitzmüller. Er verweist zudem darauf, dass auch in dem mit 80 Milliarden Euro ausgestatteten EU-Programm Horizont 2020 Fördermittel für die intelligente Produktion bereit gestellt werden.

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel setzt mit der Förderinitiative Mittelstand 4.0 darüber hinaus auf beratende Unterstützung. Bis zur Jahresmitte sollen bundesweit insgesamt zehn Kompetenzzentren entstehen, in denen Unternehmen unter professioneller Anleitung ihre eigenen technischen Entwicklungen sowie Schnittstellen zu Produkten oder Kunden testen können. "Sie werden dort auch zu Kosten und Sicherheit bei der Einführung von Industrie 4.0-Technologien beraten", betont Gabriel.

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