Wirtschaftskrise:Hilferuf aus der Wirtschaft

Lesezeit: 2 Min.

Besonders die hiesigen Leitbranchen haben mit starken Produktionsrückgängen zu kämpfen. Im Maschinenbau zum Beispiel betrug das Minus bis Ende September 8,5 Prozent. (Foto: Jens Kalaene/dpa)

Der Abwärtstrend hierzulande nimmt immer bedrohlichere Ausmaße an, warnt der Bundesverband der Deutschen Industrie in einem Schreckensreport. Er hofft auf eine neue, schlagkräftigere Bundesregierung.

Von Claus Hulverscheidt, Berlin

Es ist eine Krankenakte, die sich über 35 Seiten zieht und dem Patienten zumindest kurzfristig wenig Hoffnung auf Besserung macht. Von einem „historischen Tiefpunkt“ ist in einer Zwischenüberschrift die Rede, von einem „sehr niedrigen Niveau“ in einer anderen. Und eine dritte Überschrift schließlich konstatiert: „Die Krise dauert an.“ Wäre der Industriestandort Deutschland tatsächlich ein Wesen aus Fleisch und Blut, dann müssten sich die Angehörigen langsam Sorgen machen.

Das zumindest ist der Eindruck, den jener Schreckensreport hinterlässt, den der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) am Freitag vorgelegt hat. „Die deutsche Industrie steht massiv unter Druck. Wir rechnen gegenüber dem Vorjahr mit einem dicken Minus in der Produktion von rund drei Prozent“, warnt BDI-Hauptgeschäftsführerin Tanja Gönner und spricht von einem wahrlich „besorgniserregenden Wachstumstrend“. Schlimmer noch: „Eine Erholung im Jahr 2025 ist nicht in Sicht.“

Besonders problematisch ist nach Analyse des Verbands, dass es ausgerechnet die hiesigen Leitbranchen sind, die mit starken Produktionsrückgängen zu kämpfen haben. So legte der Fahrzeugbau zwar im Oktober zu, zwischen Januar und September aber musste er im Vergleich zur Vorjahresperiode Einbußen von 6,9 Prozent hinnehmen. Im Maschinenbau betrug das Minus bis Ende September 8,5 Prozent, in der Elektroindustrie gar 10,7 Prozent. Zu den wenigen Lichtblicken zählte etwa die Pharmaindustrie.

Selbst im Maschinenbau ist China an Deutschland vorbeigezogen

Schmerzhaft ist vor allem der starke Einbruch im Maschinenbau, denn er galt mit Weltmarktanteilen von 20 Prozent jahrzehntelang als deutsche Paradedisziplin. Auch hier jedoch ist China vorbeigezogen, wie Moritz Schularick, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft (IfW), jüngst konstatierte. „Die Gewichte in der Welt verschieben sich dramatisch: China ist vom größten Kunden zum größten Konkurrenten der deutschen Wirtschaft aufgestiegen“, so der IfW-Chef.

Tatsächlich stecken hinter der aktuellen Schwäche weniger konjunkturelle als vielmehr strukturelle Probleme. Das wird auch daran deutlich, dass die Industrieproduktion schon seit 2017 rückläufig ist, nachdem sie in den zehn Jahren zuvor nahezu beständig gestiegen war. Zu den Gründen zählen – neben den Schocks der Pandemie und des russischen Überfalls auf die Ukraine – hohe Energiepreise, zu geringe Investitionen, der gravierende Fachkräftemangel, ein Übermaß an Bürokratie und wechselnde politische Vorgaben für den klimagerechten Umbau der Wirtschaft.

Gönner verweist in ihrer Erklärung zudem darauf, dass auch in der Europäischen Union die Industrierezession anhalte. „Deutschland, aber auch die EU, verlieren als Standort an Attraktivität“, so die BDI-Hauptgeschäftsführerin. Die deutschen Exporte werden laut Industrieverband dieses Jahr um 0,5 Prozent zurückgehen, obwohl der weltweite Warenhandel um zwei Prozent zulegen wird. Auch für 2025 sieht es dem Bericht zufolge nicht besser aus, vielmehr seien die Exporterwartungen in der Industrie weiter gesunken. Das dürfte auch mit der Unsicherheit zusammenhängen, ob der neue US-Präsident Donald Trump seine Drohung wahr machen wird, alle Importe in die Vereinigten Staaten mit teils hohen Zöllen zu belegen.

Im Sommer ist die Wirtschaft nur um 0,1 Prozent gewachsen

Auch die gesamte deutsche Wirtschaft steckt weiter in der Krise, wie die jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamts zeigen. Demnach legte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) von Juli bis September im Vergleich zum Vorquartal preisbereinigt um gerade einmal 0,1 Prozent zu. Eine erste Schätzung vor drei Wochen hatte noch ein Plus von 0,2 Prozent ergeben. Im Frühjahr war die Wirtschaft sogar um 0,3 Prozent geschrumpft, weshalb viele Experten jetzt auch für das Gesamtjahr mit einem neuerlichen Minus rechnen.

Die Hoffnung der Industrie ruht nun auf der Bundestagswahl, in die Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz als Favorit zieht. „Um wieder mehr Wachstumsdynamik zu erzeugen und den Industriestandort Deutschland nachhaltig attraktiv zu gestalten“, so Gönner, „brauchen wir dringend eine neue und handlungsfähige Regierung, die mit Entschlossenheit und Mut notwendige Reformen umsetzt.“

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusBörse
:Die wichtigste Aktie der Welt – bald unwichtig?

Der Chipgigant Nvidia legt erneut starke Quartalszahlen vor und meldet Rekordumsätze. Trotzdem glauben Fachleute: Mit der Vormacht des Konzerns könnte es demnächst vorbei sein.

Von Victor Gojdka

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: